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Der aussichtslose Favorit

Joachim Gauck hat kaum Chancen, Bundespräsident zu werden, aber die Presse lobt ihn über den grünen Klee. Er nennt sich selbst liberal und konservativ, aber statt Union und FDP haben ihn die Oppositionsparteien für die Wahl zum Staatsoberhaupt aufgestellt. Verkehrte Welt, wie es scheint. Verlierer oder Favorit, rechts oder links – wer ist Joachim Gauck wirklich?
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Die Journalisten lieben ihn geradezu: „Yes, we Gauck”, titelt „Bild am Sonntag”, für den „Spiegel” ist er „Der bessere Präsident” und die „Welt” wünscht ihn sich als nächstes deutsches Staatsoberhaupt. Auch die „Süddeutsche Zeitung” korrigiert schnell ihr Bild vom „chancenlosen Theologen” und erklärt stattdessen kurzerhand Christian Wulff zum „Risikokandidaten”.

Dabei hat Joachim Gauck als Kandidat von SPD und Grünen rein rechnerisch so gut wie keine Chance, Bundespräsident zu werden. Schwarz-Gelb hat in der Bundesversammlung eine satte Mehrheit von 23 Stimmen. „Ich bin Realist, ich kann rechnen”, stellt Gauck deswegen auch selbst fest. Trotzdem dürfte es für den Kandidaten der schwarz-gelben Regierungskoalition, Christian Wulff, nicht ganz so einfach werden, wie es zunächst scheint. Für viele in der Union, aber auch in den Reihen der FDP, ist Gauck alles andere als unwählbar.

Ein ranghoher Liberaler wundert sich, „warum FDP und CDU nicht auf diesen Kandidaten selbst gekommen sind”. Beim Koalitionspartner dürfte es stellenweise ähnlich aussehen. Schließlich hatten sie Gauck früher selbst schon einmal als Bundespräsidenten auf dem Schirm: 1999 wollte die CSU ihn gegen Johannes Rau antreten lassen, daraus wurde jedoch nichts. Dass SPD und Grüne und nicht die Regierungsparteien den 70-jährigen Theologen aufstellen, wird als politischer Coup gewertet, der vor allem Angela Merkel noch unangenehm aufstoßen könnte.

Gauck wuchs in Rostock auf und erlebte schon im Alter von elf Jahren die unterdrückerische Härte des DDR-Regimes: Sein Vater, ein einfacher Hafenarbeiter und Kapitän, wurde 1951 von der sowjetischen Geheimpolizei verhaftet und in ein sibirisches Arbeitslager gesteckt. Erst vier Jahre später sah er ihn wieder. Wohl nicht zuletzt wegen diesem prägenden Ereignis engagierte sich Joachim Gauck später in der Oppositionsbewegung der DDR für die Bürgerrechte.

Nach der Wende leitete er viele Jahre die Stasi-Unterlagenbehörde, die lange als „Gauck-Behörde” bekannt war. Beim Aufdecken der Machenschaften der DDR-Staatssicherheit schreckte er nicht davor zurück, sich mit ranghohen Politikern und – im Fall der CDU-Spendenaffäre – sogar mit ganzen Parteien anzulegen.

Heute liegt Gauck die Aufarbeitung des Nationalsozialismus und der DDR-Geschichte am Herzen, er schreibt Bücher und hält Vorträge im ganzen Land – als „reisender Demokratielehrer”, wie er selbst sagt.

Mit der Kanzlerin verbindet ihn nicht nur die DDR-Prägung, auch persönlich stehen sich Gauck und Merkel nahe: Auf seinem 70. Geburtstag hielt sie eine warmherzige Rede auf den ehemaligen Bürgerrechtler und vor Jahren soll sie ihn sogar als nächsten Ministerpräsidenten von Mecklenburg-Vorpommern ins Spiel gebracht haben.

Joachim Gauck hätte also durchaus auch der Kandidat von Schwarz-Gelb werden können, nominiert haben ihn aber SPD und Grüne. Das passt insofern zu ihm, dass er sich selbst politisch keinesfalls festlegen möchte und im unwahrscheinlichen Fall seiner Wahl ein überparteilicher Präsident sein will.

Gauck hat keine Parteimitgliedschaft und bezeichnet sich selbst als „linken, liberalen Konservativen”. Das klingt irgendwie ambivalent und es ist für alle etwas dabei – egal ob rot, grün, gelb oder schwarz. Nur die Dunkelroten können sich nicht wirklich mit ihm anfreunden. Das könnte an den DDR-Altlasten in der Linken liegen, mit deren Spitzenpersonal Gauck nie zimperlich umgegangen ist.

Anderen in der Linkspartei steht er einfach nur zu weit rechts: Bei Gaucks Verständnis von Freiheit ständen ihm „die Haare zu Berge”, sagte Oskar Lafontaine kürzlich. Auch wenn er sich selbst als „links” einordnet, gilt der 70-Jährige als durch und durch bürgerlich – einen „aufgeklärten Patrioten” nannte er sich einmal.

Trotz der scheinbaren Anknüpfungspunkte für die verschiedenen Parteien fühlt sich Gauck nur einer Sache verpflichtet: Der „Liebe zur Freiheit”. Kein Wunder für jemanden, der solche Erfahrungen mit dem Gegenteil gemacht hat – der Diktatur.

Von Freiheit hat Gauck jedoch ein ganz eigenes Verständnis, sie bedeutet für ihn nicht „Ich darf alles”. „So verstehen es nur Pubertierende”, sagt er. Stattdessen bedeute Freiheit Verantwortung. Gauck mag es deswegen gar nicht, wenn Menschen zum Beispiel nicht zur Wahl gehen, weil sie dann „ihre Ohnmacht kultivieren.”

Gegenüber dem glatten und etwas langweiligen Christian Wulff wirkt Joachim Gauck jedenfalls kantiger und entschlossener. Er ist ein scharfzüngiger Redner, ein wahrer Medienprofi, dem nachgesagt wird, dass er in seinem missionarischen Eifer für Demokratie und Freiheit manchmal rhetorisch über das Ziel hinaus schießt.

Sehr eitel soll Gauck auch sein. Das könnte erklären, warum er sich jetzt zur Wahl stellt, obwohl er vor kurzem auf der Leipziger Buchmesse sagte, wegen seiner 70 Jahre wolle er keine hohen Ämter mehr annehmen.

Seine Chancen auf das Bundespräsidentenamt stehen nicht gut, auch wenn sich sein Kontrahent keinesfalls aller Stimmen von CDU, CSU und FDP sicher sein kann. Wegen des Streits in der Regierung über das gerade beschlossene Sparpaket sei die Mehrheit für Wulff auf keinen Fall beschlossene Sache, hieß es zum Beispiel aus der FDP.

Sollte es entgegen aller Erwartungen doch für Gauck reichen, möchte er vor allem eines tun: Den Menschen Mut machen. Denn: „Aus Verdruss kommt keine Zukunft.” Außerdem spricht er davon, die „Sprachstörungen” zwischen Politikern und Bürgern zu beseitigen, schließlich sei unser Staat „nicht nur der Staat derer, die ihn machen”, sondern eben auch der Menschen, die darin leben.

(Text: Timo Brücken)

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