Musik & Theater

Heavy-Metaler in town

Über das größte Metal-Festival der Welt wird jährlich berichtet. Jeder kennt die Bilder von hunderten in Schlange stehenden Fans, die im örtlichen Laden die Heuschreckenplage nachspielen und auch der, leider verstorbene, Opa Willi war einfach Kult. Doch wie ist es als Besucher mitten drin?
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FestivalWenn man zum ersten Mal zum W:O:A (Wacken Open Air) fährt, dann ist das wie der Eintritt in eine neue Welt. Vor allem, wenn man vorher noch nie auf einem so großen Festival war. Man trifft tausende Menschen und kennt doch erstmal nur seine eigenen Mitreisenden, was sich allerdings innerhalb weniger Minuten ändert. Wenn man sich nicht eh schon in einer Kolonne von Freunden befindet, sind da erstmal deine Zeltplatznachbarn.

Ankommen und Wohlfühlen
Die prüfen zuerst einmal dein Nummerschild – man muss ja wissen, mit was für Deutschen man da campiert – oder man befindet sich gleich in Nachbars „Garten“ mit Pavillon, Lichtern, Grill, Klapptischen oder ganzen Bierzeltgarnituren und es wird fröhlich geplaudert. Manche haben auch ein ganzes Zelt voll Elektronik dabei. Dort können dann den ganzen Tag Terminator-Filme geschaut oder Playstation gespielt werden oder in der eigens für solche Zeiten gebauten Küche „echtes“ Essen gekocht werden.

Gegessen wird ja aber sowieso nur Fleisch. Morgens, mittags, abends und nachts. Natürlich gibt’s auch das typische Marmeladenbrötchen am morgen, aber da der Morgen meist erst gegen elf Uhr beginnt, könnte auch eigentlich schon wieder gegrillt werden, oder?

Auf dem Festivalgelände gibt es auch überwiegend Fleischgerichte und die weniger Aas-Liebenden unter uns begnügen sich mit Pizza oder dem, was nach einer zweistündigen Wartesession noch bei Edeka übrig geblieben ist. Die Mitarbeiter dort sind sehr bemüht trotz des Ansturms immer alles parat zu haben und sind auch nach der tausendsten „Wo find ich dies und das?“-Frage noch immer freundlich.

FestivalLand und Leute kennenlernen
Generell sind die Einwohner Wackens sehr nett. Gerade die ältere Generation scheint sich alle mit dem alljährlichen Ausnahmezustand in ihrem Dorf arrangiert zu haben. Wacken läuft sogar in jedem Jahr zur Festivalzeit zur Höchstform auf, wenn es darum geht,  Anteil an dem Geschäft W:O:A zu machen.

Wenn die Kinder nicht gerade Pfandflaschen einsammeln und das mit in den letzten Jahren zunehmender Aggressivität – da werden auch gerne mal noch halb volle Dosen einfach von den Tischen genommen und ausgeschüttet – fahren die Wackener auch die fußfaulen und weniger kräftigen Besucher mit ihrem Bierkisten vom Edeka zum Gelände zurück.

Auch finden sich an jedem Haus bunte Schilder, dass sich dort eine Bar befindet, man Frühstück haben kann oder es werden gerne vergessene oder leicht zerstörbare Utensilien wie Zelte, Grills, Lampen, Gaskocher, Besteck und Becher etc. verkauft. Man sieht schon, woran es dem gemeinen Festival-Besucher nicht mangeln sollte.

Apropos leicht zerstörbar: Dass ein Zelt abbrennt, scheint ja normal zu sein, wenn keine zwei Meter entfernt die Kohle angefächert und den Funkenflug nicht beobachtet wird oder ähnliches. Aber das ein ganzes Auto abbrennt und der Geschädigte dann für einen Obolus von, wenn sich die Erinnerung nicht täuscht, fünf Euro Fotos mit ihm und dem Auto anbietet, ist der endgültige Beweis, dass man in einem eigenen, neuen Mikrokosmos angekommen ist.

Abtauchen in den Festivalkosmos
Wenn man auf den Schultern von starken Männern sitzend eine gewaltige Menschenmasse überblickend Iron Maiden spielen sieht und alle, wirklich alle, im gleichen Takt die Arme bewegen und man gar keine Ende sieht, ist das ein unglaubliches Gefühl. Und genau wegen dieses Gefühls ist Wacken immer noch sein Geld wert.

Natürlich sind die Ticketpreise in den letzen Jahren immer teurer geworden und mittlerweile ist unnötigerweise auch WLAN auf dem Gelände verfügbar. Schon lange besteht das Publikum nicht mehr nur aus den „ganz harten“ Fans, was sich auch im Line-Up zeigt.

Aber Wacken ist einfach ein wunderschönes Erlebnis und wie ein kleiner Urlaub, vor allem für die Seele. Überall trifft man auf nette Menschen, entgegen der meisten Annahmen wird kaum etwas geklaut, wenn man von der bis heute verschollenen Hello-Kitty-Gitarre absieht, und man hat einfach vor allem bei den Shows gegen Abend einen riesigen Spaß. Und wer man keine Lust auf einem Platz in dem Mosh Pit hat, kann man sich bei verschiedenen Aktivitäten wie dem abendlichen Kino vergnügen oder in den verschiedenen Verkaufszelten Corsagen, Kilts, Lederwaren und anderes erstehen.

Nur eines ist wirklich anstrengend auf Wacken – dort zu arbeiten. Zwölf-Stunden Schichten für fünf Euro die Stunde sind beim Wacken keine Seltenheit. Dadurch erlangt man zwar freien Eintritt zu den Konzerten und kann sich absprechen, dass man mit einem Kollegen eine Stunde tauscht, weil man eine Band sehen will. Ein großer Pluspunkt als Mitarbeiter, vor allem für die Damenwelt, sind die besseren Toiletten und Einzelduschen. Aber Wacken wirklich genießen kann wohl nur der Besucher. Und nur so kann man ernsthaft neue Menschen kennenlernen und sich so immer wieder dort treffen, wo alles begann und alles endet – in Heavy-Metal-Town.

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Kommentar zu den unterschiedlichen Festivalgängern
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(Text: Julia-Friederike Barbier, Fotos: Julia Radgen)

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