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Falafel zum Frühstück in Palästina

Wir fahren mit offenem Fenster, die Musik aufs Maximum gedreht, kreischen, rasen die Straßen auf und ab, wiegen uns im Takt. Ganz einfach, sechs junge unbeschwerte Leute die nachts unterwegs sind und miteinander Spaß haben. Man würde nicht sagen, dass wir uns in Ramallah, in der West Bank befinden. Auch von der israelischen Besatzung, die hier seit 50 Jahren herrscht, merkt man nichts. In diesem kurzen Augenblick sind wir alle gleich, alle frei.[divide]

Palästina

Zwei Wochen lang haben wir, 20 internationale und 20 palästinensische Studenten, an einem Sommercamp der Universität Bir-Zeit teilgenommen. Neben Ausflügen zu den verschiedenen Städten Palästinas und ihren berühmtesten Sehenswürdigkeiten standen auch kulturelle Treffen, politische Vorlesungen und Freiwilligenarbeit auf dem Programm. Das Ziel: einen kulturellen Austausch zu ermöglichen und den Leuten „von auswärts“ die heikle Situation im Land näher zu bringen.

Diese ist von Anfang an wahrnehmbar: schon während der Anreise wird mir mulmig, als wir mit dem Bus Richtung Ramallah erst einmal ein Stück an der „Apartheid Wall“ entlang fahren, einer 8-Meter-hohen Betonmauer, die von Israel rund um das Gebiet des Westjordanlands errichtet wurde. Am Checkpoint, einem der vielen Wachposten, die dazu dienen den Verkehr von einer Seite zur anderen zu kontrollieren, werden wir zum Glück nicht aufgehalten. Dass die Bewegungsfreiheit in Palästina nicht selbstverständlich ist, wird uns ein paar Tage später bewusst, als ein Tagesausflug nach Jerusalem ansteht: die Palästinensischen Studenten, heißt es, dürfen nicht mitfahren.

Solche Schwierigkeiten halten uns zum Glück nicht davon ab, mit unseren einheimischen Gefährten Freundschaft zu schließen. Am ersten Abend spielen wir ein Kennenlernen-Spiel, bei dem man seinen eigenen Namen nennen und daraufhin die der vorherigen Leute aufzählen muss.

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Nervös versucht jeder, sich die fremd klingenden Worte zu merken und manch einer stolpert über die ungewohnten Laute des Arabischen, doch die anfängliche Peinlichkeit löst sich schnell. Es ist erfreulich zu sehen mit welcher Leichtigkeit und Neugier die Leute aufeinander zugehen und ins Gespräch kommen. Wir diskutieren über Islam, Sunniten und Schiiten, über Hijab (Kopftuch) und über die versteckte Bedeutung der Buchstaben im Koran. Vor allem aber tauschen wir unsere Meinungen über den Konflikt aus, wobei es manches Mal schwierig ist, eine gewisse Objektivität beizubehalten.

Diskussionsrunden und Stadtbesuche wechseln sich mit ehrenamtlichen Aktivitäten ab: so basteln wir an einem Tag mit Kindern in einer Sommerschule und tragen am nächsten dazu bei, ein „Jugenddorf“ auszubauen. Wir pflanzen Olivenbäume, bemalen Wände in einem Flüchtlingscamp, helfen beim Müll-sammeln und transportieren Steine zum Bau einer Mauer.

Ein Treffen mit dem Palästina-Kulturminister

Am vierten Tag nach unserer Ankunft treffen wir den palästinensischen Kulturminister Ehab Bseiso. Er erzählt uns von den israelischen Siedlungen, die laut internationalem Recht illegal auf palästinensischem Gebiet errichtet werden und von den Ungerechtigkeiten, die sich täglich an den Checkpoints ereignen. Wir lernen, dass die sogenannten „palästinensischen Autonomiegebiete“ in drei Zonen unterteilt sind, von denen die Zone C (circa 60 Prozent der Gesamtfläche) gänzlich unter israelischer Autorität steht. Dass es Palästinensern auf diesem Gebiet nicht erlaubt ist, Gebäude zu bauen oder auch nur zu renovieren, klingt für mich nicht so ganz nach Autonomie. Auf die Frage, ob der Minister mit seinem israelischen Amtskollegen in Kontakt sei und regelmäßig Gespräche führe, entgegnet er: „Mit jemandem, der sich brüstet, während seiner Militärlaufbahn x-Palästinenser umgebracht zu haben, ist kein Dialog möglich!“.

