GesellschaftMeinungen

Auf einmal war ich Robin Hood

Eine Gesellschaft ohne wahre Helden mit einem kapitalistischen System und einer großen Portion Egoismus und Nächstenhass braucht Fixsterne. Ob diese Helden dann real oder fiktiv sind, spielt erstmal keine Rolle. Es gibt sie und sie werden zu Metaphern einer besseren Welt.

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robin hoodUnd von dieser besseren Welt – in welcher Hinsicht auch immer – träumen viele kleine Kinder. Es lässt sich darüber streiten, ob der Kindheitsheld vom Kind ausgesucht wird oder andersherum. Jedenfalls hätte ich mir meine doch sehr erfüllte Kindheit nicht ohne meinen persönlichen Rebellen, meinen subjektiven Fixstern vorstellen können.

Es war die Zeit, in der man noch mit Lego spielte, stundenlang Parallelwelten aufbaute und mit höchster Liebe zum Detail jede noch so klitzekleine Kleinigkeit nachempfand. Eltern zahlten haufenweise Geld für überteuerte, neue Legobausteine. Mit viel Phantasie wurden nicht nur Spielfiguren bewegt, vielmehr wurden die Rollen adaptiert: Man durchlebte eine regelrechte Metamorphose. Auf einmal war man: Robin Hood. Auf einmal war ich: Robin Hood.

Rebell der Gesellschaft

Eben jener Rebell kann heute noch als Auswuchs unserer Gesellschaft gesehen werden. Wahrscheinlich sind die Robin Hoods heute noch viel notwendiger als sie es Anfang der 1990er Jahre waren. Der, der den Reichen nahm und es den Armen schenkte, ist aktueller und wichtiger denn je. Und dennoch war es dieser Robin Hood, der meine Aufmerksamkeit erhielt, damals.

Es waren wohl damals sicherlich nicht so sehr diese altruistischen und sozialkritischen Tendenzen, die mich als Kind anfixten. Es waren vielmehr seichte Vorläufer dieser Denke. Damals war es das Staunen darüber, dass es da jemanden gab, der sich über Regeln hinwegsetzte und mit den Konventionen brach. Das ist natürlich hochinteressant für ein Kind.

Robin Hood auf der Leinwand

Und auch heute noch kann ich mir alles über Robin Hood immer wieder ansehen. Ob es nun der Zeichentrickfilm von 1973 ist, den ich mir letztens erst auf DVD gekauft und noch einmal angesehen habe. Oder der Kinofilm von Ridley Scott aus dem Jahre 2010, der zwar schlechte Kritiken erhielt, den ich jedoch irgendwie großartig finde. Jegliche Objektivität geht flöten, wenn es um meinen Helden der Kindheit geht. Der Regisseur könnte wohl den letzten Schrott verzapfen – ich würde es mir dennoch anschauen.

Es muss die kindliche Faszination sein, die sich bis heute in mein Mark gebrannt hat. Hinzu kommt, dass diese Gesellschaft, in der ich nun wohl weiter überleben werde, selten so vorbildliche Avatare brauchte wie heute.

(Text: Jerome Kirschbaum / Foto: Cindy Ngo by jugendfotos.de)

Jerome K.

Jerome schreibt am liebsten über Sport, wenn er denn nicht selbst auf einem Platz steht. Seit Oktober 2010 verdingt sich Jerome als Schreiberling für back view, neben den Leibesübungen widmet er sich sich auch politischen Themen. Im wahren Leben musste Jerome zahlreiche Semester auf Lehramt studieren, um dann schlussendlich doch etwas ganz anderes zu werden.

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