Im Spätwinter ist es abends früh dunkel und die Socken sind immer noch dick. Genau der richtige Zeitpunkt eine Mission zur Introversion zu starten. back view-Redakteurin Lea Kramer will Killer werden, Amokläufer, Terrorist – zumindest ist das die landläufige Meinung über Jugendliche, die sogenannte Ego-Shooter spielen und sich am Wochenende im Schützenverein den Frust von der Seele ballern.[divide]

Counter Strike, das ist selbst mir ein Begriff: Der Schulschütze aus Erfurt soll es gespielt haben und auch bei Tim K. aus Winnenden soll es auf dem Rechner installiert gewesen sein. „Wenn die das konnten, kann ich das schon lange.” – Dieser vorschlüssige Übereifer soll sich am Ende meiner Spielerkarriere als Trugschluss herausstellen.

Doch es soll nicht nur bei harmlosen Gedanken bleiben, ich will sie auch ausführen: Ich lade mir die Version Counter Strike Source (kurz CS:S) herunter. Es gibt noch andere Versionen, aber die herum rollenden Fässer in der Produktbeschreibung auf Amazon.de haben mich überzeugt. Es lädt – erst 25 Prozent Fortschritt. Counter Strike ist ein Spiel aus dem Bereich der Taktik-Online-Shooter. Es wurde 1999 hauptsächlich von den zwei Studenten Minh Le und Jess Cliff als Freizeitprojekt entwickelt.

Zunächst stand das Programm kostenlos zur Verfügung, im Jahr 2000 wurden die beiden Gründer dann von der Softwarefirma Valve angestellt, um das Produkt weiter zu entwickeln. CS:S ist bis zur Hälfte geladen. Auf die Schnelle Spiel, Spaß und Spannung – denkste! Das gibt es wo anders. Dann eben nicht; wenn mich das virtuelle Gewehr nicht mag, dann suche ich mir ein Echtes. Im Kreis München gibt es über 30 Schützenvereine – Fußballvereine sind es ähnlich viele. Komisch nur, dass ich bei Ersterem ein flaues Gefühl im Magen bekomme.

Meine persönliche Prägung befiehlt mir, Jugendliche, die mit einem Gewehr schießen, kritischer zu sehen als diejenigen, die das mit einem Fußball tun. Deshalb verwundert mich auch das Aufnahmeverfahren: jeder der über zwölf Jahre alt ist, darf in Deutschland mit einer Luftdruckwaffe auf sportlicher Ebene schießen. Aus diesem Grund finde ich auch auf jeder Schützenvereins-Hompage einen Button mit der Aufforderung zum „Gästeschießen”.

Da melde ich mich direkt an. Ganz formell, bleibe aber meinem Profil „unkommunikativer Einzelgänger” treu und schreibe Emails. „Sehr geehrte Damen und Herren… offizielles Gesäusel …” Schießen will ich, das ist der Subtext – mit möglichst großkalibrigen Gewehren.

100 Prozent, endlich fertig. So, jetzt los an das Maschinengewehr und Köpfe ab! Ich habe mir die Regeln und Kombinationen zwei Tage zuvor grob eingeprägt. Blöd nur, dass ich als Kind anstatt des heißersehnten Nintendo Gameboys ein entsprechendes Plagiat vom Wochenmarkt in Ungarn bekam. Dieses grässliche graue Ding mit gelben Tasten konnte nur Tetris. Das war fest installiert und die Grafik sah aus wie 1981 auf dem C64. So viel zu meiner Gamerhistorie. Nun heißt es also erst einmal für mich: laufen lernen. Da eine Mannschaft aus mindestens drei Spielern besteht und zwei Teams gegeneinander antreten – die Terroristen und die Counterterroristen – brauche ich noch Mitspieler. Die findet man in sogenannten Clans.

Ich muss mich bewerben. Für eine alternative Subkultur ziemlich viel Bürokratie. Auf clansuche24.de bewerbe ich mich bei mehreren virtuellen Cliquen: drill2kill Funclan, Pitbull CSS und gaintex, so die wenig versprechenden Namen. Einige der Seiten sind wie die von Fußballclubs aufgebaut. Das liegt wohl daran, dass hier jeder heimlich für die ESL – die Electronic Sports League – trainiert. Die Liga trägt nationale und internationale Wettkämpfe in  den unterschiedlichen Genres aus. Ein ausgeklügeltes Punktesystem, das vom Schach adaptiert wurde, bestimmt den Platz des einzelnen Teams in der Rangliste.

