BrennpunkteGesellschaft

Zwischen Sand und Salz

Anna Carmienke war in diesem Jahr als Journalistin bei den Castor-Demonstrationen. Sie kommt aus dem Wendland, der Region um das Zwischenlager Gorleben und demonstrierte schon mit vier Jahren. Sie erzählt, wie es ist, in einer Gegend mit  gelagertem radioaktivem Atommüll aufzuwachsen, wie neugierige Fragen Experten aufschrecken und wie eine ganze Region in den Widerstand geht, Bauern wie Polizisten.

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Beine, Beine, Beine, soweit das Auge reicht. So in etwa sieht meine erste Demo-Erinnerung aus. Die unzähligen Beinpaare, die ich vor Augen habe, gehörten zur Menschenkette gegen Atomkraft. Das war 1984 und ich war fast vier. Warum ich mit den vielen Leuten in der kalten Märzluft stand, wusste ich damals allerdings noch nicht. Zwei Jahre später, im April 1986, ereignete sich im Kernkraftwerk Tschernobyl ein sogenannter Super-Gau, der meine Mutter in Erklärungsnot geraten ließ. Kurz vor dem Gau hatte ich eine neue Sandkiste bekommen und sollte sie plötzlich nicht mehr benutzen und überhaupt nicht nach draußen gehen. Wie kann etwas so gefährlich sein, wenn man es nicht einmal sehen kann, fragte ich mich damals und war bockig.
Dann geriet die böse Atomkraft, die mich meines Buddelvergnügens beraubt hatte, erst mal in Vergessenheit – bis sich Mitte der 1990er Jahre abzeichnete, dass der erste Castortransport ins Zwischenlager nach Gorleben rollen sollte. Von da an, war nichts mehr wie es war. Das beschauliche Wendland, das bis dahin als Geheimtipp für Hamburger und Berliner Zweitwohnsitzer galt, avancierte erneut zur Hochburg des atomaren Widerstandes.

Aus Erzählungen wusste ich, dass sich der Widerstand gegen die atomaren Anlagen in Lüchow-Dannenberg erstmals 1977 aufgebäumt hatte, als Gorleben als Nukleares Entsorgungszentrum benannt wurde. Viele Wendländer hielten die Standortwahl schon damals für einen politischen Schachzug, denn der Landkreis bot günstige politische Voraussetzungen für das Vorhaben: dünn besiedelt, strukturschwach, die Mehrheit CDU-Wähler und von drei Seiten von der DDR umgeben.

bv_kuscheltierdemoAls 1995 der erste Castortransport nach Gorleben gebracht werden sollte, war ich 14 Jahre alt; und der Gedanke daran, dass eine solch strahlende Fracht einfach in eine oberirdische Halle im Wald – nur 20 km von meinem Zuhause entfernt – gestellt wird, bereitete nicht nur mir ein mulmiges Gefühl. Im Politik- und im Geografieunterricht kam das Thema zur Sprache und die Lehrer setzten sich auf unser Bitten hin damit auseinander. Wir wussten, der angekarrte Müll soll irgendwann in den Salzstock gebracht werden. Aber was ist das eigentlich – ein Salzstock? Ist Salz nicht wasserlöslich? So erfuhren wir etwa, dass der Arendsee, der 30 km von Gorleben entfernt liegt, direkt über dem „Dom” (Diapir) eines Salzstockes liegt. Durch das Grundwasser kam es zur Ablaugung der Salze und nachfolgend zu mehreren Einbrüchen der Steinsalzformationen und des auf dem Salz liegenden Deckgebirges. Das Gewässer ist somit ein Einbruchssee. Auch, wenn derartige Szenarien bei Gorleben womöglich abwegig sind, beruhigend sind sie nicht.

Als ich Jahre später den Salzstock unter Tage besichtigte, sprach ich den damals zuständigen Geologen auf diese Umstände an. Er wurde laut und sagte, ich solle meinem Lehrer ausrichten: „Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal die Fresse halten.” Aufklärung oder Argumentation? Fehlanzeige. Bei meinem zweiten Besuch in Gorleben, stellte ich fest, dass im Ausstellungsraum, in dem auf andere atomare Lagerstätten verwiesen wird,  plötzlich die Hinweisschilder auf die Asse fehlten. Das war kurz nach dem Wasser in den Salzstock Asse – der immer als Vorzeigeprojekt für Gorleben galt – eingebrochen war. Während sich Experten aber immer noch darum streiten, ob Gorleben nun als Endlagerstandort geeignet ist oder nicht, werden mit jedem Atommülltransport ins Zwischenlager Fakten geschaffen, glauben viele Wendländer. Unwahrscheinlich, dass die Behälter, wenn sie erst einmal in der Halle im Zwischenlager stehen, wieder abtransportiert werden, sagen sie.
Viele Menschen im Wendland haben Angst. Nicht nur, weil der Müll vor ihrer Haustür steht, sondern weil sie anzweifeln, dass jemand die Verantwortung für die Dauer der Strahlungszeit tragen kann. Es kann ja nicht einmal jemand sagen, was in 500 Jahren sein wird. Es ist die Angst vor der Fehlentscheidung und der Verantwortungslosigkeit, die die Leute in Lüchow-Dannenberg auf die Straße gehen lässt.

