Dürre Beinchen, Kleidermaße 34 und mindestens 1,80m groß – so müssen Topmodels aussehen. Als wandelnder Kleiderständer bewerben kann sich allerdings jeder. Selbst ich mit meinen viel zu dicken Schenkeln und einem gesundem BMI (Body-Mass-Index). Warum also nicht? Ein Selbstversuch bei Germany’s Next Topmodel.
Ich sitze heute Mittag nichts ahnend im Büro, als von unserer Sekretärin eine Mail in den Postfächern landet: „Heidi Klum ist in der Stadt! Casting für Germany`s Next Topmodel (GNT)-Staffel 62546″ Mein erster Gedanke: „Ähm ja. Interessant.” Mein zweiter: „Geil, da mach ich mit!” Jedoch weniger, weil ich hoffe, dass meine Teenager-Träume vom erfolgreichen Model-Dasein endlich in Erfüllung gehen. Dass ich keine Chancen habe, ist mir klar. Aber ich bin neugierig. Wie läuft diese Lachveranstaltung ab? Wie muss man sich blamieren, um als nächstes Klappergestell genauso schnell im Nichts zu verschwinden, wie man aufgetaucht ist?
„Hiermit übergebe ich all meine Rechte an Pro7 “
Also Google Maps gefragt und den Ort des Geschehens gefunden: Maritim Hotel München. Dann mache ich mich mal auf den Weg. Da es zwei Minuten zuvor in Strömen geregnet hat, ist so gut wie keiner da. Sehr gut, auf langes Anstehen und Blicke à la „Seit wann dürfen hier denn auch Übergewichtige mitmachen?” habe ich überhaupt keine Lust.
Mal eben eine Einverständniserklärung unterschrieben, dass mich die Pro-7-Kamera auch bis aufs Klo begleiten darf. Abgeben, dem GNT-Türsteher-Proll meinen Ausweis zeigen, und los geht’s.
281 – Nummer zur Topmodel-Karriere?
Wir bekommen erst einmal schicke Aufkleber aufgedrückt. 281. Ist das etwa meine Nummer zum Glück? Ist das die Zahl, die mir die Türen ins Model-Business öffnet? Naja, wohl eher nicht. Mit vier anderen „Mitstreiterinnen” geht es dann zur ersten Hürde: Cat Walk vor der Kamera. Die anderen Bewerberinnen werden auf einmal kreidebleich. Sie sind aufgeregt wie vor der ersten Nagelpflege. Eine war extra aus Wien angereist und eine andere verbrachte die letzte halbe Stunde auf dem Klo, um sich die einzelnen Haarsträhnen zurecht zu zupfen.
Modelhirne auf dem Schlauch
Eine kleine hysterische Mitarbeiterin erklärt uns, was wir zu tun haben: Links, rechts, geradeaus und Drehung. Was!? Allgemeine Verwirrung, bitte nochmal. Wo soll ich mich jetzt hinstellen? Auf den schwarzen Strich, aha. Und wann darf ich loslaufen? Wenn du das Kommando hörst. Aye aye Chef!
Purzelbaum auf dem Laufsteg
Ich darf zuerst ran, juhu. Guter Dinge schlendere ich also über den wunderschönen roten Teppich. Am anderen Ende glotzen mich drei gelangweilte Pro7-Mitarbeiter an. Hier wird noch nicht bewertet. Die Aufnahmen dienen lediglich für später, falls man es in die nächste Runde schafft. Ich bin kurz davor, einen Purzelbaum zu machen oder ein Rad zu schlagen. Oder wie wäre es mit ein bisschen Moon-Walk? Schließlich kommt nur ins Fernsehen, wer auffällt. Hat uns die nette Frau erzählt. Aber nein, so mediengeil bin ich dann doch nicht. Nach mir sind die anderen Mädels dran. Dass sie vor lauter Nervosität überhaupt noch geradeaus laufen können, ist ein Wunder.
„Ihr werdet schon nicht sterben”
Super, erste Runde geschafft, also ab in den nächsten Raum. Hier erwarten uns drei Juroren und ein etwas zu klein geratener schwuler Boris Entrup Verschnitt. Wir dürfen brav unsere Namen aufsagen und einmal durch den Raum watscheln. Wir werden schon nicht sterben, hatte uns die nette Frau noch mit auf den Weg gegeben. Puh, Glück gehabt. Ich muss also nicht nach Gnade winselnd vor den Mode-Moguln auf die Knie gehe. In der Tat verläuft alles schmerzlos. Mister Model-Scout sagt, dass für vier von uns fünf hier leider „Endstation” sei. Etwas lässt mich allerdings kurz zweifeln.
Das wackelnde Nilpferd
Neben mir steht das perfekte Topmodel: Super dünn, ungefähr zwei Meter groß und ein strahlendes Fernsehlächeln. Sie sieht schon aus wie eine künftige Gewinnerin. Aber sie kommt nicht weiter. Setzen die Macher von GNT etwa doch nicht nur auf Perfektion? Kann man auch als Nilpferd seine Hüften schwingen, so lange die Ausstrahlung reicht? Komischerweise kam ich übrigens auch nicht in die nächste Runde.
Show bleibt Show
Prinzipiell ist die Heidi-Pieps-Show doch nichts als – Show eben. Es freut mich überaus für die Kleiderständer-Gewinnerin, ganze zwei Wochen lang bekannt zu sein. Aber wer gewinnt oder nicht ist mehr Laune der Macher und Quoten-Auswertung, als wahre Talentsuche. Apropos Talent, da fällt mir ein: Ich glaube ich gehe nochmal zum Casting. Ich und kein Topmodel!? Bei meinen perfekten 100-75-120-Maßen. Das kann gar nicht sein. Die müssen sich bestimmt vertan haben. Ist ja auch verständlich, bei so vielen Menschen. Die haben mich nur nicht richtig gesehen… Ganz sicher!
(Text: Julia Jung / Foto: ds1987)