Liebe Frau Merkel, so geht das nicht!
Ein persönlicher Aufruf, warum wir demonstrieren mĂŒssen
Mit der angekĂŒndigten VerlĂ€ngerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken, zeigt die Regierung wieder, dass sie Versprechen nicht hĂ€lt. Die aktuellen Castor-Proteste bieten fĂŒr viele Anlass zum Protestieren, um ihren Unmut kundzutun. Warum aber denkt gerade ein GroĂteil der Jugend, dass demonstrieren gar nichts bringe?
Ich sitze mit ein paar Freunden im Aufenthaltsraum meiner Schule, der Unterricht fĂ€llt aus oder wir haben einfach keine Lust hinzugehen. Meistens fliegt irgendeine Zeitung herum, solange es nicht die Bildzeitung ist, wird sie auch mal in die Hand genommen und durchgeblĂ€ttert. Meist endet es dann darin, dass man sich ĂŒber dĂ€mliche Politiker lustig macht. Heute prangen auf der Titelseite die Castor-Transporte. Anna findet es witzig, dass der Zug nur wenige Meter voran kommt. Die meisten finden es aber unnötig, es koste ja nur Geld. âUnd was bringt denn Demonstrieren schon?“, fragt mich Anna.
Wenn man sich in der Jugend umhört, ist das die gĂ€ngige Stimmung. Es gibt Ausnahmen, aber die meisten glauben nicht, dass man mit Protesten etwas verĂ€ndern kann. Ich wĂŒrde mich selbst als eine dieser Ausnahmen bezeichnen. Seitdem ich 15 bin, engagiere ich mich in politischen Organisationen und wohne Kundgebungen und Demonstrationen bei. Ich bin irgendwie in diese Tradition hinein geboren worden.
Mein GroĂvater war SPD-Politiker, mein Vater ging in seiner Jugend oft protestieren, meine Mutter und GroĂmutter sind Parteimitglieder. Die Entscheidung, politisch aktiv zu werden, oder – um noch weiter zurĂŒckzugehen – politisch zu sein, war dabei aber nie aktiv von meinem familiĂ€ren Hintergrund beeinflusst. Ich begann etwa in der neunten oder zehnten Klasse damit, mich fĂŒr Politik zu interessieren und entschied mich dann spĂ€ter, Mitglied bei den Jusos zu werden.
Ich wollte mich zunĂ€chst einfach nur engagieren, mich fĂŒr eine bessere Gesellschaft einsetzen, meinen Teil dazu beitragen und nicht nur meckern. Dabei sagte mir die Jugendorganisation der SPD am meisten zu, richtiges Parteimitglied wollte ich da aber noch nicht werden, da ich mit der Mutterpartei manchmal noch Probleme hatte. Auch heute bin ich noch kein Parteimitglied. Warum ich mich aber entschied, nicht nur politische Arbeit im Sinne von Kommunalpolitik zu leisten, sondern politisch aktiv zu sein, indem ich meine Stimme auf die StraĂe trage, um so mein demokratisches Recht auf Partizipation zu nutzen, hatte einen Auslöser, einen bestimmten Grund.
Es war vor zwei oder drei Jahren. Als ich bei einem Festival den Jusos Stand betreute, wurde ich auf die Bildungsstreiks aufmerksam. Ich lieĂ mich von einem Mitglied des Allgemeinen Studierendenausschusses aufklĂ€ren und entschied, mich zu beteiligen. Es war die Wut gegen die Bildungspolitik und gegen die Bildungsministerin, die mich und Zehntausende Andere damals auf die StraĂe trieb.
In der Folge wurden hunderte UniversitÀten besetzt. Die Stimmung war aufgeheizt, die Bildungsministerin hatte sich mit Studierenden an einen Tisch gesetzt. Am Ende war das Ergebnis nicht befriedigend, aber man hatte die Aufmerksamkeit der Politik erlangt.
