Wer hätte damit gerechnet! An der Seite seiner Frau Eva Luise verkündete Horst Köhler heute um 14 Uhr bei einer Pressekonferenz im Schluss Bellevue seinen „Rücktritt vom Amt des Bundespräsidenten mit sofortiger Wirkung”. Worte, die eine ganze Nation schockierten. Völlig überraschend kam die Entscheidung von dem betont gefassten, aber dennoch entschlossen Staatsoberhaupt. Als Begründung nennt Köhler die scharfe Kritik an seinen umstrittene Äußerungen über den Bundeswehreinsatz in Afghanistan.
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Bei einem Interview mit dem Deutschlandradio Kultur vom 22. Mai begründete er Auslandseinsätze der Bundeswehr auch mit der Wahrung deutscher Wirtschaftsinteressen. Nach einer vorsichtigen Distanzierung von dieser Aussage seitens Ruprecht Polenz, dem Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, kam die Lawine ins Rollen und es hagelte Kritik von allen Seiten.
Später stellte ein Sprecher Köhlers klar, dass mit Köhlers Aussage nicht der Afghanistaneinsatz gemeint gewesen war, sondern etwa Missionen wie die in Somalia.Doch wie kann es sein, dass eine völlig legitime Aussage plötzlich als Skandal durch die Medien proklamiert wird? Denn die Äußerungen mancher sogenannter Journalisten, Köhler befürworte „Wirtschaftskriege” lässt eindeutig an deren Kompetenz zweifeln.
Denn dass die Bundeswehr unter anderem zum Schutze der Handelswege und somit natürlich auch zum Schutze der deutschen Wirtschaft eingesetzt wird, ist eigentlich nichts Neues. Im Gegenteil, liest man sich einmal verschiedene Mandate und Grundsätze durch, so wird schnell klar, dass solche Aussagen lediglich unfundiertem Sensationsjournalismus zugrunde liegen.
Am Horn von Afrika ist nicht nur der Schutz der Menschenrechte und der Zivilbevölkerung das Ziel. Selbstverständlich sollen auch die Handelswege gesichert werden, so seltsam es auch klingt.
Im Bundestagmandat steht so zum Beispiel: „Zum anderen soll die Operation den zivilen Schiffsverkehr auf den dortigen Handelswegen sichern, Geiselnahmen und Lösegelderpressungen unterbinden und das Völkerrecht durchsetzen.
Zudem betont selbst das aktuelle „Weißbuch”, welches unter anderem die Aufgaben der Bundeswehr beschreibt, deutlicher als früher, dass die deutsche Sicherheitspolitik nach Auffassung der Bundesregierung auch wirtschaftliche Aspekte und Vorgänge weit außerhalb des Bundesgebiets umfasst. Eine Aufgabe von Bundeswehreinätzen bestehe daher darin, “den freien und ungehinderten Welthandel als Grundlage unseres Wohlstands zu fördern und dabei die Kluft zwischen armen und reichen Weltregionen überwinden zu helfen.”
Weiterhin heißt es: „Deutschland, dessen wirtschaftlicher Wohlstand vom Zugang zu Rohstoffen, Waren und Ideen abhängt, hat ein elementares Interesse an einem friedlichen Wettbewerb der Gedanken, an einem offenen Welthandelssystem und freien Transportwegen. […] Deutschland hat aufgrund seiner immer engeren Verflechtung in der Weltwirtschaft besonderes Interesse an internationaler Stabilität und ungehindertem Warenaustausch […]”
Köhler Aussage ist also keinesweg skandalöse Utopie sondern bekannte Realtität. Diese muss auch nicht unbedingt schlecht sein. Schließlich gilt Wohlstand und funktionierender Kommerz auch als Garant für den Frieden. Gemeinsame Handelsinteressen und Warenaustausch prägen die zwischenstaatlichen Beziehungen und festigen sie im Idealfall.
Allerdings stellt sich die Frage, warum ausgerechnet der sonst so standfeste Politiker lediglich wegen nicht unüblicher Kritik sofort das Handtuch wirft und aufgibt. Solche Unterstellungen lassen den „notwendigen Respekt vor dem höchsten Staatsamt vermissen”, erläutert Köhler in seiner Presseerklärung. Noch nie in der bundesrepublikanischen Geschichte gab der Bundespräsident den Rücktritt von seinem Amt bekannt. Doch genau das passt irgendwie zum Gesamtbild, des charismatischen 67-Jähirgen, der erst vor einem Jahr unter großer Begeisterung von der Bundesversammlung wieder gewählt wurde. Er ist eben immer für Überraschungen gut.
Köhlers Rücktritt schadet jedoch auch der Bundeskanzlerin Angela Merkel. Denn vor allem die Kanzlerin war es, die Köhler als Kanditaten bei der letzen Wahl durchsetzte.
Erst der Rückzug von Hessens Ministerpräsident und CDU-Vize Roland Koch und nun erwartet die CDU-Bundesvorsitzende schon wieder eine Krisensitzung. Wer der Nachfolger Köhlers wird, ist noch nicht bekannt. Bis zu den Neuwahlen durch die Bundesversammlung am 30. Juni vertritt Bundesratspräsident Jens Böhrnsen (SPD) den Bundespräsidenten und übernimmt nun vorübergehend die Amtsgeschäfte. Bleibt nur zu hoffen, dass er das Erdbeben von Berlin in dieser Zeit besser meistert als sein Vorgänger.
(Text: Julia Jung / Foto: Deutscher Bundestag)