Film & FernsehenKultur

Claus Kleber: „Qualität und Quote müssen zusammen funktionieren”

Claus Kleber ist eine der größten Journalistenpersönlichkeiten in Deutschland. Vier Tage nachdem er den Adolf-Grimme-Preis für die Moderation des Heute Journals auf dem ZDF erhielt, sprach er mit back view Redakteurin Miriam Keilbach über seriöse Nachrichten, Amateur-Nachrichtenmacher und sein Verständnis von der Welt.

Claus Kleber im Interview mit backview.euWie wichtig sind seriöse Nachrichten in einer Demokratie?
Ich arbeite aufgrund der Überzeugung, dass seriöse Nachrichten das Kernstück der demokratischen Regierungsform überhaupt sind. Menschen, die nicht Bescheid wissen, wie das Gemeinwesen und wie die Welt funktioniert, die es nicht verstehen und die nicht dafür interessiert werden, können auch keine mündigen Staatsbürger sein.

Die Pflege des Marktplatzes der Ideen, auf denen die wichtigen Fragen offen diskutiert werden, ist eine Grundvoraussetzung. Wenn wir das nicht machen, vergessen wir wie wichtig die Welt für uns ist. Denn wenn wir nicht wissen, was passiert und die Motive verstehen, die dahinter stecken, können wir an den paar Wahlsonntagen, die wir haben, keine mündige Entscheidung treffen und das zehrt das ganze System in die falsche Richtung. Wir als unabhängig arbeitende Journalisten, wenn wir verstehen, dass es darauf ankommt, die Inhalte in die Köpfe der Menschen zu bringen und zwar nicht, um sie in eine bestimmte Richtung zu lenken, sondern um sie dazu zu bringen, dass sie die Richtung selbst entscheiden können, schaffen wir absolut unabdingbare Voraussetzungen.

Sind Sie denn jemand, der die Welt versteht?
Nein, aber ich bin grenzenlos neugierig und ich bin jemand, der in der Lage ist, die Dinge auch neu, frisch und andersrum zu sehen. Selbst wenn ich denke, dass der Gesundheitsfond eine Fehlgeburt und eine blöde Konstruktion ist, bin ich auch in der Lage, mich für die Sendung heute Abend mit dem Gedanken zu befassen, dass vernünftige Motive dahinter stecken und dass er im Prinzip vielleicht doch richtig ist.

Wenn die Abwrackprämie überall als ein erfolgreiches Konjunkturprogramm bejubelt wird, interessiere ich mich sofort für die Frage: Was spricht eigentlich dagegen? Und in dem Moment, in dem ich das verstanden habe, interessiere ich mich schon wieder für neue Argumente, was denn für die Prämie spricht. Das ist eine Grundvoraussetzung für Journalisten. In meinem Jura-Studium habe ich gelernt, dass jedes Ding mindestens zwei Seiten hat und dass man eine Argumentation nur gewinnen kann, wenn man auch die andere Seite verstanden hat.

“Der Kerl informiert mich objektiv”

Ein Journalist ist immer auch ein Mensch, der eine Meinung hat, wie Sie gerade sagen. Kann ein Journalist überhaupt objektiv berichten?
Die persönliche Objektivität wird man nie hinkriegen. Ich bin schon sehr zufrieden, wenn es gelingt, Sendungen so zu gestalten und zu moderieren, dass man Menschen nicht von der eigenen Ansicht überzeugen will. Man kann sie ja haben, aber jede Art von missionarischem Eifer ist unangebracht. Es gibt ein paar Themen wie Rechtsradikalismus, wo man sich gefahrlos mutig aus dem Fenster lehnen kann. Die Zahl der Themen, bei denen Menschen nicht mehr überzeugt werden müssen, ist groß.

Aber es gibt auch Themen wie Atomenergie, bei dem Gegner und Befürworter gute Argumente haben. Wir präsentieren beide Seiten und bleiben am Ende ohne Urteil stehen, aber mit einem Stück weiterer Aufklärung. Wir diskutieren Sachfragen: Wie ist die CO2 Bilanz eines Atomkraftwerks? Wie ist die Umweltbilanz eines Atomkraftwerks? Wie ist die finanzielle Bilanz? Wir müssen das ohne Vorurteile aufarbeiten. Ich habe dann immer noch meine persönliche Überzeugung zur Atomenergie, aber wenn ich auf Sendung gehe, soll der Zuschauer sie nicht raushören können. Ich möchte, dass Gegner und Befürworter das Gefühl haben: Der Kerl informiert mich objektiv. Das ist das Ziel.

