Meinungen

Wie der Spiegel Generationen erfindet

Wer hat eigentlich diesen Begriff der „Generation Praktikum” erfunden und warum hält er sich so penetrant in den Medien. Eine  kritische Analyse zur Entwicklung der Begrifflichkeit und der wahren Situation auf dem Praktikantenmarkt.
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Generation iPhone, Generation Häkelhansel, Generation Neustart, Generation Hochleistungsföhn. Diese Überschriften stammen nur aus diesem Oktober, doch schon seit Jahren bombardiert uns der Spiegel mit den absurdesten Generationsbegriffen. Weil es ein einziger Begriff auf den zweiten Platz bei der Wahl zum „Wort des Jahres 2006″ schaffte, hält man dort wohl Redaktionskonferenzen unter dem Motto: mit Kindern, Tieren, Irak und vor allem „Generation Praktikum” kannst Du nicht verlieren.
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Seit 2005 werden wir regelrecht von diesem Begriff verfolgt. Durch die übermäßige mediale Präsenz dieses „Phänomens” ließ sich sogar das Bundesministerium für Bildung und Forschung dazu hinreißen einen Bericht unter dem Titel „Generation Praktikum – Mythos oder Massenphänomen” der Hochschul-Informations-System GmbH (HIS) im April 2006 zu fördern. Aus diesem geht hervor, dass vor allem Absolventen bestimmter Studienrichtungen, überwiegend der Geistes- und Bauwissenschaften, auf Praktika nach dem Studienabschluss zurückgreifen um den Übergang in die Erwerbstätigkeit zu schaffen.

Zurück zum Anfang: Zu Beginn des Jahres 2005 hatte ZEIT-Autor Matthias Stolz zum ersten Mal einen seiner Artikel mit „Generation Praktikum” überschrieben. Der Spiegel sprang dankend auf den Zug auf und veröffentlichte im Juli 2006 sogar ein ganzes Heft unter dem Titel „Generation Praktikum”. Wir Deutschen lieben Kategorisierungen. Denn offensichtlich ist der Begriff eine Analogie an die bereits vorherrschenden Bezeichnungen wie beispielsweise „Generation Golf”, „Generation X” aber auch Nachkriegsgeneration, Wohlstandsgeneration oder die „68er-Generation”.

Der frappierende Unterschied ist, dass es die Generation Praktikum in ihrem überproportional diskutierten Ausmaß nie gegeben hat. Natürlich steht sie auch nicht für das Gefühl einer ganzen Generation sondern nur für die subjektiven Empfindungen einer Schicht – die der Akademiker. Nebenbei bemerkt haben fünf Jahre nach ihrem Abschluss bereits 97% eben dieser Akademiker eine feste Anstellung.

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Ja, es gibt einige „Häkelhansel”, die mehr als ein Praktikum absolviert haben, bis sie einen adäquaten Job finden. Laut HIS hat circa jeder achte FH- und jeder siebte Uni-Absolvent nach dem Studium ein oder mehrere Praktika absolviert. Nur die sogenannte Praktikumsschleife, die einen undurchdringbar in ihrem Kosmos hält ohne eine Chance zu entrinnen ist absoluter Humbug.
Ehrlich gesagt, wer nach mehr als zwei Praktika und einem abgeschlossenen Studium nicht genügend Selbstbewusstsein hat, um sich für eine richtige Stelle adäquat zu präsentieren, hat etwas falsch gemacht. Auch die Studie des Internationalen Zentrums für Hochschulforschung (INCHER) bestätigt, dass es keine Zunahme bei der Zahl der Praktikanten gibt – und daher schon gar keinen Trend.

Die Generation Praktikum ist also ein Kunstprodukt, das die Leitmedien dankbar aufnehmen – vielleicht um die Akademiker als potentielle Abonnenten von morgen ein wenig zu tätscheln. Dabei ist es bei genauem Hinsehen recht dreist, dass ausgerechnet die Medienbranche diese „Zustände” anprangert. Gerade diese bedient sich mit vollen Händen an den Praktikanten als billigen und kurzfristig einsetzbaren Arbeitskräften. Ein Praktikant unterliegt nicht den Klauseln des Kündigungsschutzes wie ein Festangestellter. Für nicht subventionierte Medienbetriebe ist diese Art von Arbeitskräften natürlich reizvoll.

Es stellt sich an dieser Stelle auch die Frage, ob sich durch die kontinuierliche Berichterstattung der Medien sukzessive die Akzeptanz der „Generation Praktikum” als Phänomen in der Gesellschaft festsetzt. Gibt es vielleicht Personaler, die von der Meinungspolitik des Spiegels infiltriert wurden und nun glauben, ein Student müsse eine gewisse Mindestanzahl an Praktika vorweisen?

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Denn die Motivation dazu, ein Praktikum zu absolvieren, ist unterschiedlich. Im Rahmen des HISBUS Online-Panels Ende Mai/Anfang Juni 2006 hat sich gezeigt, dass 55 Prozent der 2225 Befragten in den letzten zwölf Monaten ein Praktikum absolviert hatte. Davon machten 74 Prozent ein Pflichtpraktikum. Freiwillige Praktika lassen auch Rückschlüsse auf die soziale Herkunft eines Studenten zu. Denn ein Fünftel derjenigen die kein Praktikum vorzuweisen hatten, gibt an, aufgrund der finanziellen Situation nicht in der Lage zu sein, ein Praktikum zu machen.

Durch die Präsenz des Themas und dessen negativer Konnotation in den Medien erhöht sich vor allem der soziale Druck auf finanziell schwache Studenten. Die Angst davor zu Versagen wird noch verstärkt durch die Prämisse nicht eigenständig die Erwartungen der Arbeitswelt und der Elterngeneration erfüllen zu können. Auch die jüngste HartzIV-Debatte zeigt: Wer von sozialen Leistungen lebt, der ist in der öffentlichen Wahrnehmung faul und ein Versager.

Trotzdem wird der Druck nicht vermindert. Der Spiegel pries in diesem April das fünfjährige Jubiläum der „Generation Praktikum”. Im kommenden Monat hat er bestimmt auch wieder ein Generationen-Thema parat. Wir können gespannt sein – sollten aber nicht jede begriffliche Neuerfindung ernst nehmen.

Screenshots zu neuen “Generationen”:
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(Text: Lea Kramer)

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