bv_demo vorm zwischenlagerDie meisten vor Ort sind gut informiert, aber bei weitem nicht alle Atomkraftgegner. Auch dort pochen nicht wenige auf die Atomkraft als sogenannte Brückentechnologie. Aber egal ob Gegner oder Befürworter, während der Castortage müssen alle mit dem Ausnahmezustand leben. Das bedeutet unter anderem, dass man seinen Personalausweis nicht zu Hause vergessen sollte, da man sonst Gefahr läuft, nicht durchgelassen zu werden, wenn man in der Nähe der Transportstrecke wohnt. Werkzeug oder Ähnliches in seinem Kofferraum herumzufahren, ist in dieser Zeit – angesichts der vielen Verkehrskontrollen – auch eine ganz schlechte Idee. Arglose Bürger geraten so unter Generalverdacht. Wer mit dem Hund in der Dämmerung den üblichen Feld- oder Waldweg entlanggeht, sollte ebenfalls damit rechnen, dass er plötzlich im taghellen Scheinwerferlicht steht. Ist möglicherweise auch besser so, nicht dass man sich am kürzlich gezogenen Nato-Draht verletzt. Tief fliegende Hubschrauber runden das Bild ab. Pferde reagieren auf sie besonders schreckhaft. Ein paar Tage vor dem letzten Atommülltransport nach Gorleben sind Pferde aufgrund eines tieffliegenden Hubschraubers durchgegangen, haben ihren Weidezaun durchbrochen und sich im unweit davon gezogenen Natodraht schwere Verletzungen zugezogen.

Im nass-kalten November wird der Landkreis also regelmäßig grün. Das Grün der Polizei.  Wer gegen Atomkraft ist, beteiligt sich auf seine Weise an den Protesten  Das Engagement zieht sich durch alle Alterstufen und Schichten. Laternegehen, Schülerdemo, Auftaktkundgebung, Sitzblockaden und Ankettaktionen sind das, was offensichtlich ist. Im Hintergrund sind jedoch viele, die sich etwa um die Versorgung der Demonstranten kümmern und warme Suppen kilometerweit durch den Wald schleppen, weil man mit dem Auto nicht näher ran kommt. Beim letzten Transport in der vergangenen Woche waren sogar Versorgungsteams aus den Niederlanden und Belgien da: „To tribute the people”, wie eine junge Belgierin sagte. Die Demonstranten waren gut versorgt. Der Nachschub an Obst, belegten Broten, warme Getränken und Rettungsdecken riss nicht ab. Außerdem gab es Feuer zum Aufwärmen.

Den Polizisten ging es da teilweise schlechter. Versorgungswagen kamen nicht durch, da die Bäuerliche Notgemeinschaft Verkehrsknotenpunkte mit ihren Traktoren einfach zugeparkt hatte. Viele Demonstranten hatten Mitleid mit den Polizisten, die völlig übermüdet in der Kälte ausharren mussten. Einer der Polizisten gab zu, seit 40 Stunden auf den Beinen zu sein. Er habe den Atommülltransport bereits in Göttingen begleitet und sei von da aus nach Lüchow-Dannenberg berufen worden. Auf dem Weg in die Polizeiunterkunft zur vermeintlichen Erholung sei dann der neue Befehl gekommen: Ab nach Harlingen zur Schienenblockade. Und da stand er dann – übermüdet und ohne Hoffnung auf baldige Ablöse.
Früher waren die Polizisten nicht so redselig und das gegenseitige Verständnis nicht so groß. Heute regen sich Demonstranten darüber auf, dass Polizisten von der Politik missbraucht werden und Polizisten räumen ein, dass sie das Anliegen der Demonstranten verstehen und gut heißen. Bei der Blockade in Gorleben, bei der sich vier Mitglieder der Bäuerlichen Notgemeinschaft angekettet haben, kommentierte ein Polizist deren Aktion lachend: „Jeder gibt sich eben Mühe und tut, was er kann. Wir sehen das sportlich.”

Der Umgangston ist freundlich, heiße Suppen werden den Angeketteten gereicht. „Man kennt sich. Die Polizisten sind die gleichen, die auch vor zwei Jahren bei der Pyramidenblockade in Grippel im Einsatz waren”, sagt einer von ihnen. Im Großen und Ganzen geht es friedlich während der Castortage zu. Von Unruhestiftern distanziert sich die Mehrheit der Demonstranten schnell. Jeder will wieder heil nach Hause kommen. Viele haben noch Bilder vergangener Atommülltransporte im Kopf, die weniger sanft waren. Damals wurden die Demonstranten nicht weggetragen, sondern mit Wasserwerfern von der Straße gespritzt, wer sich dennoch weigerte, bekam auch schon mal einen Knüppel so doll an den Kopf, dass dieser blutete. Das ist heute nicht mehr so. Die große Anzahl an Staatsmacht – über Wochen – wirkt dennoch bedrohlich. Umgekehrt geht es den Politikern mit dem wiederauflebenden Widerstand vielleicht ähnlich – 50 000 Bürgerinnen und Bürger waren bei der Auftaktkundgebung.

(Text und Fotos: Anna Carmienke)

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