Einen Film über Goethe zu machen – den deutschen Dichterfürsten, das literarische Genie – ist immer ein Wagnis. Zu groß ist die Gefahr, dieser Figur nicht gerecht zu werden, diesem Poeten, der alles wusste, alles konnte, der Schriftsteller, Künstler und Botaniker in einem war. Philipp Stölzl hat es gewagt und Goethe als Popstar auf die Leinwand gebracht.
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Dass sein Film funktioniert, liegt grundsätzlich daran, dass er sich auf einen kurzen Ausschnitt im Leben Goethes beschränkt. So konzentriert sich „Goethe!” auf die wohl glühendste Zeit im Leben des großen Dichters, als dieser noch kein Genie war, noch nicht Begründer der Weimarer Klassik, sondern ein unentschlossener junger Mann, zwischen Pflicht und Neigung, zwischen dem Zwang Jurist zu werden und dem Wunsch zu dichten.
„Goethe ist 23, er redet viel und trinkt nicht wenig” – so stellt die Erzählerstimme den jungen Mann vor, der weit davon entfernt ist, ein Genie zu sein. Weil er lieber Lessing als Paragraphen studiert, wird er von seinem Vater nach Wetzlar geschickt. Dort soll er ein Rechtspraktikum am Reichskammergericht machen und wird hierfür dem jungen Legationsrat Albert Kestner (Moritz Bleibtreu) untergeordnet. Für Goethe beginnen triste Tage zwischen staubigen Aktenstapeln. Ein kleiner Hoffnungsschimmer ist die Begegnung mit der quirligen Charlotte „Lotte” Buff (Miriam Stein), die Goethe dazu ermuntert, an sich zu glauben und sein Talent zu verwirklichen. Goethe verfällt ihr Hals über Kopf, nicht ahnend, dass seine Lotte längst einen Verlobten hat: Albert Kestner.
Das eigene Liebesunglück verarbeitet Goethe einige Jahre später in seinem Briefroman „Die Leiden des jungen Werther”. Wegen des Freitods des Helden ist das Buch ein Skandal, wird über Nacht zum Bestseller und löst eine Jugendbewegung aus, die sich im Tragen des blau-gelben Werther-Looks und zahlreichen Freitoden äußert. Von einem Tag auf den anderen ist Goethe in ganz Europa bekannt, wird zum Literaturstar, zum Genie.
Dass die Handlungselemente nicht immer mit der geschichtlichen Wahrheit übereinstimmen, sollte man Regisseur Philipp Stölzl verzeihen, ist „Goethe!” doch nicht als Historiendrama konzipiert. Natürlich hatten Goethe und Lotte niemals Sex in der Burgruine, natürlich war der „Werther” nicht als Brief an Lotte gedacht. Und natürlich saß Goethe nicht im Wetzlarer Kerker, weil er sich mit Albert Kestner, der in der Realität übrigens Johann Christian Kestner hieß, duellieren wollte. Hier hat sich der Regisseur gewisse Freiheiten genommen.
Ein glückliches Händchen hat er in jedem Fall bei der Zusammenstellung seiner Filmbesetzung bewiesen. Alexander Fehling gibt einen attraktiven, lebendigen Goethe, der mit seinem ungestümen Wesen mitreißt und überzeugt. Newcomerin Miriam Stein verleiht der Figur der Lotte eine mädchenhafte Natürlichkeit, die regelrecht bezaubert. Mit schauspielerischen Größen wie Moritz Bleibtreu, Henry Hübchen und Burghart Klaussner ist der Film zudem bis in die Nebenrollen stark besetzt.
Frei nach dem Motto „Goethe für alle” zeichnet der Regisseur ein entstaubtes Bild einer Literaturlegende. Er präsentiert dem Kinobesucher einen jungen Goethe, der noch auf der Suche nach sich selbst ist. Dabei rückt er vor allem jenen Moment ins Licht, in dem Goethe hätte scheitern können, wenn er nicht an sich selbst geglaubt hätte.
Fazit: Womöglich haben eingefleischte Goethe-Fans ihre Schwierigkeiten mit diesem Film. So manchen Literatur-Laien dürfte er allerdings auch dazu anregen, den einen oder anderen Klassiker des Dichters in die Hand zu nehmen.
Bewertung: 4 von 5 Sternen
(Text: Julia Hanel / Zeichnungen: Christina Koormann)