Skandinavien zählt zu den liberalsten Staaten der Welt, was allgemeine Menschenrechte betrifft. Doch teilt man die Vorreiterschaft im Kampf für die Gleichbehandlung Homosexueller mittlerweile unter anderem mit Belgien und den Niederlanden, die bereits gleichgeschlechtliche Ehen erlauben. Geht man ein paar Jahrzehnte zurück, kann man den Skandinaviern hier jedoch ohne weiteres ein Privileg zugestehen.
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Dänemark
Den Anfang machte Dänemark 1989. In der Hauptstadt Kopenhagen ließ sich ein schwules Pärchen als die erste eingetragene Partnerschaft Homosexueller registrieren und setzte damit ein Zeichen. Nur 10 Jahre später wurde in Dänemark homosexuellen Paaren die Adoption von Kindern erlaubt. Schweden und Norwegen folgten dem Beispiel.
Wie in Deutschland ist heute in ganz Skandinavien – Dänemark, Norwegen, Schweden, Finnland und Island – die eingetragene gleichgeschlechtliche Partnerschaft den homosexuellen Paaren zugänglich. Mindestens einer der Partner muss die jeweilige Staatsbürgerschaft besitzen und einer oder beide müssen im betreffenden Land leben bzw. müssen Ausländer für zwei Jahre ihren festen Wohnsitz in den skandinavischen Ländern gehabt haben. Meist sind diese Lebensgemeinschaften mit den gleichen rechtlichen Konsequenzen verbunden, die auch in einer heterosexuellen Ehe gelten. Jedoch ist es unüblich, die Zeremonie feierlich in einer religiösen Institution zu begehen. Ziel der einzelnen Regierungen ist es, die Rechte von Schwulen und Lesben zu sichern und sie zu unterstützen. Verbände und Organisationen werden generell staatlich gefördert und einen besonderen Schwerpunkt legt man auf Jugendarbeit sowie die Beachtung regionaler Gegebenheiten, da es in Ländern wie Finnland und Island grobe Unterschiede zwischen den ländlichen Gegenden und der Hauptstadt gibt.
Homosexuelle haben Anspruch auf zivilrechtlichen und strafrechtlichen Schutz vor Diskriminierung und Ungleichbehandlung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung, dies gilt auch für den Arbeits- und Wohnungsmarkt. Schwule Männer werden nicht vom Militärdienst ausgeschlossen, wie beispielsweise in der Türkei. Lesben haben zudem offenen Zugang zur Samenbank, um sich künstlich befruchten zu lassen.
Allerdings müssen die in Skandinavien eingetragenen Lebenspartnerschaften nicht zwangsläufig in anderen Ländern anerkannt werden. Auch ist zwar die Adoption der leiblichen Kinder des Partners und auch ausländischer Kinder erlaubt (Ausnahme Norwegen, hier ist nur die Stiefkindadoption zugelassen), doch sind Länder, die für Adoptionen in Frage kämen, häufig strikt gegen Homosexualität. Selbst als Pflegeeltern werden homosexuelle Paare nur dann berücksichtigt, wenn eine solche Familienform den Bedürfnissen des betreffenden Kindes entspricht. Man kann sich denken, dass dies nach Auffassung der meisten Behörden nur selten der Fall ist.
Wenige Unterschiede gibt es noch zwischen den einzelnen nordeuropäischen Staaten. Wieder war es Dänemark, das bereits 1933 mit der Legalisierung homosexueller Handlungen einen Meilenstein setzte und wie bereits erwähnt 1989 weltweit das erste Land mit einem Gesetz für eingetragene homosexuelle Partnerschaften. Grönland, als Teil Dänemarks, legalisierte Mitte der neunziger Jahre die gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaft. Eine Ausnahme bilden die Färöer-Inseln, die zwar außenpolitisch ebenso zu Dänemark gehören, innenpolitisch jedoch weitestgehende Autonomie besitzen. Bis 2005 war Homosexualität auf den Inseln im Nordatlantik ein Tabuthema.
