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Zypern und die letzte geteilte Hauptstadt

Zwei Männer. Marcos und Ismail. Der eine spricht Griechisch, der andere Türkisch. Der eine zahlt in Euro, der andere in Lira. Der eine isst Schwein, der andere nicht. Der eine trinkt Ouzo, der andere Raki. Marcos und Ismail. Zwei Männer. Sie sind sich nie begegnet. Sie sind so unterschiedlich. Sie leben in derselben Stadt. In Nikosia, würde Marcos sagen. In Lefkoşa würde Ismail sagen. In der letzten geteilten Hauptstadt der Welt, der Hauptstadt der Mittelmeerinsel Zypern.
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Seit dem Krieg 1974 zieht sich die so genannte green line, eine Demarkationslinie, durch die Stadt und teilt sie präzise in einen nördlichen und einen südlichen Bereich. Während sich Besucher im Süden der Stadt die Johannes-Kathedrale ansehen, strömen Besucher im nördlichen Nikosia in die Arabahmet-Moschee.

Marcos und Ismail scheinen in zwei verschiedenen Welten zu leben. Sie sind sich noch nie begegnet. Ob sie es je tun werden? Seit dem 3. April 2008 ist die Wahrscheinlichkeit ein wenig gestiegen. Mit der Öffnung der, durch den historischen Stadtkern laufenden, Ledra-Straße ist der erste Schritt einer Wiedervereinigung der Insel getan. 40 Jahre lang war die schöne Einkaufstraße durch eine massive Mauer und Stacheldraht zweigeteilt gewesen.

Doch der Staatsstreich griechisch-zyprischer Nationalisten von 1974 und die darauf folgende türkische Militärintervention haben nicht nur die Hauptstadt gespalten. Während Marcos in der Republik Zypern zu Hause ist, bezeichnet Ismail die Türkische Republik Nordzypern als seine Heimat. Das macht Marcos zu einem Europäer, Ismail aber nicht. Gegenwärtig will der aber auch keiner sein. Trotzdem leben beide auf derselben Insel. Auf Kýpros würde Marcos sagen. Auf Kibris, würde Ismail sagen.

Ob Marcos und Ismail sich je begegnen bleibt ungewiss. Wenn sie es tun, dann werden sie feststellen, dass sie gar nicht so unterschiedlich sind, wie sie vielleicht denken. Wenn Marcos vom zyanblauen Meer erzählt, weiß auch Ismail wovon er spricht. Wenn Ismail vom Duft der Zypressen und Orangenbäumen schwärmt, kann Marcos es ihm nachempfinden. Wenn sie dann an raue Gebirgslandschaften und bizarre Felsbuchten denken, erinnert es beide an ihre jeweilige Heimat. Sie werden feststellen, dass auch dieselbe Sonne über ihren Köpfen scheint, während sie dieselbe erfrischende Mittelmeerluft einatmen. Marcos und Ismail. Zwei Männer. Hoffen wir, dass sie es eines Tages feststellen.

(Text: Julia Hanel)

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