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Keine Skrupel im Golf von Aden

piraterie_teaserJede Woche schlagen sie erneut auf offener See zu, rücksichtslos und brutal. Je weiter das Jahr  voranschreitet, desto hoch ist die Anzahl von Piraterieattacken weltweit und insbesondere vor der Küste Somalias. back view wirft einen Blick auf Daten, spektakuläre Fälle und Gründe für die zunehmenden Angriffe.


Ohne Frage, der Golf von Aden, der sich zwischen der autonomen Region Puntland im Nordosten Somalias und dem Jemen befindet, ist das Hoheitsgebiet der Piraten. Der Konflikt, den die Somalier im Land führen, wird auf dem Wasser fortgesetzt. 62 Prozent der weltweiten Angriffe und Geiselnahmen von Öltankern, Massenguttransportern und Fischerbooten gingen 2011 auf das Konto der Ostafrikaner.

pirateriegrafik1Höchste Lösegeldforderung, größtes Schiff, größte Distanz
Aufsehen erregte die Inbesitznahme des saudischen Supertankers „Sirius Star” am 15. November 2008, eine Kaperung bei der sich Superlativ an Superlativ reihte. Bereits der Angriff erfolgte in ungewöhnlich hoher Distanz zur Basis der Entführer, 800 Kilometer vom Festland Mombasas entfernt.

Nachdem somalische Piraten das Schiff unter ihre Kontrolle gebracht hatten, steuerte die „Sirius Star” den Hafen der Stadt Harardhere in Puntland an. Das Schiff transportierte nicht weniger als zwei Millionen Barrel Rohöl, dessen Wert zwischen 80 und 90 Millionen Euro betrug. Überdies hinaus hatte bereits die „Sirius Star” einen Wert von über 150 Millionen Euro.
Die Lösegeldforderung der Piraten von umgerechnet über 190 Millionen Euro wurde im Laufe der Verhandlungen auf etwa 2,3 Millionen Euro gesenkt. Doch nachdem sie den Tanker am 9. Januar 2009 freigelassen hatten, nahmen die Somalier Kurs auf Puntland. Dabei gerieten sie in einen Sturm und ertranken mitsamt der Beute.

pirateriegrafik4Die meisten der Angriffe verlaufen jedoch erfolgreicher und die Twitter-Chronik des International Maritime Bureau (IMB), das alle Piraterie-Angriffe aufzeichnet und Statistiken zu ihnen aufstellt, zählt scheinbar endlos die Kaperungen von Schiffen auf. Besonders frequentiert sind neben der somalischen Küste auch die Region um die Philippinen und Indonesien sowie die Karibik.

Immer wieder geht es um hohe Lösegeldbeträge, die es den Piraten ermöglichen, sich weiter aufzurüsten und gegen die Anti-Piraterie-Schutzmaßnahmen des IMB resistent zu werden. Sie kaufen bessere Waffen, modernere Navigationsgeräte und operieren von Mutterschiffen auf hoher See. Deshalb wird generell kritisiert, die Forderungen der Piraten überhaupt zu erfüllen.

Um sich aus dem Teufelskreis zu befreien und die Piraterie unrentabel zu machen, dürften keine Lösegelder mehr ausgezahlt werden. Doch angesichts von Beispielen wie der „Sirius Star” oder der Tatsache, dass die Piraten die Crew des Schiffes als menschliche Schutzschilder nutzen, ist es fraglich, inwiefern man die gekaperten Schiffe einfach ihrem Schicksal überlassen darf.

Im Gegensatz zur Fischerei stellt die Piraterie für die arme, vom Konflikt zermürbte Bevölkerung Puntlands eine Möglichkeit dar, schnell zu Geld zu kommen, sich mit Waffen auszurüsten und einen aufwendigeren Lebensstil zu finanzieren.
Insbesondere junge Männer, die schlechte Aussichten auf eine berufliche Zukunft haben, lassen sich oftmals für die Fahrt auf hoher See rekrutieren – für einen hohen Preis: „In den letzten sechs Monaten haben somalische Piraten mehr Schiffe denn je zuvor attackiert, außerdem gehen sie höhere Risiken ein”, sagt Pottengal Mukundan vom IMB.
„Im Juni haben Piraten zum ersten Mal in stürmischen Gewässern des Indischen Ozeans während des Monsuns auf Schiffe gefeuert. Früher wäre man unter so schwierigen Bedingungen davor zurückgeschreckt.”
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Des Weiteren nahm die Dauer der Geiselnahmen um 50 Prozent zu. Im Durchschnitt befinden sich die Schiffe acht Monate in der Hand der Piraten. Für die 1206 Geiseln, die 2011 von Somaliern gefangen gehalten wurden, ist dies eine Qual, wie eine anonyme Geisel dem IMB erläutert: „Die Piraten verbrannten uns mit den Enden ihrer Zigaretten, legten uns in Ketten und ließen uns in der sengenden Hitze an Deck bei über 50 Grad Celsius. Die Kompanie kümmerte sich überhaupt nicht um uns und die Piraten wurden darüber wütend und begannen uns zu quälen.”

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Dass die Anzahl der erfolgreichen Kaperungen abnimmt, dürfte die Seefahrer kaum beruhigen. Denn der mäßige Erfolg der Piraten, begründet in den umfangreichen Anti-Piraterie-Schutzmaßnahmen des IMB, lässt das Aggressionspotential weiter steigen. Lediglich eine Beilegung der somalischen Konflikte und eine Bekämpfung der Armut könnten daher helfen, die horrenden Summen der Lösegelder sowie die Kaperungen zu minimieren.

(Text: Ronja Heintzsch / Grafiken: Ronja Heintzsch auf Basis der Daten des International Maritime Bureau)

Ronja H.

Konstruktive Kritik in bitterscharfen Kommentaren üben, die Welt bereisen, auf aktuelle Problematiken hinweisen - all dies sind Gründe, aus denen Ronja beschloss, sich dem Metier Journalismus zu verpflichten. Schließlich gibt es noch einige unaufgedeckte Watergate-Affären in dieser Welt.

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