GesellschaftNetzwelt

429 Hilfsarbeiter

429 Freunde habe ich. Jedenfalls bei Facebook. Manche mögen das albern finden. Ich aber nicht. Anfangs habe ich noch regelmäßig meine Freundesliste ausgemistet und Leute, mit denen ich nicht wirklich etwas zu tun hatte, wieder gelöscht. Heute mache ich das nicht mehr – und zwar aus vielen Gründen.[divide]

Zunächst wäre da mal meine Neugierde. Ja, verdammt, mich interessiert, wenn meine ehemalige Grundschulfeindin jetzt zum zweiten Mal geschieden und alleinerziehend mit drei Kindern ist. Und mich interessiert, dass unser ehemaliger Vorzeigestreber von der Realschule kürzlich in Afghanistan im Einsatz war. Mich interessiert, wenn meine ehemals beste Freundin 20 Kilo zugenommen hat und mich interessiert, wenn sich das Traumpaar aus meinem Abiturjahrgang trennt. Ich bin Journalistin, es ist mein Job, neugierig zu sein.Aber viele Freunde taugen für mehr, ohne, dass sie von ihrem Zweck wissen. Zwar behauptet hin und wieder jemand, ich würde bei so vielen Freunden doch den Überblick verlieren, aber genau das ist doch der Reiz. 429 Menschen wissen mehr als 50. Meine Facebook-Community ist inzwischen so groß und aktiv, dass ich immer einer der “Zuerst-Informierten” bin.

Irgendjemand hat schnell aufgeschnappt, wenn Eisbär Knut plötzlich stirbt oder Guido Westerwelle sich wieder irgendwo blamiert hat. Meine Freunde senden mir Links, Zeitungsartikel, Videos und Fotos. Und damit meine ich nicht nur die privaten Fotos, sondern lustige. Ich erkenne neue Trends schnell und kann sie für meine Arbeit nutzen. Ich lese, was andere Zeitungen schreiben und welche Aktionen sie starten, von denen ich ohne meine Facebook-Community nie gewusst hätte. Facebook erleichtert einiges. Ich bekomme meine Themenideen nun auf dem goldenen Tablett serviert. Sie laufen automatisch ein, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Meine Startseite aktualisiert sich häufiger als der dpa-Themendienst.

Und Facebook taugt noch für etwas anderes. Wofür man sich früher in irgendwelchen Foren anmelden musste, wenn man als Journalist recherchiert, reichen jetzt die Gruppen in den sozialen Netzwerken. Zu jedem Thema findet sich ein Eintrag und zu jedem Thema finden sich Protagonisten. Ob ich nun nach jemandem suche, der am Burn-out-Syndrom leidet, jemandem, der aus der rechtsextremen Szene ausgestiegen ist, oder jemandem, der an einer Katzenhaar-Allergie leidet – bei Facebook finden sich alle gesellschaftlichen Gruppierungen und Minderheiten.

Ohne Facebook hätte ich zu 350 der Menschen in meiner Freundesliste wahrscheinlich gar keinen Kontakt mehr. Die Pflege der sonstigen Kontakte würde mich Stunden, Wochen, Monate kosten. Das kann ich mir nicht leisten, denn so viel Freizeit habe ich nicht. Facebook übernimmt das für mich. Mit einer Statusmeldung sind alle informiert.

Facebook befriedigt nicht nur meine Neugier nach persönlichen und privaten Details Bekannter und Verwandter, sondern auch meine Neugier nach News und Skurrilem. Und Facebook erleichtert meinen Job: Das Recherchieren nimmt mir das Netzwerk nicht ab, aber die ersten Schritte kann ich gehen, sobald ich eingeloggt bin. Denn einer meiner 429 Freunde weiß sicher etwas.

(Text: Miriam Keilbach)

Miriam K.

Miriam war 2007 im Gründungsteam von backview.eu. Sie volontierte beim Weser-Kurier in Bremen und arbeitet seit 2012 als Redakteurin bei der Frankfurter Rundschau. Ihre Themen: Menschen, Gesellschaft, Soziales, Skandinavien und Sport.

Schreibe einen Kommentar