Mit 13 hatte ich eine ziemlich konkrete Vorstellung vom Leben. Mit 16 Mittlere Reife und den ersten Freund. Mit 19 Abitur, mit 20 Auslandsjahr, mit Mitte 20 Uniabschluss, mit 26 Hochzeit, mit 28 das erste Kind, mit 30 das zweite Kind. Haus, Hund, Kaninchen, Esel. Die Realität: Bis zum Uniabschluss hat der Plan funktioniert. Danach aber waren es andere Dinge, die mir wichtig wurden. Was sind eigentlich deine Träume, was willst du vom Leben, worin besteht der Sinn? Aus den Mädchenträumen wurden meine Träume.[divide]
Mit 30 habe ich eine ziemlich konkrete Vorstellung vom Leben. Sie hat nichts mit Ehe und Kindern zu tun. Sie hat mit Erfahrung zu tun, mit Weitblick, damit, möglichst viel vom Leben, von der Welt zu sehen. Vor gut ein paar Jahren habe ich innerhalb kürzester Zeit zwei Bekannte verloren. Eine nahm sich das Leben, mit 26. Die andere starb an Krebs, mit 22. Letzte hatte, als schon feststand, dass sie diesen erneuten Ausbruch ihrer Krankheit nicht überleben wird, eine Liste geschrieben. 100 Dinge, die sie gemacht haben möchte. Sie hat nur 18 geschafft.
Wenn ich meine Liste schreibe, dachte ich, dann darf es nicht erst dann sein, wenn nur noch wenig Zeit bleibt. Also fing ich an. Die ersten 40 Punkte waren schnell notiert. Nordlichter sehen, im Meer baden, eine Safari machen, durch die Wüste wandern, unter einem Wasserfall baden, mit einem Hundeschlitten fahren, das Musical „Der König der Löwen“ sehen. Einige hatte ich schon erlebt, die meisten noch nicht.
Meine 100-Punkte-Liste
Die meisten meiner Listen-Punkte haben mit Reisen zu tun. Damit, neue Länder, neue Kulturen, neue Menschen kennenzulernen. Wer einmal das Land oder auch nur seinen Ort, seine Stadt verlassen hat, wer einmal gesehen hat, was da noch alles wartet, fremd, einzigartig, faszinierend, der will es wieder tun.
In Südafrika habe ich eine Safari und Whale-Watching gemacht – und dabei gesehen, was der viele Plastikmüll in den Ozeanen anrichtet. In einer Rettungsstation lagen neben ausgestopften Pinguinen, Fischen und Robben der Müllhaufen, der in ihrem Körper gefunden wurde. Seither habe ich keine Plastiktüte mehr mitgenommen.
Auf Spitzbergen habe ich mir gleich mehrere Wünsche erfüllt. Ich führte einen Hundeschlitten, stieg in eine Eisgrotte, sah die Mitternachtssonne und wanderte auf einem Gletscher umher. Wer diese Insel betritt, wird immer an diesen wunderbaren Ort denken, wenn das Wort Klimawandel fällt. Die Natur ist einzigartig, die Eisbären, die Robben, die Gletscher, die Eishöhlen. Wenn der Permafrost taut, ist es zu spät.
In Israel spazierte ich durch die Wüste. Doch es war nicht der eindrücklichste Moment. Den hatte ich in Jerusalem, als die drei Weltreligionen aufeinander trafen, als sich mir so deutlich zeigte, mit welchem Anspruch die Gläubigen ihre Religion vertreten, mit welcher Vehemenz sie ihren Glauben nach außen tragen. Es hat mir Angst gemacht, es hat mir verdeutlicht, wie weit Religion führen kann. Es gab viele dieser Momente bei dieser Reise, in Tel Aviv im Mittelmeer, wo nur wenige Kilometer weiter im Gaza-Streifen nach wie vor Tausende obdachlos sind. Am See Genezareth, wo nur wenige Kilometer weiter Kinder in Syrien sterben. Im Westjordanland, wo der Krieg zwischen Israelis und Palästinensern so sichtbar ist.
Auf Kuba habe ich eine Tour durch den Regenwald gemacht und unter einem Wasserfall geduscht. Auch wenn das die beiden Häkchen auf meiner Liste waren, war die Reise mehr. Denn sie hat mich dazu animiert, mich in die Geschichte des Landes einzulesen. Viele der schönen karibischen Strände sind viele Jahre tabu gewesen für Kubaner. Das Schnorcheln direkt am Korallenriff, die vielen bunten Tiere, sie kannten das nicht. Noch heute ist die Armut überall präsent – und führt zu bisweilen skurrilen Abzockmethoden. Und doch, als wir in Not waren, als unser Auto ohne Benzin auf der Autobahn liegen blieb, waren sofort Helfer vor Ort. Ohne Gegenleistung.
Auf La Palma bin ich auf einen Vulkan geklettert und habe Delfine schwimmen sehen. Doch die Insel zeigt viel mehr, zum Beispiel, wie Tourismus und Natur einhergehen. Wer die großen kanarischen Inseln kennt, kennt Berge, Grün und Meer – in Kombination mit Bettenburgen. Deutsche Lokale an jeder Ecke, der Kioskmann spricht deutsch, der Gastwirt sowieso. La Palma, das ist der Ursprung, den es zu beschützen gilt.
Die kleinen Dinge für zu Hause
Nicht alle Dinge haben mit dem Ausland zu tun, manche kann ich vom Wohnzimmer aus erledigen (Mädchenfilme und Nutella zum Frühstück im Schlafanzug, ein Buch schreiben), andere bedürfen etwas Vorbereitung (Halbmarathon laufen, zehn Freunden Briefe mit Liebenswertem schreiben), wieder andere erlaube ich mir häufig (Schnellballschlacht, im Whirlpool herumlungern). Doch eines verbindet nahezu alle: Ich lerne. Ich lerne mehr über meine Umwelt, über mein Leben, über meine Bedürfnisse, über mich. Ich lerne, was ich will, was ich kann und wo meine Grenzen sind.
48 Punkte sind auf meiner Liste, die inzwischen mehr als 100 Dinge umfasst, noch offen. Sie wird immer erweitert. Es ist mein Leben, warum sollte ich es auf 100 schöne Dinge begrenzen? Im kommenden Jahr werde ich mir zwei der größten Wünsche erfüllen: Ich habe vor wenigen Wochen mit den Vorbereitungen auf ein Sabbatical begonnen. Ich werde zurückkehren nach Kenia, ein Land, in das ich mich auf den ersten Blick verliebte. Ich werde Entwicklungshilfe leisten, ich werde Kindern ein stückweit helfen, ich werde die Natur genießen. Und ich werde mit neuen Erkenntnissen zurückkehren.
(Foto: Johanna Richter by jugendfotos.de)