GesellschaftMeinungen

Weil wir es können

Ein Katzenbaby – neun Tage alt, halb so groß, wie meine Hand – liegt betäubt auf einem blank poliertem Tisch. Das kleine Plüschknäuel mit dem frech verstrubbelten rot-weißen Fell auf dem Köpfchen wird noch ein paar Tage benötigen, um sehen und laufen zu können. Jemand im hellgrünen Kittel durchtrennt ihm den äußeren Augenmuskel mit einem winzigen Skalpell. Dann werden vorsichtig die Schädeldecke geöffnet und ein kleines Kästchen mit Elektroden eingesetzt.[divide]

Etwa drei Wochen später, wenn die schlimmen Wunden verheilt sind und das kleine Wesen beginnen würde, die Welt zu erkunden und Erfahrungen zu sammeln, kommen die Männer und Frauen in ihren Kitteln zurück. Sie klemmen Drähte an die Anschlüsse des Gehirns und speisen darüber visuelle Reize ein, wie Blitze, Farben oder Formen. Der kleine Kopf ist arretiert und ein Schlauch geht in seinen Körper, der es mit einer Elektrolytlösung versorgt. Die Prozedur dauert drei nicht enden wollende Stunden. Es sind die letzten Stunden der Katze, die anstelle des Namens eine Nummer trägt. Nach dem Experiment wird sie getötet.

Katze TierversucheDie Forscher, die sich für den Visuellen Cortex interessieren, machen ein paar Haken auf einem Formular und werten im Anschluss Diagramme aus. Dann wird dem nächsten Katzenwelpen mit einer Lösung das Gehör zerstört – im Namen der Wissenschaft. Alleine in deutschen Tierversuchslaboren leiden jedes Jahr um die drei Millionen Tiere. Nicht jedes Tier stirbt oder wird nach dem Versuch getötet. Manche werden über Jahre hinweg gequält. Vorwiegend betrifft es Mäuse in den Versuchslaboren, aber auch Ratten, Fische, Kaninchen, Katzen, Meerschweinchen, Schweine, Hunde und Affen. Im Rahmen des StGB gelten Tiere als Sachen. Sie haben in der Welt der Menschen keine Rechte, doch werden sie manchmal in deren Bestimmungen erwähnt.

Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen (§1 des Tierschutzgesetzes). Der Staat schützt die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung (Grundgesetz).
Es sind Gesetze wie diese, die sich dem Schutz der Tiere annehmen, aber maßgeblich die Halter und Besitzer schützt. Der Gesetzgeber sagt, dass Tiere dem Menschen weder gleichgestellt, noch für seine Nutzung verboten sind. Das menschliche Grund-recht nach Freiheit der Forschung wird damit kaum berührt.

Fast könnte man meinen, dass unser tapsiger Katzenwelpe ordentlich Glück gehabt hat, denn mit diesen Gesetzen dürften die Elektroden nur unter Narkose in sein Gehirn gepflanzt werden. Dabei muss ich mich fragen, warum es überhaupt Tierversuche gibt, und stoße auf das Zusammenspiel der Organe, die bei separierter Untersuchung (gezüchteter Organe) eine komplexe Störung völlig anders aussehen lässt. Die Wissenschaftler versuchen, Heilmittel gegen Krankheiten zu finden, oder forschen ohne größeres Ziel für neue Erkenntnisse. Bei diesen Versuchen wird alles an den Tieren manipuliert, was möglich ist. Die Reaktion aller möglichen Mittel und Substanzen wird auf unterschied-lichste Weise getestet, Verhaltensstudien in Extremsituationen und grundlegende Vorgänge des Körpers gehören zum Standardwerk.

Wenngleich erwiesen ist, dass sich die Ergebnisse kaum auf den Menschen übertragen lassen, werden konsequent Tiere geopfert. 90 Prozent aller an Tieren für gut befundene Medikamente bekommen keine Zulassung, weil sie beim Menschen nicht oder völlig anders als erwartet wirken. Das ist nicht verwunderlich. Selbst wenn die Genome einer Maus zu 99 Prozent dem eines Menschen ähneln, sind Tiere überaus unterschiedlich. Selbst Menschen untereinander reagieren völlig verschieden auf ein und dieselbe Ansteckung oder Medikation. Warum sollte also ein Versuch bei einer völlig anderen Art und unter Laborbedingungen gehaltvolle Ergebnisse liefern? Aus meiner Sicht tut es das nur mit enorm hohem Aufwand, der in keiner Relation zum Leid der Tiere steht.

Der Wissenstand über die komplexen Strukturen der Biologie und des Lebens sind in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Aber wir tappen weiterhin in tiefer Wissensdunkelheit, kennen nur einen Bruchteil der real existierenden Vitamine, Spurenelemente und Botenstoffe. Bis heute kann kein Wissenschaftler erklären, was Leben ist und warum es funktioniert. Genau aus diesem Grund wird mithilfe von Tieren im Trüben gefischt, um vielleicht wieder ein neues Körnchen Wahrheit zu entdecken.
Immerhin brachten Tierversuche in der Vergangenheit enorme Kenntnisse für die Medizin und das generelle Verständnis zur Biologie. Neben etlichen anderen Erkenntnissen entdeckte man dadurch den genetischen Code oder die Ursachen für Wahrnehmungsstörungen. Antibiotika, Impfstoffe gegen Krankheiten wie Kinderlähmung (Polio) und Insulin wurden durch Tierversuche entdeckt.

