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„Hilfe statt Strafe“ – Interview mit Suchthilfe Wien

Wir alle suchen gerne den Rausch im Leben. Mit Drogen kommt es leicht zum Kick! Was aber heißt es von Drogen abhängig zu sein? Die Beweggründe sich zu berauschen, aber auch wieder damit aufzuhören können so unterschiedlich sein, wie die Menschen selbst. Wie Suchtberatende damit umgehen, erzählt Sonja Grabenhofer von der Suchthilfe Wien.

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back view: Was bieten Sie als Suchthilfe Wien an?
Sonja Grabenhofer:
Die Suchthilfe Wien betreibt Drogenhilfseinrichtungen und Gemeinwesenprojekte in Wien. Die Einrichtungen der Suchthilfe Wien gGmbH setzen zahlreiche Angebote: von Präventions-, Weiterbildungs-, Informations- und Aufklärungsmaßnahmen über die Beratung, Behandlung und Betreuung suchtgefährdeter und suchtkranker Personen und die Förderung eines sozial verträglichen Nebeneinanders im öffentlichen Raum bis hin zu Projekten im Bereich der (Re-)Integration suchtkranker Menschen in den Arbeitsmarkt. Ziel ist es, psychische, physische und soziale Probleme von Drogenkonsument/innen und anderen marginalisierten Menschen zu reduzieren, deren gesellschaftlichen Ausgrenzung entgegenzuwirken, zu ihrer gesundheitlichen, sozialen und beruflichen (Re-)Integration beizutragen oder das soziale Nebeneinander im öffentlichen Raum zu fördern.

Machen Sie in der Beratung einen Unterschied, ob es legale oder illegale Drogen sind?
Wenn es um die Entwicklung von Abhängigkeit geht oder um Schadensminimierung: nein. Jeder Konsum von Drogen birgt Risiken, sowohl der Konsum von illegalen, als auch der Konsum von legalen Substanzen. Der rechtliche Status ist eine Ebene des Risikos, das Menschen eingehen, wenn sie Suchtmittel konsumieren. In der Beratung unterliegen Sozialarbeiter/innen und Psychologen/innen, die in unserem Betrieb arbeiten, der Verschwiegenheitspflicht.

Interview mit Suchthilfe Wien
Sonja Grabenhofer, Suchthilfe Wien, im Interview

Diese ist wichtig für das Vertrauensverhältnis, gerade wenn es um illegale Substanzen geht. In der Beratung unterstützen wir Suchtkranke dabei, ihr Verhalten zu reflektieren und gegebenenfalls zu verändern, Risiken besser wahrzunehmen, bzw. den Schaden beim Konsum so gering wie möglich zu halten. Wir orientieren uns in diesem Zusammenhang am obersten Ziel der Wiener Sucht- und Drogenpolitik – nämlich, dass so wenig Menschen wie möglich Suchtmittel konsumieren und, dass jene, die nicht davon abzuhalten sind, so wenig Schaden wie möglich nehmen.

Wird Cannabis oft als Einstiegsdroge benutzt?
Eine Einstiegsdroge im klassischen Sinn gibt es nicht. Diese Theorie der Suchtentstehung ist wissenschaftlich nicht haltbar. Suchtentstehung ist ein sehr komplexes Thema und hat viele Aspekte. Die Substanz ist ein Faktor. Die weiteren Faktoren bilden die Umwelt und die Person selbst. Das heißt, eine Substanz hat zwar eine bestimmte Wirkung, wie sich das für die betreffende Person anfühlt, wie sie es bewertet und ob sie die Substanz wieder konsumieren will oder nicht, hängt stark von der Person und den Einflüssen aus ihrer Umwelt ab. Wir sprechen hier auch von Schutz- und Risikofaktoren, die eine Person mitbringt. Für eine Person, die viele Schutzfaktoren hat, bedeutet die Einnahme einer Substanz daher eventuell etwas ganz anders als für jene, in deren Lebenslauf es viele Risikofaktoren gibt, beispielweise traumatische Erlebnisse, keine guten Beziehungen, keine oder wenige Bewältigungsstrategien für schwierige Lebenssituation usw. Wird eine Substanz als Bewältigungsstrategie missbraucht und passiert dies immer wieder, so sprechen wir von Suchtgefährdung.

