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Regieren und regieren lassen

Angela Merkel bei Anne Will, Franz Müntefering bei Berlin direkt, Frank-Walter Steinmeier bei Reinhold Beckmann. Wenn sich die Politik-Prominenz in Talkshows wagt, muss etwas Wichtiges passiert sein – oder aber der Wahltermin steht vor der Tür. Und die bisher halbwegs geglückte Große Koalition wird auf eine harte Probe gestellt.
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Dreieinhalb Jahre sind länger, als so manch einer dieser Regierung zugetraut hat. Wider Willen und trotz vorheriger Versicherung, dass es zu keiner Großen Koalition kommen soll, schlossen sich SPD und CDU/CSU, zum Wohle der Nation, 2005 zusammen und regieren seither unser Land. Doch im September stehen die nächsten Wahlen an und im Wahlkampf wird für gewöhnlich kein Mittel gescheut, den Gegner auflaufen zu lassen. Blöd nur, wenn der Gegner der Regierungspartner ist. CSU-Vorsitzender Horst Seehofer fordert die SPD zum Austritt aus der Koalition auf, sollten sie unzufrieden sein. SPD-Chef Franz Müntefering stänkert zurück, er werde die Union ärgern, so lange er könne. „Schrille Krawallrhetorik” nannte der Spiegel das.

frankwaltersteinmeier1Schweißte die Finanz- und Wirtschaftskrise die zwei großen Parteien anfangs noch zusammen – immerhin war man sich über das Bankenrettungspaket einig geworden – herrscht inzwischen ein eher eisiges Klima. Es scheint, als würde die Koalition der beiden Volksparteien langsam zerbrechen. Die Bild titelte gar, dass die Regierung das Regieren eingestellt habe, was Regierungssprecher Ulrich Wilhelm gestern dementierte. Auslöser ist vor allem der Fall Opel.
Während die SPD sich klar für eine Einmischung des Staates ausgesprochen hat, spielt die Union auf Zeit. Aber auch die Gesetze zu Jobcentern, Mindestlohn und der Visa-Warndatei scheiterten an den unterschiedlichen Ansichten der Sozialdemokraten und Christdemokraten.

Die „kleinen” Parteien können wenig ausrichten, hat man sie ja sowieso dreieinhalb Jahre überhört. Ihre Stimmen waren für wichtige Abstimmungen einfach nicht notwendig, wollte die Große Koalition bis vor Kurzem doch noch die Ergebnisse ihrer eigenen Arbeit verkaufen. Klar also, dass FDP-Chef Guido Westerwelle die Gunst der Stunde nutzen möchte und gleich Neuwahlen fordert. Während die Union und die SPD in Umfragetiefs stecken, konnten die Oppositionsparteien zuletzt deutlich zulegen.

Das Problem ist ganz einfach: Während man in den vergangenen drei Jahren zeigen wollte, dass man gemeinsam arbeiten kann, um Deutschland nach vorne zu bringen und in der Krise sogar zusammenarbeiten musste, sind Gemeinsamkeiten im Wahlkampf nur hinderlich. Die Wähler müssen unterscheiden können, für was welche Partei steht – sprich: Die beiden Volksparteien wollen so viele Unterschiede wie möglich präsentieren.
Zwecks Glaubwürdigkeit müssen sie diese dann aber auch durchsetzen, oder zumindest der gegnerischen Partei keine Chance auf Realisierung ihrer Ansichten ermöglichen. Somit regiert in Deutschland eigentlich nur noch eine Zweckgemeinschaft, die die Zeit bis zur Wahl damit verbringen will, in der Gunst der Wähler die jeweils eigene Partei ins beste Licht zu rücken.

bundesregierung_kabinettDenn zuletzt hatten eben diese Wähler vor allem einen Konflikt: Die Mitte. Die CDU setzt als Auswirkung der Wirtschaftskrise plötzlich die Verstaatlichung der angeschlagenen Hypo Real Estate Bank durch – ein sehr linksgerichteter Akt. Das freut den möglichen zukünftigen Koalitionspartner, die liberale FDP, nicht besonders. Und weil sich keine Partei Ärger mit den eventuellen Partnern erlauben kann, geht es jetzt auf Kuschelkurs mit eben jenen – und Distanz zum Noch-Koalitionspartner.


Viel erwarten kann man also nicht mehr, wenn Deutschland jetzt für fünf Monate im Wahlkampf-Tief steckt. Denn nur bei einem ist sich die Große Koalition noch einig: Die Regierung soll bis zum Wahltag durchgezogen werden. Danach dann aber bitte mit einer anderen Parteienkonstellation.

(Text: Miriam Keilbach / Fotos: Miriam Keilbach, Konrad Welzel)

Miriam K.

Miriam war 2007 im Gründungsteam von backview.eu. Sie volontierte beim Weser-Kurier in Bremen und arbeitet seit 2012 als Redakteurin bei der Frankfurter Rundschau. Ihre Themen: Menschen, Gesellschaft, Soziales, Skandinavien und Sport.

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