Am Anfang sind Angst und Skepsis groß, doch die Anpassung geht schneller, als man denkt. Man gewöhnt sich an „skinny” Milch oder an viel zu süßes Essen. Nach ein paar Wochen im Ausland hat man den Kulturschock überstanden und fühlt sich heimisch in der fremden Welt. Aber das interessiert dann zurück daheim Gott sei Dank kaum jemanden mehr.
Angekommen im Ausland, hat man nicht mehr die typischen Verpflichtungen, die man normalerweise gerade hätte. Mit einem Schlag muss man nicht jedes zweite Wochenende bei der Oma im Garten Rasen mähen oder als Hiwi Montagmorgens um kurz vor acht noch schnell die Handouts für den Prof kopieren. Für die Vereins-Weihnachtsfeier muss man sich dieses Mal keine Ausrede einfallen lassen, warum man nicht bei der Organisation helfen kann, sondern man ist eben einfach nicht da.
Plötzlich interessiert es einen nicht mehr, ob die Semesteranfangsparty diese Woche am Dienstag oder Mittwoch stattfindet. Und plötzlich muss man nicht mehr drei Tage nach Anmeldeschluss eine clevere Methode finden, noch auf irgendeinem Weg in den überfüllten Unisportkurs „Bauch, Beine, Po” zu kommen. Das Schöne am Auslandssemester ist: alles ist so herrlich unbeschwert. Kaum aus dem Flugzeug ausgestiegen, spürt man es – die angebliche Freiheit, die scheinbare Unabhängigkeit und das vermeintliche Gefühl, alles sei möglich.
Tun wir uns mal zusammen
Wahrscheinlich ist es im Auslandssemester noch einfacher als es schon damals im Sandkasten war, neue Freundschaften zu schließen. Lisa, Natali, der Junge aus China, dessen Namen man nicht richtig aussprechen kann, und auch die fünfzig anderen sind nicht nur alle das erste Mal hier, sondern ebenso auf der Suche nach neuen Bekanntschaften. Sie haben die gleichen Probleme wie jeder Erstsemestler bei seinem ersten Tag an der Uni und wie jeder Tourist in einer fremden Stadt. Sie haben keine Ahnung, wie der Weg zur Cafeteria ist oder wie man die Metrokarte auflädt.
Auf der Suche nach dem nächsten Drogeriemarkt blättern sie gemeinsam verzweifelt in ihrem Stadtführer. Oder sie stellen sich geschlossen vor den erstbesten Starbucks um dort mit dem kostenlosen Internet auf ihrem I-Phone die Kleinanzeigen nach einem freien Zimmer zu durchforsten. Geteiltes Leid ist halbes Leid – und so tut man sich zusammen, um die kleinen Herausforderungen des Alltags im fremden Land zu bezwingen. Aber auch, um möglichst viel von der neuen Umgebung mitzubekommen.
Alle sind neu hier und alle wollen etwas erleben. Es werden Reisen geplant, Konzerte besucht und Nächte durchgetanzt. Die Zeit ist limitiert, die Erwartungen hoch und die Speicherkarte der Digitalkamera noch leer. Kaum im Ausland angekommen, verliert man nicht nur jegliche Sinn für Relationen, sondern blendet auch einstige Verbindlichkeiten komplett aus.
Man nimmt sich vor, am Wochenende die Südküste abzufahren, auch wenn man dafür 23 Stunden im Auto verbringen muss. Man schließt sich der coolen Truppe beim Insel-Hopping an oder gibt unendlich viel Geld für diesen touristischen Sightseeing-Bus in der Metropole des Landes aus. Man besucht Museen, Restaurants, Gedenkstätten und Fastfood-Ketten, nur, um es mal gesehen zu haben und nur, um mal da gewesen zu sein. Im Auslandssemester wird man von dem Gefühl begleitet, in dieser kurzen Zeit, möglichst alles, was geht, mitzunehmen.
Zurück von der fremden Heimat
Nach ein paar Wochen erinnert man sich auf einmal nicht mehr, wie die Euro-Münzen eigentlich noch mal aussehen oder wie man eine wissenschaftliche Arbeit schreibt. Man tut irgendetwas für die Uni, tut aber auch so viel anderes. Die Zeit vergeht wie im Flug und man hat den Eindruck, als sei das Jahr die letzten Monate im Kalender nicht weiter verstrichen. Dann geht es zurück. Im Gepäck hat man unendlich viele Geschichten, die nur darauf warten, erzählt zu werden.