Es wird viel über die Legalisierung von Drogen diskutiert, wären Sie dafür oder dagegen?
Diese Frage stellt sich für mich nicht, da der Konsum von Suchtmitteln gesundheitspolitisch grundsätzlich nicht zu befürworten ist. Wichtig ist es aber, Menschen, die sich zum Konsum entschlossen haben, über die Wirkungen und die gesundheitlichen und rechtlichen Konsequenzen zu informieren. Das sollte auf eine nicht verharmlosende, aber auch nicht dämonisierende Art und Weise passieren. In diesem Sinne bin ich für die Entkriminalisierung von Konsument/innen und befürworte das Prinzip „Therapie statt Strafe“.

Auf welche Probleme oder Herausforderungen stoßen Sie am häufigsten in Ihrer Arbeit?
Wenn es darum geht mit Konsument/innen zu arbeiten, liegen hinter den Konsumgeschichten oft sehr traurige und schwierige Lebensgeschichten. Herausfordernd kann beim Gespräch mit einer Person sein, zuzuhören und präsent zu sein und gleichzeitig die Lebensgeschichte im Anschluss „nicht mit nach Hause“ zu nehmen.

Warum nehmen Menschen eigentlich Drogen?
Das Spektrum der Konsummotive ist sehr breit und geht von dem Wunsch nach außergewöhnlichen Erfahrungen, Berauschung und Ekstase über Gruppenzwang, Umgang mit Frust und Problemen bis hin zur Lebensbewältigungsstrategie.

Wann ist der Zeitpunkt sich über den eigenen Drogenkonsum Gedanken zu machen?
Spätestens, wenn man das Gefühl hat, dass man seinen Konsum nicht mehr unter Kontrolle hat. Eine solche Situation könnte z.B. sein, dass man zum Glas greift und das Gefühl hat ‚Hm… eigentlich sollte ich das lieber lassen‘, lässt es aber nicht und trinkt trotzdem. Eine andere Situation wäre, wenn einem nahestehende Personen mitteilen, dass sie sich aufgrund des Konsumverhaltens Sorgen machen. Es ist also immer dann ein guter Zeitpunkt das eigene Konsumverhalten zu überdenken, wenn einem selbst oder anderen auffällt, dass das man regelmäßig, öfter oder mehr als früher konsumiert. Möchte man das eigene Konsumverhalten verändern, ist es hilfreich, sich Unterstützung zu holen – entweder aus dem persönlichen Umfeld oder in einer Beratungseinrichtung.

Wie viele werden denn rückfällig?
Diese Frage kann man so nicht beantworten. Wenn Menschen in ihrem Leben etwas verändern, dann verläuft das sehr unterschiedlich. So ist das auch beim Reduzieren oder Beenden des Suchtmittelkonsums. Per se sind Rückfälle jedoch nicht zu verurteilen, vielmehr sie sind ein Bestandteil, der bei der Änderung von Verhalten bzw. der eigenen Lebensführung dazugehört und wichtige Lernerfahrungen mit sich bringt.

Wieso gibt es Drogen?
Viele Menschen haben das Bedürfnis sich zu berauschen und sie tun dies auf unterschiedlichste Art und Weise. Es gibt Menschen, die drehen sich so lange im Kreis bis sie ein Rauscherlebnis haben, andere erleben Berauschung durch sportliche Herausforderungen wie Bungee Jumping oder Fallschirmspringen und wieder andere konsumieren psychoaktive Substanzen. Wichtig für unsere Arbeit ist es, Menschen, die Drogen konsumieren, nicht zu verurteilen, sondern sie dort „abzuholen“, wo sie gerade stehen und ihnen mit Respekt und einer akzeptierenden Haltung zu begegnen.

(Interview: Anna Luther / Foto: Sonja Grabenhofer)

Anna L.

Anna Luther schreibt seit Februar 2015 bei backview.eu und interessiert sich für gesellschaftliche, kulturelle und politische Thematiken. Sie studiert in Wien Publizistik- und Kommunikationswissenschaft und Philosophie.

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