Es geht durch Schlamm, über Feuer und Netze: Etwa 4000 Sportler laufen, klettern und robben sich am Wochenende bei sonnigem Wetter in München beim “Spartan Race“ durch die Hindernisse. Es war das erste Mal, dass dieses Rennen in Deutschland veranstaltet wurde und auch mein erstes Mal bei einem solchen Lauf.
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Anstatt irgendeinem Mitmenschen meine Umzugshilfe anzubieten, schleppe ich Sandsäcke, Autoreifen und mich selber über künstlich angelegte Hügellandschaften sowie Treppenstufen hinauf und wieder hinab. Statt irgendwo einen kaputten Zaun zu reparieren oder Tierställe auszumisten, ziehe ich mich an Strohballen hoch, um so schnell wie möglich wieder von ihnen herunterzuspringen.
Wasser spritzt mir ins Gesicht, meine Haare hängen im Stacheldraht fest. Doch ich robbe weiter den Hügel nach oben. Meine Knie sind bereits wund, mein Schienbein blau, meine Ellbogen aufgekratzt. Die Schuhe des Typen vor mir kommen meinem Gesicht gefährlich nahe. Hunderte sind gleichzeitig mit mir gestartet und einige davon kämpfen sich gerade durch das gleiche Hindernis.
Was tue ich hier eigentlich?
Ich muss weder eine Burg erobern, noch werde ich in absehbarer Zeit Teil eines Militäreinsatzes sein. Bei der Deutschland-Premiere der weltweit ausgetragenen „Spartan-Race“-Serie erobere ich mit tausend anderen den Olympiapark, um ein Hindernisrennen zu bewältigen. Mit dem Schlachtruf „Aroo“ nehmen wir den Parcours quer durch den Park, über den Olympiaberg bis ins Stadion in Angriff. Auf einer Strecke von etwa zwölf Kilometern treffen wir auf 21 unterschiedliche Hindernisse.
Seit Wochen erhalte ich regelmäßig eine E-Mail vom Veranstalter mit einem empfohlenen Trainingsplan. Seit Wochen verschiebe ich diese Mail auch direkt weiter in den Spam-Ordner. Kurz vor dem Start schaue ich mir noch ein Imagevideo des Hindernislaufs an und fühle mich wie vor einem Kriegsmarsch, bei dem man erschossen wird, sobald man sich nicht an die Regeln hält oder einen Speer nicht weit genug werfen kann – solch eine Dramatik übermitteln mir die Bilder. Ich habe ein wenig Panik.
Mach ich das hier freiwillig?
Es geht den Olympiaberg hinauf. Die Sonne sticht mir ins Gesicht. Neben mir, vor mir, hinter mir: Schnaufen. Manche wagen den Blick nach oben, um zu sehen, wie weit es noch ist. Manche tragen ein Bananenkostüm, andere Schutzschilder. Ich denke an Schnitzel. Schnitzel mit viel Pommes, Ketchup, Mayo, ohne Salat. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen. Nicht mal ein Drittel des Rennens ist bisher geschafft.
Als wir ins eiskalte Wasser springen, schlägt mein Herz wie verrückt. Wie zur Hölle soll ich mich in diesem Zustand an dem Seil etwa fünf Meter hochziehen? Mir bleibt kurz die Luft weg, als Strafe muss ich 30 Burpees absolvieren, von denen ich bis gestern nicht mal wusste, dass sie existieren. Später versuche ich auf beweglichen Fässern den Olympiasee zu durchqueren. Direkt neben mir verläuft eine Fußgängerbrücke – dieser Weg wäre deutlich einfacher, aber auch langweiliger gewesen.
Eine meterhohe Holzwand muss überwunden werden, ich schlage mir mein Schienbein schon wieder an, mit 20 Zentimeter Umweg hätte ich mein Ziel dahinter auch bequemer erreichen können. Aber ich tue so, als ob ich keine andere Wahl hätte. Die Dame hinter mir lässt noch einen Motivationsschrei los, aber mein Mund ist viel zu trocken dafür. Was zum Trinken wäre jetzt fein.
Warum tue ich mir das eigentlich an?
Hätte ich mal anständig trainiert, denke ich mir. Ärgere mich. Laufe weiter. In meinen Schuhen steht das Wasser. Irgendwann erreiche ich den Punkt, an dem einem alles egal ist. An dem man nicht mehr an die Blasen am Fuß, das schmerzende Knie, den fehlenden iPod mit der Laufmusik oder die sich belustigende Menge nebenan denkt, sondern einfach macht. An dem Punkt, an dem man Hindernis nach Hindernis hinter sich bringt und sich freut, wenn die Strecke einfach mal ein Stück geradeaus geht.
Neben mir, vor mir, hinter mir. Überall Menschen. Wir alle wollen es schaffen. Der Typ vor mir reicht mir die Hand, als ich auf der nassen Schräge wieder nach unten zu rutschen drohe. Teamarbeit ist hier gefragt. Und die Bereitschaft, sich zu überwinden. Es ist eine Chance, um es sich selbst zu beweisen.
Die Spartaner drangen zwischen 1 200 und 1 000 v. Chr. in das Land am Eurotas ein und unterwarfen die dort lebenden Einwohner. Die Spartaner im Olympiapark kämpfen auch gegen Widerstände – die des eigenen Körpers. Ganz ohne kriegerische Absichten.
Wieso sollte ich sowas tun?
Was wir hier tun, ist eigentlich sinnlose Energieverschwendung. Wir hieven etwas hoch und lassen es Sekunden später wieder fallen. Wir erbauen hier kein Haus oder befreien eine gefangen genommene Prinzessin. Nein, wir quälen uns durch künstliche Hindernisse oder gehen einen Weg dreimal, nur um vordergründig eine Leistung erbracht zu haben und um uns darin mit anderen zu messen.
Aber spätestens, als wir wie kleine Kinder über ein Feld voller Autoreifen hüpfen müssen, wird es mir bewusst: Das hier ist einfach ein großer Spielplatz. Ein Spielplatz für all diejenigen, die es vermissen, Kies in Eimern durch die Gegend zu tragen, um ihn 300 Meter weiter wieder auszuschütten; die sich liebend gerne im Schlamm wälzen, über aufgespannte Netze klettern und über Stock und Stein stolpern.
Vielleicht sollte ich nächstes Wochenende, meinem Nachbarn anbieten, ihm beim Umzug zu helfen oder vielleicht sollte ich mal wieder Ställe ausmisten. Dann wäre die Energie nicht restlos vergeudet. Aber bis dahin robbe ich mich unter Stacheldraht hindurch und habe am Ende sogar noch Spaß daran.
(Text: Christina Hubmann / Fotos: Anna Welzel)