„Seven little numbers, they could be a start” heißt es in der ersten Single von BOY. Ihr Album „Mutual Friends” verzaubert dagegen mit zwölf Nummern. Tiefgreifende Texte versetzen in Herbstmelancholie und eine verspielte Instrumentalbegleitung kitzelt die Seele wie die letzten warmen Sonnenstrahlen die Haut. Der perfekte Spätsommer-Soundtrack.
back view: Euer Album erscheint vielen wie ein Produkt drei Jahre langer Arbeit. Gab es für euch so etwas wie einen „Tag danach”, an dem ihr aufgewacht seid und euch dachtet – das war es jetzt, jetzt warten wir nur noch auf die Veröffentlichung?
Valeska: Ja, es gab dieses spezielle, umwerfende Gefühl, als das fertige Maß da war. Wir haben ja sehr lange für das Album gebraucht und auch immer wieder Änderungen vorgenommen. Das fertige Album dann zu hören und zu wissen, dass es das jetzt ist – das war schon ein ganz großes Gefühl!
Wie war es, das fertige Album zum ersten Mal Freunden und Familie zu zeigen?
Sonja: Super! Unsere Familie und unsere Freunde haben die Songs zwar auch immer wieder in ihrer Rohfassung gehört und den Prozess der Albumaufnahme auch mitbekommen. Aber es war schon richtig schön, das Album dann fertig zu verschenken und zu sagen – hey, so hört sich das an. Und es hat sogar ein Cover! (lacht)
Ihr habt euch 2005 auf dem Popkurs in Hamburg kennen gelernt. 2007 bist du, Valeska, dann aus der Schweiz nach Hamburg gezogen. Hast du das gemacht, weil BOY es dir wert war?
Valeska: BOY gab es bei meinem Umzug damals noch gar nicht richtig. Ich hatte Sonja 2005 zwar kennen gelernt, aber ich mochte auch die Stadt Hamburg sehr gerne und hatte Lust auf etwas Neues! Erst nachdem ich dann richtig in Hamburg war, habe ich mich wieder bei Sonja gemeldet und wir haben BOY gegründet.
Also hattet ihr vorher gar nicht so viel Kontakt?
Sonja: Nein. Wir haben uns zwar immer wieder geschrieben, aber nicht so regelmäßig.
Valeska: Konkret Pläne geschmiedet haben wir dann erst, als ich richtig in Hamburg war.
Wann wart ihr soweit, dass ihr euch bei den Plattenfirmen bewerben wolltet?
Valeska: Das war so nach der Hälfte der Aufnahme des Albums. Am Anfang sind wir auch nicht besonders auf Anklang gestoßen. Aber wir haben einfach die Platte fertig gemacht und dann sind wir Ende letzten Jahres mit Grönland ins Gespräch gekommen und haben jetzt im Frühling den Vertrag unterschrieben.
Und wie seid ihr mit den Niederlagen umgegangen?
Sonja: Das war schwer zwischendurch. Wir haben so hart an dem Album gearbeitet und so viel Zeit und Liebe investiert und fanden es einfach so schade, dass scheinbar niemand es haben wollte. Irgendwann haben wir beschlossen, es trotzdem selbst fertig zu machen. Im Nachhinein finde ich gerade das so erstaunlich – dass wir drei, also Valeska, ich und unser Produzent Philipp Steinke uns wie in einem Wahn befunden haben. Wir wollten das Album machen und Basta! Wir haben uns nicht abschrecken lassen! Ich glaube, das ist der Grund dafür, dass wir jetzt hier stehen.
Die Leute kennen BOY eigentlich als zwei Mädchen mit Gitarre und eure Lieder dementsprechend nur in ihrer akustischen Version. Auf dem Album spielt jetzt eine ganze Band…
Sonja: Eben so, wie die Lieder von Anfang an gedacht waren!
Valeska: Ja, eigentlich muss man sich das umgekehrt vorstellen. Die Lieder sind als Bandversion entstanden und wir mussten sie auf die Acousticversionen runterbrechen, damit wir auch zu zweit loziehen und spielen konnten!
Sonja: Das war übrigens gar nicht so leicht! Wir mussten unser Gitarrenpiel seeehr verbessern! (lacht)
Und die Resonanz eurer Fangemeinde, die eigentlich die Acousticversionen gewöhnt ist…?
Valeska: Naja, wir waren schon auf Skepsis vorbereitet, gerade, weil man sich ja oft in das verliebt, was man eben als erstes kennen lernt. Einige Fans haben auch geschrieben, dass sie es schade finden, dass die Lieder auf dem Album so anders klingen und dass ihnen die Acousticversionen besser gefallen haben. Aber wir haben auch sehr, sehr viel positives Feedback erhalten!
Sonja: Viele haben auch gerade weil sie nur die Acousticversionen kannten, ganz gespannt auf die Bandaufnahmen gewartet.
Valeska: Und wir selbst haben jetzt zwei Möglichkeiten. Wir können im Duo spielen, oder auch in der Band. Und dass die Bandvariante mehr zum Zug kommen kann, ist auf jeden Fall großartig!
Und wer hat bei der Produktion das letzte Wort behalten?