Und genau dabei geht es auch bei den Castor-Demonstrationen und den anderen âPro Ăko“-Protesten. Die Bundesregierung versicherte anfangs noch, dass man die Laufzeiten verkĂŒrzen wolle, dass man ein Zeichen setzen wolle. Ja, ein Zeichen setzte die Regierung. Nur in die andere Richtung. Es geht darum, laut zu sein, sich Gehör zu verschaffen, die Aufmerksamkeit der Politik zu erlangen. Es geht aber auch darum, Druck auszuĂŒben. Wir mĂŒssen als BĂŒrger den Politikern signalisieren, dass wir ein Mitspracherecht haben und, dass man das Volk nicht stĂ€ndig unbestraft tĂ€uschen kann.
Aber neben diesem allgemeinen Problem, Signale an die Politik zu senden und seine Grundrechte einzufordern, geht es bei den Castor-Protesten um etwas ganz Spezielles. Es geht um die Umwelt und darum, wie wir mit ihr umgehen, es geht um ein vorausschauendes Denken und um die Zukunft unserer Kinder und Enkel.
Bei den Protesten gegen die Transporte geht es ja nicht nur um die Transporte an sich, es geht um das ganze Atomenergieproblem, um die Unsicherheit und die Frage um das Endlager Gorleben. Dort soll der MĂŒll fĂŒr mehrere Millionen Jahre lagern. Eigentlich hatte man etwas Ăhnliches auch im Salzstock Asse II bei WölfenbĂŒttel vor. Der Salzstock aber hielt den natĂŒrlichen Verformungen des Berges nicht mehr stand und so fand man dort 1988 radioaktives Wasser.
Lange hat man das verschwiegen – bis 2008. Dort gerĂ€t die Politik mittlerweile unter Zeitdruck, denn die StabilitĂ€t des Salzstockes ist nur noch auf wenige Jahre datiert. Noch immer lagert dort giftiger MĂŒll, wenn das Salzbergwerk einstĂŒrzt, könnten radioaktive Stoffe ins Grundwasser gelangen.
Die Politik will also in Gorleben fĂŒr Millionen Jahre den MĂŒll angeblich sicher vergraben. Dass das in WölfenbĂŒttel aber nur wenige Jahre gut gelaufen ist, scheint nicht so wichtig zu sein. Wichtiger ist, dass man das Problem AtommĂŒll und dessen Lagerung schnell aus den Augen schafft. Oder zumindest aus den Köpfen der WĂ€hler. Als BĂŒrger eines Staates, der sich auf eine demokratische Verfassung stĂŒtzt, kann man sich nie damit zufrieden geben, wenn man von der Regierung hinters Licht gefĂŒhrt wird. Die schwarz-gelbe Koalition hat es schon mehrmals bewiesen, dass sie Versprechen nicht einhĂ€lt. Warum sie immer damit durchkommen? Weil sich vielleicht jeder Ă€rgert, aber sich keiner wirklich lautstark beschwert oder nur ein geringer Teil der Bevölkerung dies macht.
Aber gerade meine Generation, Anna und die anderen aus dem Aufenthaltsraum, sollten allein schon wegen ihres Alters demonstrieren gehen. Wir, die Jungen, sollten an Nachhaltigkeit denken, an Konsequenzen aus dieser Umweltpolitik. Wenn man sich umhört, dann sind es doch vor allem die jungen Menschen, die sich gegen Atomkraftwerke und fĂŒr die Nachhaltigkeit aussprechen. Alleine deshalb, weil wir jung sind und noch unser ganzes Leben vor uns haben, mĂŒssen wir diese Fehler erkennen und den Politikern zeigen, dass wir umdenken mĂŒssen. Probleme verschwinden nicht automatisch, wenn man sie unter der Erde vergrĂ€bt.
Es ist vielleicht sogar so etwas wie eine Verantwortung, die wir tragen. Wir mĂŒssen an die Zukunft denken, in die Zukunft investieren und dies deutlich machen. âVerstehst du, Anna? Deshalb mĂŒssen wir demonstrieren!“
(Text: Miriam GrÀf)
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