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Welche Chance haben indische Slumkinder wirklich?

Im Film schaffen es Jamal und Salim auf verschiedenen (Um-)Wegen aus ihrem Slum in eine bezahlte Anstellung in der Stadt. Dass dies nicht immer einfach oder gar ungefährlich ist und das Leben im Slum täglich vollen Einsatz erfordert, wird ebenso deutlich. Doch ist der Aufstieg wirklich möglich?

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Dass es genauso wie im Kino funktioniert, ist schon aufgrund dessen ausgeschlossen, dass es ein Film ist. Sicherlich wählen einzelne Personen einen der aufgezeigten Wege, wie beispielsweise Touristenführungen, um an ihr Auskommen zu gelangen, doch wenige werden dabei so viel Glück haben wie die zwei Brüder.

Indien ist seit Jahren ein aufstrebendes Land und vor allem im Dienstleistungssektor sehr breit aufgestellt. Doch wie überall auf der Welt ist vor allem Bildung der Schlüssel zu einer sicheren, besseren Zukunft. Wie in Deutschland gibt es auch in Indien eine Schulpflicht, teilweise auch eigens errichtete Slumschulen, jedoch wird diese kaum durchgesetzt.

Landflucht und fehlende Papiere
Oft scheitert es nicht nur an den finanziellen Möglichkeiten der Eltern, sondern auch an der Bürokratie. So benötigt man zur Schulanmeldung für die Kinder Papiere, die viele Inder nicht besitzen. Ausstellen lassen könnten sie diese in ihrem Heimatdorf, doch die liegen meist sehr weit entfernt von den Metropolen wie Neu Dehli oder Mumbai, in die es die Eltern in der Hoffnung auf Arbeit und ein besseres Leben häufig zieht.

So arbeiten viele Kinder schon sehr früh beispielsweise als Müllsammler, um ihre Familie mitzuversorgen. Dabei sammeln sie stundenlang wiederverwertbaren Abfall wie Pappe, Plastik oder auch Glas, sortieren ihn und verkaufen ihn an eine Art Zwischenhändler.

Auch als Schuhputzer in den kontinuierlich wachsenden Zentren Indiens trifft man oft Minderjährige ohne Ausbildung an, die mit dieser Arbeit immerhin mehr verdienen als die Müllsammler oder Autowäscher. Aber auch Betteln, Klauen und Prostitution gehören zum Alltag und Überleben in den Elendsvierteln dazu. Die Teppichindustrie und Steinbrüche tragen ihr übriges zur Kinderarbeit bei.

Kostenfaktor Mädchen
In Indien werden weibliche Föten abgetrieben, da Mädchen noch immer nur “Kinder zweiter Klasse” sind und allein schon ihres Geschlechts wegen häufig von Bildung ausgeschlossen werden. Dazu kommt, dass bei einer Hochzeit die Brautfamilie sehr hohe Aussteuern zahlen muss.

Dies können sich die meisten Familien nicht leisten, eine unverheiratete Tochter aber bringt wiederum Schande. So ist die vorzeitige Abtreibung der scheinbar einzige Ausweg für ohnehin arme Familien. Kommt die Tochter doch zur Welt, wird sie aufgrund hoher Mitgiftforderungen ihres Ehemannes und dessen Familie nicht selten unter Folter getötet oder bei lebendigem Leib verbrannt.

Nicht jeder Slumbewohner lebt am Rande der Existenz
Dass die Bewohner der teilweise illegal errichteten Slums keine homogene Gruppe von Analphabeten und bildungsfernen Menschen bilden, liegt an der Knappheit des Wohnraumes oder den zu hohen Mietpreisen. So finden sich durchaus auch Büroangestellte in diesen vom Staat nur dürftig mit ein paar Toiletten und Duschen ausgestatteten Siedlungen.

Aber es gibt auch konkrete Hilfe vom Staat und externen Hilfsorganisationen, um der Mangelernährung und Obdachlosigkeit entgegenzuwirken. So können sich die Kinder kostenlos Essen besorgen oder in einer Auffangstation bei Neuankunft in den Millionenmetropolen ein vorübergehendes Zuhause finden.

Die Probleme fangen aber nicht erst im Alter von circa sieben Jahren an, wenn man eigentlich die Schule besuchen sollte. Wegen mangelnder Hygiene sterben viele bereits vorher an Krankheiten, fehlenden Impfungen oder Mangelernährung. Und auch Schwangere erhalten oft – wenn überhaupt – nur sehr schlechte medizinische Versorgung und sterben während der Schwangerschaft oder bei der Geburt.

Sicherlich haben sich durch den wirtschaftlichen Aufschwung Indiens auch die Hilfsangebote für Straßenkinder und Slumbewohner verbessert. Fakt ist jedoch, dass es längst nicht so einfach ist, wie im Film “Slumdog Millionaire” gezeigt wird, sich “hochzuarbeiten”. Schon allein, weil die äußeren Umstände den Schulbesuch erschweren können, die Hilfsangebote schlichtweg die Masse an Bedürftigen nicht auffangen können oder man einfach ein Mädchen ist.

(Text: Julia-Friederike Barbier)

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