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Schotten dicht!

Die arabischen Freiheitsbewegungen stellen Europa auf die Probe. Dabei glänzt der Kontinent nicht mit warmen Gesten sondern agiert mit harter Hand. Amnesty International klagte nicht nur die Flüchtlingspolitik im Zuge der Nahost-Bewegung an. Vielmehr zeige sich Europa insgesamt von fremdenskeptischer Seite.


Die Türkei hat Zeltstädte errichtet, um die Flüchtlingswelle aus Syrien auffangen zu können. 10 000e sind auf türkischem Boden bereits untergebracht. Am 18. Juni besuchte Schauspielerin Angelina Jolie ein Flüchtlingslager in Altinözü. Sie hatte kistenweise Spielzeug im Gepäck und grüßte nett. Die Sonderbotschafterin des Uno-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) sollte ein Hoffnungsschimmer am trüben Himmel sein. Es war jedoch wohl nicht mehr als ein kurzes Aufflackern im Glauben an eine bessere Welt.
Zu unterdrückt fühlen sich die Flüchtlinge in ihren Lagern. Weitestgehende Isolation und ein Besuchsverbot sowie die Untersagung des Fortführens von Anti-Assad-Demonstrationen schlagen auf die Gemüter.

Die Abwehr des „menschlichen Tsunami”

Doch nicht nur die Türkei muss sich gegen Kritik in der Flüchtlingspolitik verantworten. Auch viele Staaten der EU stehen im Fokus. In Italien formierte sich landesweiter Widerstand gegen die lybischen und tunesischen Flüchtlinge, die vor den Gewalt-Regimes flohen. Über 25 000 Bootsflüchtige wurden gezählt, sie kamen primär aus Tunesien.Insbesondere die Mittelmeerinsel Lampedusa machte im Laufe der Entwicklungen auf sich aufmerksam. Zahlreiche Hilfesuchende strandeten auf der Insel, wurden dort jedoch wenig freudig empfangen. Italiens Oberhaupt Berlusconi stattete sie mit sechsmonatigen Bleiberechten aus. Die Flüchtlinge sollten nicht italienischen Boden bevölkern, mit dem Schritt sollte der „menschliche Tsunami”, wie es aus italienischen Regierungskreisen hieß, auf die EU verteilt werden. Aus den Augen aus dem Sinn. Man verlagerte das Problem auf europäisches Festland.

Italien, Libyen und Frontex
Italien hatte schon ein Jahr zuvor ein Abkommen mit dem nun verfluchten Gaddafi abgeschlossen. Italien schickte Flüchtlinge aus Libyen zurück, der Gaddafi-Staat internierte diese dann. Misshandlungen in den Lagern waren an der Tagesordnung, die Flüchtlinge waren auch als politische Querulanten, die sich nicht mit dem libyschen Herrscher identifizierten, gebrandmarkt.

Darüber hinaus stellte das rigorose Vorgehen bei der Flüchtlingsabwehr auf Kritik. Die Schiffe wurden auf hoher See lokalisiert, mussten dann oftmals umdrehen und wurden ihrem Schicksal und den Wellen überlassen. Die schwimmenden Nussschalen sind fast immer überbesetzt, sie treiben auf Messers Schneide. Amnesty International plädiert dafür, dass auch das Meer kein rechtsfreier Raum sei. Auch dort müssten Verstöße gegen die Genfer Konvention geahndet werden. Dem ist aber meist nicht so, vielmehr lobte die Europäische Union laut AI die Kooperation zwischen Libyen und Italien. Die Grenzschutztruppe der EU, Frontex, agiert seit 2007 mit rigiden Mitteln, um Europa abzuschotten.