Palästina

Diese Aussage macht mich nachdenklich. Wie kann es sein, dass im Ursprungsgebiet dreier Weltreligionen, die allesamt von Nächstenliebe und Toleranz predigen, so viel Zwietracht und Konflikt herrschen? Als ich Tage später in Hebron am Eingang des Machpela- Komplexes stehe, hallt diese Frage in meinem Kopf wider. Dieser Ort gilt für Judentum, Christentum und Islam gleichermaßen als heilig, denn er birgt die vermeintliche Grabstätte des Stammvaters Abraham und seiner Familie. Trotzdem fühlt es sich in der Stadt an wie im Kriegszustand. Fünf israelische Siedlungen zerstückeln die Innenstadt in kleine unzusammenhängende Brocken. Es gibt Straßen, in denen Palästinenser nicht zirkulieren dürfen und andere, in denen Metallgitter die arabischen Passanten vor dem Abfall, den israelische Siedler aus den oberen Stockwerken herabwerfen, schützen. Sogar am Eingang der Ibrahimi Moschee wird unseren palästinensischen Begleitern der Durchgang verwehrt.

So ticken die Menschen

Was mich besonders überrascht, ist die positive und offene Einstellung der Leute trotz der widrigen Umstände. Ich hatte mir erwartet, ein entmutigtes Volk vorzufinden; stattdessen blühen hier zivilgesellschaftliche Organisationen und kulturelle Initiativen. Die Palästinenser sind herzlich und hilfsbereit, laden uns zum Tee ein und freuen sich, wenn wir ein paar Worte auf Arabisch wechseln oder ihnen Fragen stellen. Noch nie bin ich so einer spontanen Gastfreundlichkeit begegnet. Auch unsere palästinensischen Camp-Kollegen setzen alles daran, unseren Aufenthalt so angenehm und sorglos wie möglich zu gestalten. Gleichzeitig besuchen die meisten von ihnen Sommer-Kurse an der Uni und absolvieren zwischen einem Ausflug und dem nächsten ihre Prüfungen. „Ich muss meinen Durchschnitt möglichst hoch halten, damit ich eine Chance auf ein Stipendium habe, denn hier gibt es für mich keine Zukunft.“, meint Johnny, der von einem Masterstudium in den USA träumt. Als ich frage, ob palästinensischen Studenten solche Auslandsaufenthalte genehmigt würden, lacht er bitter: „Genau das wollen sie doch, dass die klugen Köpfe ins Ausland gehen und nicht mehr zurückkommen.“

Palästina

Auf der Rückreise von Ramallah nach Jerusalem kommen mir die Tränen. Als wir zum Checkpoint gelangen, werden wir zur Passkontrolle angehalten. Palästinenser über 40 müssen aussteigen und zu Fuß beim Wachposten nebenan zur Kontrolle antreten. Mir wird bewusst, dass meine Erfahrung in diesem kontrastreichen und doch so wunderschönen Land nun vorbei ist. Obwohl ich zwei Wochen lang aus erster Hand die Realität der Besetzung miterlebt habe, fühle ich mich plötzlich wieder wie eine Touristin, die nach einem abenteuerlichen Urlaub in ihr altes, sorgenfreies Leben nach Hause zurückkehrt. Beim Gedanken an alle meine Freunde die zurückbleiben überkommt mich ein Schuldgefühl. Ich kann gehen, ich habe eine Wahl. Mein Gedankenfluss wird vom Soldaten unterbrochen, der sich mit einem „Shalom!“ an mich wendet. Dass sich sowohl Israelis als auch Palästinenser mit einem „Der Friede sei mit dir“ begrüßen, erscheint mir in diesem Moment paradox. Ich schmunzle halbherzig und reiche ihm meinen Pass.

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