Finanziert wird das Ganze durch Steuergelder in Milliardenhöhe. Tierversuche sind unglaublich lukrativ und komplexe Industriezweige verdienen daran. Wer will das große Geschäft schon freiwillig beenden? Also wird fleißig weiter gequält. Moral bringt schließlich kein Geld. Genau wie in der Massentierzucht wird unter Beachtung einiger Auflagen in den Laboren das generelle Verbot der Tierquälerei ausgehebelt. Im Gesetzestext heißt es da-zu: Die Leiden der Versuchstiere sind auf ein unerlässliches Maß zu beschränken. Wer mit Tieren Experimentieren möchte, kann dies bei staatlich verordneten Tierversuchen genehmigungsfrei tun. Was kaum bekannt ist. Denn es gibt zahlreiche Gesetze, Richtlinien und Verordnungen, die zu Tierversuchen zwingen. Zum Beispiel müssen laut PETA noch in diesem Jahr ca. 30.000 geläufige Chemikalien im Tierversuch erneut auf ihre Giftigkeit überprüft werden. Diese Versuche werden voraussichtlich weit über 45 Millionen Tiere nicht überleben.

Die Menschen tun dies, weil sie neugierig und schlicht dazu in der Lage sind. Sie bauen ja auch Atombomben, weil sie es können, obwohl sie genau wissen, dass die Benutzung die Länder für mehrer Hunderttausend Jahre radioaktiv belastet. Der Forscherdrang und der Ehrgeiz nach Ruhm und Erfolg sind offenbar stärker als ethische Werte.

Über die Tiere selbst ist nicht viel bekannt. Die Forschung nach menschenähnlichen Verhaltensweisen (also den Anthropomorphismen) bei Tieren war lange Zeit verpönt. Jede Spezies hat seine eigene Auffassung von der Welt. Die jeweiligen Sinne, mit denen jedes Lebewesen mit der Umwelt in Kontakt tritt, unterscheiden sich von den Fähigkeiten des Menschen teils so drastisch, dass wir unfähig sind, sie zu begreifen. Die Fledermaus geht zielsicher bei völliger Dunkelheit auf die Jagd. Sie nutzt ihr Echolot. Der Wolf wittert seine Beute über mehrer Kilometer Entfernung, der Adler besitzt flexible Linsen in den Augen, mit den er bis zu 1000 Metern scharf sehen kann, Tauben haben einen Magnetsinn, womit sie ihren Standpunkt auf der Erdkugel bestimmen können, Insekten reagieren auf Infrarotstrahlung und Seehunde orten die Umgebung mit ihren Barthaaren.

Und die Menschen wollen verstehen, wie Tiere die Welt erfassen und ob sie Gefühle haben? Das bezweifle ich. Wer mit Tieren zusammenlebt, bemerkt ihre Eigenheiten. Sie geben situationsbedingte Laute von sich, gehen Bindungen ein, trauern, freuen sich und leiden. Tiere überleben nicht in der Natur, wenn sie die Stärksten sind, sondern weil sie Kooperieren, fürsorglich sind und ihren Lebensraum gemeinsam gestalten. Es gibt Forscher, die Säugetieren die Fähigkeit zur Empathie nachgewiesen haben. Je nach Gattung unterscheiden sich diese Merkmale mal mehr und mal weniger von denen eines Menschen. Es liegt demnach im Bereich des Möglichen, dass Tiere auf ihre Weise denken und träumen können. Und zwar abseits der Vorstellungskraft des Menschen. Haben wir nur deswegen das Recht Millionen Tiere zu quälen, weil wir sie nicht verstehen oder ihnen schlicht überlegen sind? Tierversuche sind nicht nur unethisch und methodenkritisch, sondern bringen die Forschung kaum noch voran. Sie erfüllen damit nicht einmal den eigentlichen Zweck.

Wir sollten die Verfahrensweisen unserer Vorfahren überdenken, wie wir uns auch sonst weiterentwickelt haben. Denn es gibt durchaus Alternativen zu Tierversuchen. Leider werden durch festgefahrene Strukturen alternative Methoden kaum finanziert. Mit tierversuchsfreien Verfahren wie permanente Zellkulturen oder so genannte Co-Kulturen, Bakterien oder Bioreaktoren lassen sich selbst komplexe Strukturen des menschlichen Körpers nachempfinden. Darüber hinaus können die bisherigen Erfahrungen in leistungsstarke Simulationen eingespeist werden, womit deutlich vielfältiger und effektiver möglichen Reaktionen erforscht werden können. Heute kann das Verhalten auf molekularer Ebene bereits sehr anschaulich simuliert werden. Es gibt eine Reihe weiterer Verfahren, die Tierversuche überflüssig machen.

Langzeitgifte, Hirnforschung am offenen Schädel, Futter- und Schlafentzug, verätzte Augen, mehrfaches Organversagen, Schläuche und Drähte am Kopf, am Bauch, Geschwülste, Verstrahlungen, Verstümmelungen, Todeskämpfe, Schreie und endlose Qualen. Ersparen wir dem nächsten kleinen Katzenwelpen und allen anderen Tieren das Leid und fangen an, jegliches Leben zu respektieren. Die Menschen sollten intelligent und mächtig genug sein, um die Wächter der Erde und des Lebens zu sein. Doch bis dahin scheint ein langer Weg vor uns zu liegen. Denn dazu gehört ebenso die allumfassende ethische Verpflichtung.

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