Die FIFA gilt seit Jahren als undurchschaubares Netz aus dubiosen Beziehungen, in dem unorthodoxe Praktiken in allen Bereichen zum Alltag gehören. Genau dies wurde am 2. Dezember 2010 deutlicher als je zuvor, denn seitdem stehen Russland und Katar als Ausrichter für die WM-Endrunden 2018 und 2022 fest. Und wie bei der Vergabe an Südafrika vor einigen Jahren scheint auch diese Vergabe Chefsache gewesen zu sein. [divide]
Fußballfans aus aller Welt waren erstaunt, überrascht und teilweise fassungslos, als Joseph Blatter nacheinander die beiden Umschläge mit sichtlicher Freude öffnete und Russland und Katar für die WM-Turniere 2018 und 2022 verkündete. Russland hatte sich damit gegen die Bewerbungen aus England, Spanien / Portugal und Niederlande / Belgien durchgesetzt. Katar verwies bei der Wahl die USA, Südkorea, Japan und Australien auf die Ränge.
Traditionsländer, Welt- und Europameister, Stammgäste in FIFA- und UEFA-Turnieren, sie alle waren chancenlos gegen die vollmundigen Versprechungen Russlands und Katars, deren Vertreter der FIFA jeweils die Erschließung neuer Märkte sowie Milliardeneinnahmen in den nächsten Jahren ungeniert in ihren Bewerbungen in Aussicht stellten.
Dass die FIFA gerne neue Wege gehen will und dabei auch vor Kritik nicht zurückschreckt hat man bereits bei der Vergabe der WM 2010 an Südafrika gesehen. Hier stand Blatters Wille im Vordergrund, zum ersten Mal eine WM auf afrikanischem Boden auszurichten und damit der Welt zu beweisen, dass dieser Kontinent wahrlich großes leisten könne. Der Erfolg des Turniers gab Blatter letztlich recht.
Doch nun sind Russland und Katar auf dem Plan. Es muss die Frage erlaubt sein, welche Gründe für die 22 noch zur Wahl zugelassenen FIFA-Funktionäre ausschlaggebend waren, ihre Stimmen diesen beiden Ländern zu geben – ganz abgesehen von neuen Märkten und Milliardengewinnen. Russland belegt auf dem Korruptionsindex von Transparancy International den unfassbaren 154. Platz liegt damit sogar hinter dem Jemen, dem Iran oder Sierra Leone – wäre die FIFA ein Land, würde sie wohl auch in dieser Tabellengegend liegen. Außerdem gilt es gemeinhin auch nicht als Bewahrer der Menschenrechte oder Pressefreiheit. Katar hingegen ist mit knapp einer Millionen Einwohner nur etwas größer als Mauritius oder die Stadt München, ist aber auch mit enormen Rohstoffquellen ausgestattet und gilt als das reichste Land Asiens.
Während Fußball in Russland in den letzten Jahren immer populärer und erfolgreicher wurde, sieht die Realität in Katar ganz anders aus. Das subtropische Klima und die Sommertemperaturen weit über 40 Grad sowie trockenen Wüstenlandschaften machen Spitzensport im Freien praktisch unmöglich. In beiden Ländern stehen jeweils riesige Bauvorhaben an, da ein Großteil der Stadien für die beiden Turniere erst noch gebaut und im Falle Katars nach der WM wohl wieder abgebaut werden müssen. Schon hier stellt sich die Frage, was ein Land von der Größe Katars dauerhaft mit zwölf vollklimatisierten Fußballarenen anfangen will – vielleicht will sich das Emirat gleich noch für die Endrunden 2026 bis 2040 bewerben und zwischendurch noch Europa-, Asien- und Afrikameisterschaften austragen.
Unwirtliche Bedingungen, milliardenschwere Bauprojekte und die Abkehr von großen Bewerbernationen sind sinnbildlich für die aktuelle Lage des Weltverbandes FIFA. Die korruptionsbedingten Ausschlüsse von zwei Exekutivmitgliedern kurz vor der WM-Vergabe passen dabei genauso ins Bild wie die knallharte Abstrafung der englischen Bewerbung, die trotz Ihrer enormen Werbearbeit, persönlichem Engagement und dem Plus einer bereits vorbildlichen und vorhandenen Infrastruktur im ersten Wahlgang mit nur 2 von 22 Stimmen sang- und klanglos ausschied. Und auch hier lässt sich noch eine kleine Verbindung zu den Korruptionsverdächtigungen ziehen, die ja erst durch die investigative Arbeit britischer Medien publik gemacht wurden. Die gegenseitige Stimmenzuschacherei zwischen Spanien und Katar war bei der Vergabe ebenso kein Problem wie der Verstoß gegen die FIFA-Statuten aufgrund der beiden ersatzlos gestrichenen beiden fehlenden Stimmen.
Allen Widrigkeiten zum Trotz, die graue Eminenz des Weltfußballs namens Blatter hat wieder einmal seine Linie durchgesetzt, und die lautet für die nächsten Jahre schlicht und einfach kommerzielle Expansion um jeden Preis. Wer braucht schon gute Stimmung und wunderbare Traditionen, wenn man sich für wenige negative Schlagzeilen ein paar steuerfreie Milliarden einstecken und den Fußball endgültig in die bittere Realität des globalen Kapitalismus katapultieren kann.
(Text: Robert Reiche)