Ein Achtel der Deutschen ist mittlerweile bei Facebook angemeldet. Während die Politik vielleicht Einfluss auf die Rahmenbedingungen unseres Lebens nimmt, haben soziale Netzwerke Zugriff auf unsere Beziehungen, unsere Organisation, unser Leben. Ein „Gefällt mir” kann da alles verändern.
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Dass ich mich selbst von sozialen Netzwerken lenken lasse, merke ich bereits, wenn ich nach Schulschluss das erste Mal auf mein Profil zugreife. Seitdem ich Mitglied bin, ist es mir möglich, meinen gesamten Alltag schneller zu organisieren. Zwei Veranstaltungen am selben Tag? Schnell sieht man nach, wer alles kommt und entscheidet sich dann für eine Variante.
Ein Leben ohne Facebook, StudiVZ, Wer-kennt-wen und Co. scheint unvorstellbar. Schließlich besitze ich von den meisten meiner Freunde nicht einmal mehr die Handynummer geschweige denn die Adresse. Bräche der Server eines unserer Netzwerke zusammen, wären wir vermutlich über kurz oder lang aufgeschmissen. Es gäbe keinen spontanen Kaffee bei der Freundin, die kurzfristig aus Berlin angereist ist.
Schnelle Verbreitung von Neuigkeiten
Vor allem aber würden großangelegte Aktionen wie die Occupy-Bewegung, die im Internet proklamiert wurde und über soziale Netzwerke an jeden New Yorker weitergetragen werden konnte, wesentlich kleiner ausfallen. Die schnellere Verbreitung von Neuigkeiten resultiert in rascheren Reaktionen der Gesellschaft auf der ganzen Welt. Plötzlich ist New York nicht mehr allein – auch in anderen Ländern regt sich der Widerstand.
Fast erstaunlich ist es, dass die Affäre um den deutschen Bundespräsidenten nicht via Facebook publik wurde, indem ein spitzfindiger Journalist die Freundschaft Christian Wulffs zu Egon Geerkens aufdeckte. Oder, indem Bettina Wulff einmal zu oft bei einem Luxuslabel, das sie umsonst tragen durfte, auf „Gefällt Mir” klickte. Wer weiß, vielleicht könnte dies Politikern eines Tages dennoch zum Verhängnis werden.
Werbeanzeigen nach Musikgeschmack
Im kleinen Rahmen scheint Facebook mich durchs Leben führen zu wollen, indem es mir Freunde vorschlägt oder Werbeanzeigen schaltet, die mich auf neue CD-Veröffentlichungen aufmerksam machen wollen. Unbewusst liegt jene CD bald in meinem Regal. Ich bin einerseits dankbar dafür, dass man mich auf den Künstler aufmerksam machte, andererseits erschreckt von der hohen Übereinstimmung zwischen meinem Musikgeschmack und den Werbeanzeigen.
Soziale Netzwerke zielen mittlerweile so stark auf die Beeinflussung ihrer Konsumenten ab, dass man den Eindruck hat, sie würden nicht auf eine positive Art und Weise lenken, indem sie kleine Denkanstöße geben. Sie verteilen gelegentlich den Schlag mit dem Zaunpfahl, wenn ihre Nutzer immer noch nicht verstanden haben, dass es notwendig ist, sich Facebook fürs Handy herunterzuladen, um noch mehr in den Strudel der Abhängigkeit zu geraten.
Mein Netzwerk zielt nicht darauf ab, mich nur zum Denken zu bewegen, es möchte gerne alles für mich erledigen. Notwendig und gesund ist dies nicht. Bei all dem Gefallen, den man mit der Zeit am Teilen von Fotos, Beziehungsstatus und Urlaubsort findet, fällt es schwer, diese „Lebensnotwendigkeit” zu kritisieren- und sich nicht im Geringsten von ihr lenken zu lassen.
(Text: Ronja Heintzsch)
TITELTHEMA: “WER LENKT DEUTSCHLAND”
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Über den täglichen Kampf am und um den Briefkasten