Außerdem wären da das Gefühl, plötzlich irgendwie alles besser zu wissen und der Stolz, mal eben über den Tellerrand hinausgesehen zu haben. Müde aber glücklich nimmt man den Platz für den Rückflug ein; weiß gar nicht, welches der tausend Bilder man zuerst bearbeiten oder welche neue Facebook-Freundschaft man sofort anstupsen soll. Vollgestopft mit neuen Erlebnissen, Eindrücken und Erinnerungen kehrt man zurück ins heimische Dorf – dort, wo noch ordnungsgemäß Strafzettel an Falschparker verteilt werden und dort, wo Passanten bei roten Ampeln noch stehen bleiben.
Die Leute, die Kultur und das Leben im Auslandssemester sind so anders und die Erlebnisse so intensiv, dass man mindestens drei Tage Gesprächsstoff im Petto hätte, wenn nur jemand bereit wäre, zuzuhören. Es durchfährt einen das Gefühl, als Mensch ein kleines bisschen gewachsen zu sein und man fasst den Beschluss, in Zukunft alles anders zu machen. Doch die Realität holt einen schnell wieder ein. Man geht zum Rasenmähen und zum Handouts-Kopieren und die nächtlichen Träume finden plötzlich wieder in Deutsch statt.
Fünf Stunden nach der Ankunft daheim, weiß man, wie fies die Fragen der Makro-Klausur vor zwei Wochen gestellt wurden und bekommt bis ins kleinste Detail erzählt, wie Annas Geburtstag letzten September abgelaufen ist. Man trifft Leute, die man schrecklich vermisst hat und Leute, die man eigentlich gar nicht sehen will. Nach ein paar Monaten Abwesenheit ist man spätestens nach einer Woche wieder auf dem neusten Stand aller Klatsch-und Tratsch-Geschichten und im Bilde darüber, was genau in der deutschen Bundesliga abgelaufen ist.
Nach dem Ausland ist vor dem Ausland
Vielleicht hat man den Eindruck, dass während man Berge erklimmt, Cupcakes probiert und neue Schuhe bis auf die Sohle abgelaufen ist, sich im Heimatdorf nichts getan hat – außer, dass das neue Hallenbad endlich fertig gestellt und der Bierpreis in der Kneipe ums Eck um zehn Cent erhöht wurde. Viel zu schnell reagiert man wieder mit einem fränkisch derben „Dange” statt einem „Thanks”, wenn einem die Tür aufgehalten wird, und bildet wieder deutsche Wörter mit fünfzig Buchstaben und sechs Silben.
Ehe man sich versieht, gelangt man zurück in den Alltagstrott und wird auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt – und das ist auch gut so. Das Leben ist kein Ponyhof und der Unialltag kein Auslandssemester. Hier wird eben nicht geschlossen jedes zweite Wochenende ein Auto gemietet, um an die Küste oder die nächstgrößere Stadt zu fahren und hier werden auf schlechte Seminararbeiten ohne Skrupel auch mal Vierer verteilt.
Zurück in der Heimat, wird man merken, dass sich die Welt auch in seiner Abwesenheit weiter dreht. Eine Rückkehr aus dem Auslandssemester ist nicht die Rückkehr in ein langweiliges Dorf, sondern der Anfang einer neuen Reise. Man sollte nicht traurig sein, dass es vorbei ist. Es ist der Beginn eines neuen Kapitels, das man mit vielen Wertsachen im Gepäck aufschlägt – mit Erfahrungen, die wie ein kleiner Schatz im Kopf abgespeichert werden und Erinnerungen, die einem Keiner mehr nehmen kann.
Jeder der das Glück hat, ein paar Monate in einem fremden Land zu studieren, sollte es zu schätzen wissen und die Zeit genießen, aber gleichzeitig nicht vergessen, dass daheim so viel ist, was man vermissen kann. Und endlich hat man nach der Rückkehr nicht nur Zeit, neue Trips in fremde Welten zu planen, sondern auch, um auch endlich hier damit zu beginnen, alle doch so touristischen Burgen und Schlösser aus einer neuen Perspektive zu besichtigen. Und alle noch so unbekannten Ecken mit der Digitalkamera im Schlepptau abzulaufen.
(Text: Christina Hubmann)