GesellschaftMeinungen

Wenn der Apfel mit dem Flugzeug kommt

Globalisierung ist in aller Munde. Doch bevor ich in das gleiche Horn blase, wie die Wissenssendungen auf allen TV-Kanälen und den euphorischen Zeitungsartikeln, sehe ich mir vorerst an, was wirklich dahinter steckt.[divide]

Als Erstes steht wohl die politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit aller Länder im Mittelpunkt, bei dem eine physische und digitale Vernetzung stattfindet. Wissen-schaft und Technik kann so leichter ausgetauscht und gemeinsam genutzt werden. Im einzelnen bedeutet es die Öffnung der Märkte, eine erleichterte Reisefreiheit, sowie Wachstum und Wohlstand für alle. Jeder kann mit jedem handeln und alle haben sich lieb.

Ganz normale Wahnsinn

Schön wäre es.

Denn jemand muss die Zeche bezahlen, wenn die Produkte günstiger werden, weil die Wohlstandsländer in Billiglohnländern produzieren lassen. Auf der einen Seite entstehen neue Arbeitsplätze in Indien und China, was dort die Wirtschaft ankurbelt, und so lange funktioniert, bis wieder billigere Länder gebraucht werden. Auf der anderen Seite werden Arbeitsplätze abgebaut. Das geschieht dort, wo die Löhne zu hoch sind. Und zwar in den Industrieländern. Die Preise werden weltweit vergleichbar und lösen einen verschärften Wettbewerb aus, der den Markt in Windeseile bereinigt. Wer groß ist, wird größer, wer klein ist, verschwindet vom Markt.

Oft bleibt dabei die Innovation auf der Strecke und die Schere zwischen Arm und Reich vergrößert sich schlagartig. Es wird schwerer, auf regionale Produkte zurückzugreifen, weil importierte Waren trotz langer Transportwege schlicht günstiger sind. Hiesige Firmen schrauben zusammen, was in Bulgarien, Pakistan, China, Marokko und Moldawien hergestellt wurde, damit es doch noch das Siegel Made in Germany tragen kann. Das Transportaufkommen ist explodiert und belastet die Umwelt zusätzlich. Industrieländer werden dominanter und greifen in die Wirtschaftsstrukturen der armen Länder ein, was nicht selten zu einer massiven Abhängigkeit führt. Finanzströme geraten außer Kontrolle und die Gefahr von Konflikten baut sich auf.

Doch wir treiben die Globalisierung eifrig voran und bekommen Bilder von lachenden Kindern und glücklichen Kühen gezeigt. Alles ist fein gelenkt vom Staat und der finanzstarken Industrie. Sie vermitteln uns die Vorteile, und ich nutze Facebook und YouTube und habe die Hoffnung, dass die Menschenrechte weltweit umgesetzt werden. Die günstigen Preise in den überfüllten Auslagen sehe ich nicht als persönlichen Nutzen, auch wenn sie es möglicherweise sind. Denn ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie ein T-Shirt für 3.99 EUR, was ich hier kaufe, den Bauern der Baumwolle, die Weberin und die Schneiderin, den Chef des Textilunternehmers, den Transportfahrer, Verlader, Werbefachmann, Großhändler, Importeur, Verkäuferin, Servicekraft und wer noch alles dazwischen steht, vernünftig ernähren soll.

Die Globalisierung ist dabei, die nationalen Eigenheiten, die innovativen kleinen Unternehmen und mein geliebtes Obst und Gemüse vom Bauern nebenan einfach verschwinden zu lassen. Dabei zeigt sich schon bei der europäischen Währung, dass sie wegen unterschiedlicher Wirtschaftsstärken und Mentalitäten nicht funktioniert hat. Wie soll das Ganze dann global funktionieren? Ich ahne jedenfalls nichts Gutes. Denn am Ende der Kette steht der Milliardär, dem eine noch billigere Produktion steigenden Luxus beschert. Wenn er dann mit seiner Kohle wedelt, spielen Umwelt und Menschenrechte schon lange keine Rolle mehr, und jedes einzelne Kilo Obst und Gemüse aus Übersee setzt – mit dem Flugzeug transportiert – über zehntausend Gramm CO² frei. Was in den Regalen der Supermärkte landet, ist mit Pestiziden und Konservierungsstoffen überzogen. Der globale Wettbewerb verlangt höchste Effizienz. Wer nicht mitmacht und optimiert, verliert. Wie die Bauern damit umgehen, die kaum Schutzkleidung beim Versprühen der Gifte tragen, und welche Wirkung die Toxine beim Verzehr haben, wird billigend in Kauf genommen und die Nachteile möglichst verschwiegen. Als Entschädigung gibt es die Erdbeere im Februar, Kinderschokolade, billigen Kaffee und einen guten Kinofilm. Und die Welt ist wieder in Ordnung.

Vielleicht sollen wir nicht ernsthaft über die Globalisierung, unsere Gesundheit, die Umwelt und die Menschenrechte nachdenken? Und vielleicht ist der Traum von globaler Demokratie, reichlich Arbeitsplätzen und super günstigen Waren nicht unser Traum, sondern ein Trugschluss von Freiheit und Frieden in dieser Welt? Für einen Preis, den wir nicht einmal selbst bezahlen müssen. Denn das überlassen wir schön unseren Kindern und Enkelkindern – wenn wir es untätig geschehen lassen.

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