Gegen das bestehende Antidiskriminierungsgesetz des dänischen Strafgesetzbuches gab es zunächst Widerstand der Parteien, mit der Begründung, dass keine Bevölkerungsgruppe durch ein solches Gesetz bevorzugt werden darf und alle Bürger schon längst gleichermaßen geschützt sind. 2005 kam es schließlich zum Eklat: der Pfarrer der färöerischen Hauptstadt verglich in einer Predigt Homosexuelle mit Pädophilen. Er stellte einen Zusammenhang zwischen dem Wohlstand der Inseln und der züchtigen Lebensweise ihrer Bewohner her und wurde daraufhin von den Musikern einer Punkband wegen rassistischer Propaganda angezeigt. Das Verfahren wurde eingestellt, da es damals auf den Färöer-Inseln eben noch keinen speziellen Schutz für Homosexuelle vor derartigen Äußerungen gab. Noch Ende des darauf folgenden Jahres wurde auf offener Straße ein bekannter Gitarist zusammengeschlagen und mit dem Tod bedroht.
Entgegen den Gepflogenheiten mischten sich auch Dänemark und der Nordische Rat ein. Und als Folge einer Unterschriftensammlung, an der vorwiegend Bürger aus Dänemark, Finnland und Island teilnahmen, kam es zur Anerkennung des so genannten Rassismusparagraphen, der unter anderem auch Homosexuelle vor Diskriminierung schützt. Somit waren die Färöer-Inseln eines der letzten Länder Westeuropas und das letzte Nordeuropas, das Schwule und Lesben nicht mehr aufgrund ihrer sexuellen Orientierung ungleich behandelt. Allerdings wurden bis heute gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften nicht staatlich legalisiert.
Norwegen
Das erste Land der Welt, das Homosexuelle in Form eines Gesetzes vor Diskriminierung schützte, war Norwegen – acht Jahre, bevor in Dänemark das erste homosexuelle Pärchen die eingetragene Partnerschaft registrieren lies. Dies ist das Ergebnis des traditionellen Strebens Norwegens nach der Freiheit des Individuums. Familiäre Werte werden zudem, wie in den nördlichen Ländern üblich, stark betont. Seit Anfang dieses Jahres denkt die Regierung über eine Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare nach. 2002 bis 2004 stellte das so genannte Kinder- und Gleichstellungsministerium dem Norwegischen Forschungsrat zweckgebundene Mittel für eine Reihe von mehrjährigen Projekten zur Verfügung, in denen die Problemstellung des Alltags von Schwulen und Lesben erörtert wird.
Schweden
Als liberalster Staat Europas – ja sogar der Welt – wird im Bezug auf Homosexualität Schweden gewertet. Die Trennung von Kirche und Staat wird meist strikt eingehalten, dennoch sind gleichgeschlechtliche Paare nicht der traditionellen Ehe zugelassen. Die Schwedische Kirche hat allerdings 2007 schon grünes Licht für homosexuelle Vermählungen gegeben. Das Wort „Ehe” soll jedoch nicht verwendet werden, da dies, wie in den meisten Teilen der Erde, mit der traditionellen Lebensgemeinschaft Heterosexueller verbunden ist, die ja noch oftmals Grundlage mancher Staaten darstellt.
Seit 1950 existiert ein Landesverband, der sich für die Rechte Homosexueller einsetzt; seit den achtziger Jahren ist deren Diskriminierung strafbar. Eigens dafür wurde ein Bürgerbeauftragter von der Regierung eingesetzt, dessen Behörde HomO unter anderem Sammelklagen verfasst und als beratende Instanz für das Parlament arbeitet. Für weltweites Aufsehen sorgte die Verurteilung eines Pfarrers zu einem Monat Freiheitsstrafe nach einer homophoben Predigt. Dieses Urteil wurde später widerrufen, da in diesem Fall das Recht der freien Meinungsäußerung über das Antidiskriminierungsrecht gestellt wurde.
Finnland
In Finnland gelten die gleichen Schutzrechte wie in ganz Skandinavien. Die eingetragene Partnerschaft Homosexueller ist auch hier praktisch gleichbedeutend mit der heterosexuellen Ehe. Die Gay-Szene ist weniger entwickelt, da Schwule und Lesben ihre Neigungen in der Öffentlichkeit ausleben können. Im Gegensatz dazu galt es aber noch bis vor nicht allzu langer Zeit als Beleidigung, wenn man diese als homosexuell bezeichnete.