Sonja: Tja, das letzte Wort hatten wir alle drei! Also Valeska, ich und unser Produzent Philipp. Wir haben bis zum letzten Ton diskutiert, weswegen die Arbeit an dem Album auch so lange gedauert hat! Manchmal waren zwei einer Meinung und der dritte nicht und manchmal war das natürlich zum Haareraufen und man dachte sich – ach, jetzt findet das doch einfach alles gut! (lacht)
Valeska: Aber im Endeffekt wäre es schlimm gewesen, wenn sich das Album für einen von uns wie ein Kompromiss anfühlen würde. Wir hatten von Anfang an vereinbart, erst aufzuhören, wenn wirklich jeder zufrieden ist. Da hatten wir mit unserem Philip großes Glück. Ich bin sicher, es gibt auch Produzenten, die, um den Überblick nicht zu verlieren, auch mal ein Machtwort sprechen und den Diskussionen ein Ende setzen. Unser Verhältnis hingegen war von Anfang bis Ende gleichberechtigt.
Gab es denn ein Sorgenkind auf der Platte, über das besonders lange diskutiert wurde?
Beide: Oh ja! Waitress! (lachen)
Sonja: Von Waitress existieren einige Versionen…
Und welches lief dagegen richtig gut?
Sonja: Little Numbers! Vielleicht auch gerade, weil es das letzte Lied war, das wir aufgenommen haben. Wir waren alle ganz locker und es kam uns einfach zugeflogen. Auch das Schreiben ging einfach schnell.
Ist das auch der Grund, warum Little Numbers eure erste veröffentlichte Single ist?
Sonja: Der Song hat etwas Ungestümes, etwas Wildes. Man merkt eine gewisse Energie und deswegen haben wir uns dafür entschieden!
Valeska: Wahrscheinlich kommt diese Energie auch aus der lockeren Entstehungsphase heraus. Es war uns allen sofort klar, dass DAS die Single ist!
Und habt ihr sonst einen persönlichen Liebling?
Sonja: Mein derzeitiger Liebling ist Railway. Der Text geht mir sehr, sehr nah!
Valeska: Ich mag July. Ich mag die Bläser und diese Stimmung, die beim Anhören entsteht. Es ist ein Gefühl des Ankommens und passt einfach als letztes Lied auf der Platte.
Mittlerweile werdet ihr im Radio gespielt und habt ein Video produziert. Gibt es Momente, in denen ihr richtig merkt, dass ihr bekannter werdet?
Sonja: Für mich war es ein ganz besonderes Gefühl, als Leute, die wir gar nicht kannten, unsere Lieder mitgesungen haben.
Valeska: Manchmal werden wir auch auf der Straße angesprochen! Das ist jedes Mal irgendwie überraschend und fühlt sich ein bisschen komisch an.
Habt ihr Angst davor, dass ihr euch, damit es finanziell läuft, vielleicht irgendwann von eurem eigenen Stil verabschieden und eher am Geschmack der breiten Masse orientieren müsst?
Valeska: Nein! Wir hoffen, dass wir von dem leben können, was es jetzt ist. Wir wollen uns nicht verbiegen. Ich glaube, der eigene Stil und dass ich hinter der Musik stehe, ist mir auf jeden Fall wichtiger als Geld! Viele Plattenfirmen haben uns mit ihrer Absage ja auch ein paar Tipps gegeben, wir hätten also schon noch an unseren Songs feilen und sie ändern können, so dass es den Plattenfirmen gefällt, aber da haben wir auch gar nicht dran gedacht.
Ihr seid gut, ihr habt hart gearbeitet, ihr habt nicht aufgegeben, trotz allem – wie viel Glück hattet ihr? Wie viel Zufälle gab es, wie oft wart ihr einfach nur zur richtigen Zeit am richtigen Ort?
Sonja: Ehrlich gesagt, ich hatte ganz oft das Gefühl, dass wir einfach Glück hatten. Manchmal wurden wir auf einmal von Menschen unterstützt, von denen wir gar nicht wussten, dass es sie gibt.
Valeska: Es ist einfach faszinierend, zu sehen, wie die Dinge sich richtig entwickelt haben. Die Zeit, in der uns so viele Plattenfirmen abgewiesen haben, war sehr schlimm für uns…und jetzt im Nachhinein sehe ich, dass wir dabei unheimliches Glück hatten, sonst wären wir nicht bei Grönland gelandet! Irgendwie ist also für uns ganz, ganz viel richtig gelaufen, ohne dass wir es damals schon wussten.
Wenn ihr jungen Musikern einen Rat geben würdet…
Valeska: Dann würde ich den Popkurs in Hamburg empfehlen! Der Kurs ist eine großartige Kontaktbörse für junge Musiker!
Sonja: Und dann muss man dranbleiben! Wenn man weiß, dass man Musik machen möchte, dann darf man nicht aufgeben, man muss sich genug Freiraum zum Spielen lassen und sich selber treu bleiben – besonders wenn man auf Leute trifft, die einem vielleicht ein Angebot machen, was in eine andere Richtung geht! Das zahlt sich im Endeffekt aus!
Euer letztes Konzert findet am 30.Oktober in Hamburg statt. Was macht ihr am Tag danach?
Valeska: Schlafen! Und endlich wieder in Ruhe ein paar Freunde treffen.
Sonja : Ich werde auch schlafen! Und am 31. Oktober gehe ich auf ein Konzert von Bon Iver in Berlin.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Julia Grass.
(Fotos: Benedikt Schnermann, ADD ON Music)