Doch auch die restlichen EU-Staaten verschlossen die Augen. Die Flüchtlinge stießen auf taube Ohren, das italienische Flüchtlingsproblem solle doch ein solches bleiben. So wurde aus dem internationalen Konstrukt der Europäischen Union ein vielgliedriges nationales Abgrenzungsprojekt. Die Schotten wurden dicht gemacht. Dänemark führte wieder Grenzkontrolle ein, während in Frankreich der Zugverkehr unterbrochen wurde, um die Weiterreise der tunesischen Flüchtlinge zu unterbinden. Die Zeit der Schlagbäume schien passé, doch spätestens die arabischen Revolutionen lassen die europäischen Politiker zur Isolation zurückkehren.

Über die Landesgrenze nach Griechenland
Nicht nur über den Seeweg suchen Flüchtlinge den Weg nach Europa. Laut Frontex und AI ist insbesondere der Weg über die Landesgrenze nach Griechenland auf der Beliebtheitsskala gestiegen. Im Vergleich zum Jahre 2009 ist die Anzahl der Flüchtlinge über diesen Weg um 372 Prozent gestiegen. Insgesamt 31.186 Flüchtlinge suchten den Weg über die Landesgrenze hinein nach Griechenland.

Auf dem 185 Kilometer langen Grenzstück zwischen der Türkei und Griechenland am Fluss Evros suchen zahlreiche Hilfsbedürftige nach einer besseren Zukunft in europäischem Gebiet. Doch auch hier kontrollieren Frontex-Mitarbeiter die Grenze. Die Flüchtlinge werden teilweise zurück in den Fluss geworfen, oder sie kommen in Flüchtlingslager wie das in Fylakio. Auch hier herrschen die branchenüblichen katastrophalen Bedingungen.

Ein Zaun soll helfen
Die Betroffenen entschlossen sich in einem der Flüchtlingslager zu einem Hungerstreik. Vier bis fünf Wochen verweigerten sie jede Nahrungsaufnahme – letztendlich sogar mit Erfolg. Innenminister Jannis Ragoussis wollte zwar keine Aufenthaltserlaubnis für die Streikenden durchsetzen, versprach ihnen aber immerhin eine sechsmonatige Duldung. Ein kleiner Teilerfolg, und dennoch nur eine kleine Etappe der Odyssee.
Um die Abwehr von Flüchtlingen noch effizienter zu gestalten, plant Griechenland einen 206 Kilometer langen Zaun zur türkischen Grenze. Nach amerikanischem Vorbild sollen die Schotten mit einem Zaun dichtgemacht werden. Die Amerikaner haben vor Jahren einen solchen an der mexikanischen Grenze erbaut.

Im Gespräch mit Amnesty International erklärte Sozialwissenschaftler Andreas Zick, dass in Europa eine Fremdenfeindlichkeit grassiert, die sich vor allem in der Flüchtlingspolitik äußert und durch diese auch verschärft wird. Isolation schafft auch Vorurteile in der Bevölkerung. Nach einer Studie, an der auch Zick als Mitautor beteiligt war, meint die Hälfte der Europäer, dass im eigenen Land zu viele Zuwanderer leben. Insbesondere die Islamfeindlichkeit wurde forciert – verstärkt durch die Terroranschläge. Laut Zick und AI sollen rund 80 Prozent der Deutschen der Meinung sein, dass der Islam nicht nach Deutschland passe.
Insgesamt hätten die arabischen Revolutionen Anlass geben können, um ein eventuell antikes Bild der arabischen Welt in Europa zu überdenken. Die Europäische Union  und ihre Staaten haben sich zunächst anders entschieden, sie machen die Schotten dicht.

(Text: Jerome Kirschbaum / Foto: Felix Syrovatka by jugendfotos.de)

Jerome K.

Jerome schreibt am liebsten über Sport, wenn er denn nicht selbst auf einem Platz steht. Seit Oktober 2010 verdingt sich Jerome als Schreiberling für back view, neben den Leibesübungen widmet er sich sich auch politischen Themen. Im wahren Leben musste Jerome zahlreiche Semester auf Lehramt studieren, um dann schlussendlich doch etwas ganz anderes zu werden.

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