Island
Islands Bevölkerung gilt als schwulenfreundlich – so gab es in der Vergangenheit so gut wie keine Gewaltakte gegenüber Homosexuellen. Fast jeder Isländer hat aufgrund der geringen Bevölkerungszahl einen homosexuellen Verwandten. Bis in die siebziger Jahre, zur Gründungszeit der heutigen Menschenrechtsgruppe „Samtökin” (Zusammenkunft), zogen Schwule und Lesben wegen großer Vorurteile und Diskriminierung häufig ins Ausland. Innerhalb von nur fünf Jahren setzte diese gegründete Verbindung dann einen Dialog mit der Regierung. Die rapide Veränderung war fast schon zu schnell. Doch hat Island seit dem zweiten Weltkrieg sowieso damit zu kämpfen, sich einem über die Jahrhunderte entwickelten Europa anzupassen, nachdem die Insel im Atlantik so lang sich selbst überlassen war.
In den isländischen Sagas existieren, vergleichbar mit der Bibel, nur wenige Aussagen zur Homosexualität. Anfang des 20. Jahrhunderts ist in den Geschichtsbüchern die Verurteilung eines Schwulen verzeichnet. Doch seit sich Samtökin für die Rechte Homosexueller einsetzt, gibt es auch große Unterstützung dieser in den Medien. Aufgrund der geringen Population ist man beinahe gezwungen, Schwule und Lesben zu akzeptieren. Die Bekämpfung von Vorurteilen wurde zu einer Familienangelegenheit in einem Land, in dem die Familienbande noch sehr stark ist und die traditionelle Gesellschaft trägt. Schon jetzt hat Island eine der fortschrittlichsten Rechtssprechungen der Welt, was Homosexualität angeht.
Die von der Hauptstadt Reykjavík gesponsorte Gay Pride im August ist heute das größte Festival Islands, man fordert mit ihr zur Unterstützung von Menschenrechten für alle auf. Als Teil der jährlichen Sommer-Kulturnächte und des Reykjavík Marathon symbolisiert die Pride schon an sich eine Integration in die Gesellschaft. Es ist eine Art Karneval, bunt und laut und dadurch ein Anziehungspunkt für Familien mit Kindern. „Und”, so einer der Mitarbeiter von Samtökin, „würde man solch eine Parade durch seine Anwesenheit nicht unterstützen, wenn man die Sache im Wesentlichen nicht unterstützt”.
Das tägliche Leben der Homosexuellen unterscheidet sich hier, wie in den meisten westlichen Ländern, nicht von dem Heterosexueller. Man sieht den Menschen ihre sexuelle Neigung ja auch nicht an. Natürlich ist das generationsabhängig. Der jüngste Homosexuelle Islands hatte sein Coming Out erst vor kurzem mit vierzehn Jahren in Zusammenhang mit einem Fernsehbericht über Schwule und Lesben in Island. Familie und Freunde nahmen sein Bekenntnis zur Homosexualität gelassen auf. Sein Vater war es, der ihn zu Samtökin begleitete. Die Organisation erhält zudem viel Unterstützung vom Staat.
Anders war es noch 1996, als einer der Betreuer von Samtökin mit einundzwanzig Jahren verkündete, dass er schwul ist. Er erzählte, dass es schwer ist, in einem Land, in dem jeder jeden kennt, ein Doppelleben zu führen. Am schwersten war es, wie für die meisten, mit der eigenen Familie, besonders den Eltern, darüber zu reden. Sie seien nicht geschockt gewesen, doch mussten sie sich erst einmal an die Situation gewöhnen. Die jüngere Generation versucht ungehemmt mit Homosexuellen umzugehen, es gibt eine Gaybar und die Schwulen- und Lesbenorganisation hilft neuen Mitgliedern. Natürlich gibt es hier und da noch Berührungsängste, doch der schnelle industrielle und geschichtliche Wandel seit den vierziger Jahren hat zu gegenseitigem Respekt beigetragen. Probleme mit Diskriminierung gibt es an anderer Stelle – nämlich gegen hier arbeitende Ausländer.
Eines lässt sich für Skandinavien allerdings festhalten: Die grundsätzliche Haltung gegenüber Homosexuellen ist tolerant, so dass die meisten kein Bedürfnis verspüren, ihre Veranlagung zu verbergen. Es ist eben eine ganz normale Sache.
(Text: Katrin Kircheis)