Das ist die öffentlich-rechtliche Sicht. Aber wie sieht es denn mit den Privaten aus? Man sagt, dass die Nachrichtenwelt von den Privaten überlagert wird?
Die Aufgabe der Privaten ist es Geld zu verdienen. Die Kollegen, die bei privaten Sendern Nachrichten machen, haben eine völlig andere Herangehensweise als wir. Ich komme morgens mit dem Ziel ins Büro, heute Abend in möglichst viele Köpfe möglichst viel Information hineinzubringen und zwar so, dass Menschen Zusammenhänge verstehen. Wer aber bei den Privaten Nachrichten macht, muss zumindest mit überlegen, wie er eine möglichst große Zuschauermenge versammelt, um diese anschließend an werbetreibende Industrie vermieten zu können.

Das ist ein ganz anderes Geschäftsmodell. Unser Geschäftsmodell basiert auf Inhalten, deren auf Zuschauerzahlen. Es ist nicht so, dass uns die Zuschauerzahl egal ist, im Gegenteil: Es ist uns wichtig, viele Zuschauer zu erreichen. Aber das soll mit vernünftigen Inhalten geschehen. Ich habe verloren, wenn ich zehn Millionen Zuschauer habe, denen ich inhaltlich nichts nahe bringe, weil ich Lari-Fari oder unverständliches Zeug präsentiere. Aber ich habe auch verloren, wenn ich super gute Nachrichten mache, aber nur tausend Leute erreiche. Beides ist ein Fehlschlag.

Claus Kleber über Qualität versus Quote

Kann denn Quote mit Qualität überhaupt noch funktionieren?
Es muss. Mit null Quote und 100 Prozent Qualität bringt es nichts und hundert Prozent Quote ohne Qualität bringt auch nichts. Also muss ich versuchen, dass Maximum aus diesem Produkt herauszuholen. Das eine mal das andere ist gleich Erfolg.

Durch die neuen Medien kann jetzt jeder selbst Nachrichten machen. Beeinträchtigt das die Qualität des Journalismus, wenn jeder Amateur Nachrichten machen kann?
Ich finde das nicht so aufregend, wie die meisten Leute das sagen. Natürlich möchte ich als Journalist, wenn ein Flugzeug in den Hudson-River stürzt, möglichst schnell wissen, was los ist. Dass da jetzt Twitterer sind, die das Foto in der Welt verbreiten oder Blogger, die schon einen Onkel gesprochen haben, der früher einmal Flugzeugingenieur war, ist für mich interessantes und schnelles Rohmaterial. Mein Job ist es, aus diesem Rohmaterial vernünftige, gecheckte und zuverlässige Informationen zu machen. Unser Beruf wird dadurch nicht überflüssig, er bekommt nur ein weiteres Werkzeug in die Hand.

Bei Winnenden hat man aber gesehen, dass in den ersten Stunden durch diese enorme Aktualität sehr viele falsche Nachrichten verbreitet wurden. Ist das ein Nachteil, mit dem wir leben müssen?
Ich glaube, dass sich das mischen wird: Die Menschen interessieren sich für Winnenden. Sie interessieren sich auch dafür, wer was unmittelbar nach der Tat sagt. Aber spätestens zwei Stunden später kommen sie auf uns zurück und möchten, dass Profis die Informationen überprüft haben. Für das erste Strohfeuer sind Twitter und Web 2.0 wichtig und interessant, aber sie sind nicht unsere Konkurrenz. Wir müssen unter Einbeziehung dieser weiteren Informationsquelle seriöse Nachrichten anbieten.

Wie wollen Sie diese einbeziehen?
Ich sehe Twitter als Ergänzung und Starthilfe. Ich will natürlich selbst auch möglichst schnell alles wissen. Wenn um 14 Uhr etwas passiert und ich um 21:45 Uhr Heute Journal habe, ist es für mich besser, wenn ich um 14:05 Uhr weiß, dass etwas passiert ist als dass mir irgendeine verschnarchte Reporterseele um 16 Uhr davon berichtet. Dann hätte ich schon zwei Stunden verloren, die ich mit Recherche verbringen könnte.

Claus Kleber im Interview mit backview.euWie darf man sich überhaupt einen Tag als Nachrichtenmoderator vorstellen? Lesen Sie den ganzen Tag Zeitung?
Ich lese natürlich sehr viel im Netz. Die Zeitung berichtet ja im Grunde, worüber wir gestern berichtet haben. Ich lese die Analysen in den Zeitungen, die sind oft ausgeruhter als wir das machen können. Mein Tag beginnt morgens um acht mit Nachrichten, um halb zehn mit der ersten Konferenz. Die mache ich noch am Telefon von Zuhause, weil mein Tag erst um Mitternacht endet. Dann weiß ich schon einmal: Um die drei, vier Themen geht es heute und dann beschäftige ich mich inhaltlich mit diesen. Es geht nicht nur um die 50 Sekunden, die ich moderiere, sondern es geht um das Mitgestalten der Sendung. Das ist ein permanenter Dialog mit der Redaktion.

