GesellschaftMeinungen

Über das Interpretieren der bestehenden Flirtsubkultur

Julien Blanc, der wohl meistgehasste Mann der Welt. Frauen werden zu Objekten degradiert. Soziopathen geben schüchternen jungen Männern auch noch Flirtkurse. Was ist dran an dem momentanen Medienbashing? Ist die Szene um die Verführung wirklich so schlimm?

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Ich weiß. Da hatte ich schon einen Artikel zu Kleidung und sonstigen Accessoires angekündigt, und dann halte ich mich nicht dran. Nun – mir war dieses Thema hier einfach wichtiger: die mittlerweile berüchtigte Pickup-Community. In den letzten beiden Wochen haben wir genug über Julien Blanc gelesen und gehört (siehe das folgende Video-Interview). Was ist das nur für ein seltsamer Kauz, wird man sich fragen. Und – was steckt eigentlich dahinter? Berichten denn unsere Medien differenziert über dieses Thema?

Die Pick-Up-Szene

Damit man den Zusammenhang versteht, muss die Szene, die Pickup-Community kennenlernen. Wie so vieles ist auch diese Bewegung aus den USA entstanden, Ross Jeffries kann mit seiner Literatur als eine der Inspirationen für die ersten Männer angesehen werden, die sich über den normalen Alltag hinaus mit der Verführung beschäftigt haben. Er ist auch eine Vorlage für die Rolle von Tom Cruise in Magnolia. Letztendlich sorgte dann das Werk The Game von Neil Strauss 2005 für die steigende Popularität der Pickup-Mentalität und die Bildung lokaler Gruppen, genannt Lairs.

Ein Lair? Noch nie gehört? Schaut man in den Internetforen der Szene, findet man dort ganze Berichte von Tanzabenden, Ansprechversuchen und Beziehungsproblemen – mit einer ganze Menge Abkürzungen. Warum? Viele Worte werden einfach oft benutzt, und da der Mensch faul ist kürzt er ab. Das wirkt befremdlich – und deutet auf die Gefahr hin, die bei der liebreizenden Konversation mit dem anderen Geschlecht entstehen kann, wenn man es nur aus Selbstzweck heraus betreibt.

Flirtkolumne

Die ersten Eindrücke als Ahnungsloser

Stelle dir vor, ein unbedarfter, hoffnungslos verliebter Auszubildender entdeckt diese Foren. Er wird mit Eindrücken überschüttet! Mach dies, sag das, berühre sie in diesem Moment, der Satz zieht auch ganz gut. Dieses Konstrukt, was dir gegeben wird – es gibt dir Sicherheit und Selbstvertrauen. Plötzlich kannst du auf einmal reden, du fühlst dich wohler in der Umgebung fremder Leute, und das erste Mal seit Silvester 2005 stehst du wieder auf einer Tanzfläche, das muss doch toll sein oder? Allerdings – und hier ist die Crux – dieses Selbstbewusstsein trügt. Es fehlt dem Auszubildenden die Empathie, die Leute werden verstört auf das Gesagte reagieren, und sich abwenden.

Die Probleme hinter der Community

Aber egal, denkt sich der verliebte Jungspund , ich soll ja erstmal Körbe und Erfahrung sammeln, da gehört Scheitern ja auch dazu. “Was ist das denn für ein Seminar?” liest er dann – und landet nun bei “Coaches” wie Real Social Dynamics, die ehemals genauso waren wie er. Vielleicht fehlt denen immer noch die Empathie.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist: Durch die steigende Popularität der Szene nimmt die Kommerzialisierung zu. Überall gibt es selbsternannte Gurus, die schnelles Geld verdienen wollen – eine erfolgreiche Firma muss deswegen aus den Angeboten herausstechen. Am besten mit besonders “krassen” Flirttricks, so wie Julien Blanc das eben mit RSD propagiert hat.

Die Inhalte der Szene und besonders die der kommerziellen Anbieter sind deswegen mit Vorsicht zu genießen. Die Einstellung zu Beginn “Fake it till you make it” zeigt, worauf es hinausläuft. Du wirst ein guter Schauspieler werden. Aber macht das Spaß? Kann man so eine Beziehung führen? Mein Rat ist, lese dir ruhig mal de Foren durch. Etwas zum “Inner Game”, also die innere Einstellung, das Selbstwertgefühl. Und zum “Outer Game” – so lernst du vielleicht, Geschichten aus deinem Leben mit mehr Spannung zu präsentieren. Oder Komplimente zu schenken, die nicht nur willkürlich ankommen, sondern zeigen, dass sie von Herzen gemeint sind. Und dann – geh raus. Such dir ein paar dort registrierte Leute aus deiner Umgebung, und wenn man sich sympathisch ist, kann man gemeinsam Erfahrungen sammeln und sich austauschen. Und dann wirklich merken, was man diversen Ratgebern und Message Boards braucht.

 

(Text: Bastian Asch / Foto: Isi Fischer by www.jugendfotos.de, CC-Lizenz(by-nc-nd))

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