Deutschland

In ruhigeren Gewässern

Sie enterten die Parlamente mit ihren Schlachtgesängen, sie schnupperten an der Macht. Doch nun, einige Monate und Skandälchen später, scheinen die einst hochgelobten Piraten wieder in ruhigeren Gewässern zu schippern. back view blickt für Euch zurück auf und die Vergangenheit der Piratenpartei und wagt eine Prognose.

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Der Name war Programm: Die aus Schweden stammende Onlinebewegung, die sich in den Piraten manifestierte, rüttelte mit gewetzten Messern an den verstaubten Toren zur Macht. Der Aufstieg in Deutschland war steil, er begann mit den Landtagswahlen 2011 in Berlin, wo man auf beachtliche 8,9 Prozent kam. Es folgten Wahlerfolge in NRW (7,8 %), im Saarland (7,4 %) und in Schleswig-Holstein (8,2 %).

Piraten und Freiheit
Die Piratenpartei nutzte die Lücke, die eigentlich der FDP – und mit Abstrichen den Grünen – zugeschrieben wurde: Bürgerrechte – und vor allem Freiheitsrechte im Internet. Mobil sollte jeder sein, das war und ist eine Prämisse der Piraten. Zugang zum Internet als Bürgerrecht – wenn man es denn mal zuspitzen möchte.
Schnell waren die Piraten zwar als Einpunkt-Partei abgestempelt, doch sie lehrten die anderen, etablierten Parteien das Fürchten. Zu lange hatten Linke, SPD, Grüne, FDP und CDU die Thematik des Internets, der neuen Medien und den damit verbundenen Folgen verschlossen. Stichwort: „Zensursula” – damals intervenierte Ursula von der Leyen mit einer Sperrung von Internetseiten mit kinderpornographischen Inhalten.

Kinderpornographie gehört nicht ins Netz, sie gehört nirgends auf diese Welt – das ist wohl gesellschaftlicher Konsens. Und dennoch zeigte die Sperrung der Seiten die Sprengkraft der Internetthematik: Widerstand etablierte sich, man fürchtete um weiterführende Einschnitte. Die Piraten nutzten diese Nische clever. Ähnlich wie die Grünen sich 1982 mit dem Umweltschutz ein Nischenthema erschlossen, etablierten die Piraten das Internet als ihr eigenes Themenfeld.
Politik-Laien wurden zu Volksvertretern, doch der Boom war vor allem bei jungen Erwachsenen anzusiedeln. Sie torpedierten die Kleiderordnung und stellten seltsame Zwischen- und Anfragen an die Landtage. Sie waren der Stachel in den Nadelstreifen der alten Hasen.

Skandälchen und Zwietracht
Doch was folgte dann? Der Geschäftsführer der Piraten Johannes Ponader saß bei Günter Jauch in der Sendung und propagierte die Freiheit der Medien, er sei vernetzt, die sei vernetzt und er vernetzte sich im Netz… Er holte mehrfach sein Handy raus, twitterte, hörte nicht zu und war irgendwie mehr mit seinem Handy als mit den anderen Gästen beschäftigt.

Nicht nur Knigge-Experten wussten, dass das kein freundliches Benehmen war. Es war vielmehr der hölzerne, wenig authentisch wirkende Versuch einer medienkompetenten Vorstellung. Eine Kleinigkeit, sicherlich. Doch es folgten viele weitere kleinere Skandälchen, die im Gesamtbild eine zerstrittene und heterogene Partei ergeben.
Das Piraten-Vorstandsmitglied Julia Schramm verstieß zudem gegen die eigens auferlegte Freiheit im Internet und Transparenz und untersagte die Verbreitung ihres Textes im Netz. Die Glaubwürdigkeit der Piraten litt, die angeblichen 100.000 Euro Vorschuss, die Schramm für ihre Schreibe vom Verlag bekommen haben soll, trugen zu diesem Eindruck bei. Zum Text selbst meinte der Spiegel: „Das Buch ist ein Desaster.”

Köpfe statt Themen – Themen statt Köpfe?
Man hatte das Gefühl, dass die junge Partei sich mehr um Köpfe als um Themen kümmerte. Fachpolitische Aspekte und Debatten waren bisher noch keine große Stärke, abgesehen von der Onlinethematik herrschte lange Zeit inhaltlicher Stillstand. Vielmehr wurde um Posten und Einfluss im Vorstand gerungen – das alles trotz basisdemokratischem Eigenverständnis. Eine Partei, die sich gegen das arrivierte System wendet, verzettelt sich im bürgerlichen Einfluss-Kleinkrieg.
Gut zwei Jahre nach dem begonnenen Siegeszug ist die Piratenpartei wieder auf dem Boden der Tatsachen gelandet. Von den zwischenzeitlichen 13 Prozent ist man auf nun drei heruntergekracht. Eine Partei im Sturzflug? Oder immer noch eine Partei, die Chancen birgt?

Mit den Piraten wurde ein modernes, aber doch vernachlässigtes Thema auf die politische Agenda gehievt. Doch was man sich mit den Händen aufbaute, riss man sich mit dem Hinterteil wieder ein. Auch für bundespolitische Bündnisse kommen die Piraten derzeit wohl noch nicht in Frage. Bei den alltäglichen Farbspielen zwischen rot-gelb-grün-schwarz taucht das Orange der Piraten nicht so recht auf. Es bleibt auch ohnehin die Frage, ob die Piraten in die Regierung wollen. Derzeit können sie vor allem als Internetkorrektiv zu den anderen Parteien gesehen werden. Ihre reine Existenz zwingt die restlichen Parteien dazu, ein in dieser Moderne vorherrschendes Thema wie Internet und Medien nicht weiter zu ignorieren.

Weiterhin sind die Piraten Teil einer internationalen Bewegung, die in Skandinavien ihren Ursprung fand und den Weg sukzessive in die Parlamente der Erde schaffte. Es ist der Beweis, dass Politik es auch von der Straße in die Land- und Bundestage schaffen kann – die Grünen gelten dabei als Beispiel für diesen Prozess.

Die Chance bleibt gewahrt
Es bleibt abzuwarten, inwiefern die Partei ihre innerparteilichen Gräben zuschütten kann. Dann könnte auch eine Aussöhnung mit potenziellen Wählern folgen, zwar sind die 13 Prozent aus dem Vorjahr wohl utopisch, doch die Fünf-Prozent-Hürde scheint durchaus realistisch. Wenn die Piraten die Flagge des Datenschutzes und der Freiheit weiterhin hochhalten können und weniger über ihre eigenen Eitelkeiten streiten, können sie zumindest auf eine breite Masse an Interessierten setzen, denn die Facebook-Generation wird nicht kleiner.

Eine Regierungsbeteiligung scheint einerseits diffizil, andererseits auch nicht unbedingt von den Piraten forciert. Doch auch hier kann die Partei auf den Entwicklungsprozess der Grünen blicken, die ebenfalls lange Zeit mit schiefen Augen angeschaut wurden. Die Gewässer scheinen zunächst beruhigt und die Piraten gekentert, doch die Thematik und die implizite Chance schwelen weiterhin im Untergrund.

(Text: Jerome Kirschbaum)

Jerome K.

Jerome schreibt am liebsten über Sport, wenn er denn nicht selbst auf einem Platz steht. Seit Oktober 2010 verdingt sich Jerome als Schreiberling für back view, neben den Leibesübungen widmet er sich sich auch politischen Themen. Im wahren Leben musste Jerome zahlreiche Semester auf Lehramt studieren, um dann schlussendlich doch etwas ganz anderes zu werden.

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