Eben jener Marquez hat den Vorteil, über ein deutlich höheres Budget als der Deutsche zu verfügen. Obwohl fast alles für den Spanier spricht, kann es bis zum Schluss ein enges Duell um die WM-Krone werden.
Es sieht jedoch nicht gut aus für Stefan Bradl in der Moto 2-Kategorie der Motorrad-Weltmeisterschaft. Der Bayer fährt seine siebte Saison. Die Dominanz der ersten Rennen ist längst verflogen. Mit einem ungefährdeten Start-und Ziel-Sieg startete Bradl im April in Qatar in die Saison seines Lebens. Bis zum siebten Lauf im niederländischen Assen holte der 21-Jährige weitere Rennsiege in Estoril, Barcelona und Silverstone.
Die WM-Führung baute er kontinuierlich aus. In Assen dann der Wendepunkt: Der Kalex-Pilot stürzte drei Runden vor Rennende. Der Spanier Marc Marquez, amtierender Weltmeister der 125ccm³-Klasse, siegte und rückte auf den zweiten Rang der WM-Tabelle vor.
Zwischenzeitlich 62 Punkte Vorsprung
Trotz des Fauxpas in Assen hatte Bradl beruhigende 57 Punkte Vorsprung auf Marquez, wenn man bedenkt, dass es für einen Rennsieg wie in der Formel 1 25 Punkte gibt. Zwischenzeitlich betrug der Vorsprung auf Marquez sogar 62 Punkte, da der Spanier bei den ersten drei Rennen entweder ausschied oder nicht die Punkteränge erreichte. Seit Assen ist Marquez für Bradl wie ein ständig näher rückender Schatten. Ein Rivale, den der Bayer auf der Strecke seitdem nicht mehr schlagen konnte. Das Ausnahmetalent aus Spanien ist Bradls einzig verbliebener WM-Gegner. Rechnerisch hat kein anderer Fahrer mehr die Chance auf den Gewinn der zweithöchsten Klasse der Motorrad-WM.
Die Form des Spaniers zeigt stetig nach oben, während Bradls bergab geht. Seit acht Rennen ist der Bayer sieglos, hat weiter vier Siege auf seinem Konto, während Marquez acht Mal ganz oben auf dem Treppchen stand.
Marquez neuer Gesamtführender
Seit dem letzten Rennen im japanischen Motegi zog Marquez mit einem zweiten Platz an Bradl in der Gesamtwertung vorbei, der Platz vier belegte. Der Spanier hat einen Punkt Vorsprung auf den Deutschen. Drei Rennen stehen noch aus. Der nächste Grand Prix findet auf Phillip Island in Australien statt. Eines von Bradls Lieblingsrennen. Trotzdem spricht momentan alles für Marc Marquez.
Für den größten Vorteil gegenüber Bradl kann Marquez nichts. Es ist sein Heimatland. In Spanien wird Motorrad gelebt. Der Zweiradsport ist einer der Beliebtesten des Landes. Zu den Heimrennen pilgern tausende von fanatischen Fans an die Strecken. Bestes Beispiel ist der Lauf im Mekka des Motorrad-Rennsports in Jerez, der jährlich über 200.000 Zuschauer am Rennwochenende anlockt.
Abgesehen davon stellt das Land die meisten Fahrer in den drei Klassen der Motorrad-Weltmeisterschaft. In der Königsklasse Moto GP sind es alleine fünf Fahrer – bei einem Starterfeld von 17 Piloten. Der amtierende Weltmeister der Klasse ist Jorge Lorenzo, auch ein Spanier. Außerdem gastiert der Rennzirkus auf vier spanischen Strecken. Das liegt insbesondere daran, dass der Vermarkter der WM, die Dorna, ihren Sitz auf der iberischen Halbinsel hat.
Potenzieller Nachfolger von Rossi
Vor allem für spanische Sponsoren ist die Motorrad-WM reizvoll. Und das spielt Marquez in die Karten. Er wird in der Szene als neuer Valentino Rossi gehandelt. Der Italiener ist neunfacher Weltmeister und für viele Experten der beste Motorradfahrer aller Zeiten. „Der Doktor” ist der mit Abstand beliebteste Pilot bei den Fans auf der ganzen Welt und das Aushängeschild seiner Sportart.
Um in Rossis Fußstapfen treten zu können, wird in Spanien alles unternommen, um Marquez optimal auf seinen Weg in die Moto GP zu unterstützen. Der Hauptsponsor seines Teams ist der spanische Ölkonzern Repsol. Das Unternehmen finanziert seit Jahren das Honda-Werksteam in der Moto GP, für das der derzeit WM-Führende Australier Casey Stoner sowie Marquez Landsmann und dreifache Weltmeister Dani Pedrosa fahren.
Marquez findet in seiner Moto 2-Mannschaft die besten Voraussetzungen vor. Um sich optimal auf die ausstehenden Saisonrennen vorzubereiten, war der erst 18-Jährige Mitte September drei Tage lang in Valencia testen, während Stefan Bradl zum Zuschauen verdammt war. Seinem deutschen Team Viessmann Kiefer Racing fehlt dafür das nötige Geld. Bradls Teamchef Jochen Kiefer ist der Meinung, dass seine Truppe nicht einmal über die Hälfte des Budgets verfügt, was Marc Marquez und seine Mannschaft besitzen.
Wegen dieser gravierenden Unterschiede überlegt Bradl, nächstes Jahr in einem anderen Moto 2-Team zu fahren. Der Bayer erwartet bei einer Vertragsunterschrift von seinem aktuellen Arbeitgeber mehr Professionalität in vielen Bereichen wie der Planung von Testfahrten und Reisen.
Bradls Moto GP-Traum zerplatzt
Das Problem der Finanzierung hat vor ein paar Wochen Bradls großen Traum zerstört. Er wollte ursprünglich mit seinem Viessmann Kiefer Racing-Team in die Moto GP aufsteigen. Eine Honda wurde bereits reserviert. Das Unternehmen Viessmann ließ den sicher geglaubten Aufstieg des größten deutschen Motorrad-Talents der letzten Jahre aufgrund der zu hohen Kosten urplötzlich platzen. Ein neuer Hauptsponsor ist nicht in Sicht. Bradl muss in der nächsten Saison weiter mit der Moto 2-WM vorlieb nehmen, da in den meisten Moto GP-Teams die Plätze vergriffen sind oder eine Mitgift in Form von Sponsoren erwartet wird.
Bradls Problem: Er ist ein Top-Talent in einer Sportart, die in seiner Heimat kaum Beachtung findet. Nur so ist es zu erklären, dass es nur wenige Talente in die Weltmeisterschaft schaffen. Aufgrund der zu hohen Kosten ist es für deutsche Fahrer schwer, Top-Material zu finanzieren sowie Sponsoren zu finden. Deswegen ist Bradls Leistung in diesem Jahr nicht hoch genug einzuschätzen.
Bradl glaubt weiter an den Titel
Trotz der unterschiedlichen Voraussetzungen und dem erneuten Rückschlag im Kampf um die Moto 2-Krone, glaubt der 21-Jährige weiter an seinen ersten Titel. “Ich habe zwar die WM-Führung verloren, aber noch nicht die WM”, sagte der Bayer dem Sender Sport1 kämpferisch.
Der Bayer möchte es besser machen als sein Vater Helmut, der damals auch in der Weltmeisterschaft fuhr. Bradl junior hat sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, einen Platz in der Endabrechnung besser zu sein als sein Vater. Der wurde 1991 in der 250ccm³-Klasse Vizeweltmeister.
(Text: Marlo Mintel)