Wir streiten uns auch andauernd, wie wir zum Beispiel heute alles, was wir machen wollen, in die 28 Minuten pressen wollen. Das ist mir mal wieder völlig unklar. Es ist eine ständige Abwägung der Wichtigkeit der Inhalte und der Attraktivität von Formen. Eine Reportage aus Italien ist unter Umständen attraktiver als eine Analyse zur Abwrackprämie. Das muss abgewogen werden. Ein Nachrichtenmagazin wie wir es sind, will eine Mischung aus fernen und nahen Themen, aus abstrakten und emotionalen, aus topaktuellen und langfristigen haben. Es muss ein Gleichgewicht gefunden werden. Trotzdem erwarten die Zuschauer von uns, dass wir den Tag zuverlässig abbilden und das ist das oberste Gebot. Das bedeutet reden, lesen, telefonieren, wieder lesen und Entscheidungen umschmeißen.

Nun beeinträchtigt auch die Finanzkrise die Medienwelt. Wird es Veränderungen in der Struktur geben, wenn die Medien betroffen sind?
Ich weiß nicht, wie das bei Zeitungen, vor allem bei Zeitschriften ist. Wir spüren das natürlich überhaupt nicht. Das ist das Privileg einer öffentlich-rechtlich finanzierten Anstalt. Ich glaube aber, dass die Krise den einzelnen Journalisten unmittelbar betrifft. Das sind Arbeitsplätze, vor allem natürlich bei den privat finanzierten Medien, und das sind persönliche Schicksale. Man muss versuchen, den inneren Abstand zu bewahren und nicht in eigener Sache zu berichten.

Zum Abschluss: Wir als Nachwuchsjournalisten sehen immer wieder die hohen Anforderungen, die schon vor Antritt eines Volontariats an uns gestellt werden. Wie erleben Sie als Profi den Umgang mit der „Generation Praktikum”?
Ich bekomme viele Bewerbungen auf den Tisch, von Leuten, die weiß der Teufel was alles gemacht haben. Die haben alle den Oxford-Abschluss, ein Sommersemester an der Sorbonne-Universität studiert, sprechen drei Sprachen fließend, werden von der Studienstiftung des deutschen Volkes gefördert und haben 14 Praktika gemacht. Was mich interessiert, gerade im Journalismus, ist handwerkliche Erfahrung, die man auch und vor allem in der kleinen Lokalzeitung oder bei einem kleinen Lokalsender sammeln kann. Mich beeindruckt es nicht, wenn jemand im Feuilleton der FAZ gearbeitet hat. Da will ich erst einmal sehen, was derjenige dort gearbeitet hat. Da läufst du oft nur mit, sitzt in den Konferenzen rum und hast im Grunde nichts kapiert.

Ich finde es viel besser, wenn man zum Beispiel bei der Glocke, einer Regionalzeitung in Niedersachen war und dort wirklich gebraucht wurde. Man wurde rausgeschickt und hat etwas über die Gestaltung des Naherholungsgebietes, einem umstrittenen Thema in der Gemeinderatssitzung, geschrieben. Es ist sehr interessant, Journalismus als Wissenschaft zu verstehen. Aber relevant ist es als Handwerk und da geht es um praktische Erfahrung. Mich beeindruckt im Zweifel jemand mehr, der ganz nah an der Basis gearbeitet hat und der weiß, wie es ist, um fünf hochnervös festzustellen, dass er nur noch 30 Minuten hat, ehe die Sache fertig sein muss. Ein Bewerber muss keine Analyse der NATO-Nachrüstungsdebatte oder der Atomdebatte mit dem Iran abliefern, mir reicht eine Gemeinderatssitzung, die spannend war.

Wir bedanken uns bei Claus Kleber für die Zeit, die er sich für das Interview genommen hat.

(Interview: Miriam Keilbach / Fotos: ZDF/Carmen Sauerbrei)

Miriam K.

Miriam war 2007 im Gründungsteam von backview.eu. Sie volontierte beim Weser-Kurier in Bremen und arbeitet seit 2012 als Redakteurin bei der Frankfurter Rundschau. Ihre Themen: Menschen, Gesellschaft, Soziales, Skandinavien und Sport.

Schreibe einen Kommentar