Juhu, ich kann laufen, habe genug geübt und fühle mich jetzt fit für eine Teampartie. Ganz vergessen: Mein Mail-Postfach hat sich gemeldet! Ein Schützenverein aus dem Münchner Süden schreibt mir. Ich kann spontan zum Vereinsübungsabend vorbeikommen. Der 1. Schützenmeister wird meine Fragen beantworten und mir eine Schießeinführung geben. Außerdem haben zwei Clan-Leader geantwortet. Der Erste beschränkt sich auf Kleinbuchstaben, die Zeichensetzung lässt er lieber ganz in der realen Welt zurück. Der Andere, ein gewisser General Bergfrühling, lädt mich zum Bewerbungsgespräch ein. Natürlich über Headset, so kann man sich besser kennenlernen. Jetzt ist keine Zeit für den Grammatiklosen und den General, ich muss los zum Schützenverein an die echten Kanonen.

Es sind noch keine Schützen dort, als ich im Dachstuhl der Vereinsgaststätte ankomme. Ich stelle mich kurz vor. Der 1. Schützenmeister, ein sportlicher Mittfünfziger in türkisfarbenem Vereinspullover, begrüßt mich freundlich. Einzig eines will er mit Nachdruck klarstellen: “Was ist denn das für ein Artikel? Wenn es irgendwie auf die aktuelle Diskussion über Amokläufe hinaus soll, dann sage ich ihnen ehrlich, reiße ich ihnen den Kopf ab.” Er lacht. Klare Ansage. Ich beschwichtige ihn mit der Aussage, dass ich mir nur ein Bild von Schützenvereinen machen will, da ich mich nicht auskenne mit Waffen. Er ist beruhigt und bietet mir versöhnlich das Luftdruckgewehr an.

Es ist eines für Kinder, das ist leichter. Ein richtiges Sportschützengewehr wiegt ganze fünf Kilo. Langsam trudeln die Vereinsmitglieder ein – es sind fast ausschließlich Kinder. Seit einigen Jahren trainieren sie im Verein Sommerbiathlon. Vorher gab es fast nur Erwachsene. Auf die 32 Kinder, die Medaillen und die Jugendarbeit sind sie hier besonders stolz. Gleichzeitig legt man auf Sicherheit sehr großen Wert. Das wird selbst mir eingeschärft. „Disziplin ist wichtig. Hier kommen auch manchmal kleine Rambos vorbei, die bleiben dann aber gleich zu Hause, wenn sie merken, wie wir hier trainieren.”
Der Schützenmeister wechselt meine große Zielscheibe gegen eine kleinere. Nach 30 Minuten beginnt meine Armmuskulatur zu zittern. Ich fühle mich nicht wie nach einem Gefecht – eher wie nach Yoga. Ich bin ruhig und konzentriert. Der Schützenmeister verabschiedet mich mit der Einladung, mal wieder vorbeizuschauen. Enttäuschend, das Gewehr wird hier so liebevoll wie ein Tennisschläger behandelt – als Sportgerät.

23.45 Uhr: Vielleicht habe ich in der virtuellen Welt mehr Glück, General Bergfrühling bittet zum Appell via Skype. Er ist 21 Jahre alt und hat wenig Zeit. Trotzdem ist er geduldig und beantwortet alle meine Fragen. Morgen früh hat er Uni, Physikstudium, und trainieren muss er auch noch. Seit knapp einem Jahr leitet er seinen Clan. Sie sind gut in der Wertung und wollen in diesem Jahr aufsteigen. In einem Schützenverein ist er nicht, er spielt Basketball und geht feiern mit Freunden. “Ego-Shooter sind für Leute,  die wenig Sex haben und deshalb genug Zeit, um sich die komplizierten Regeln einzuprägen”. Ich muss lachen, genau mit diesem Vorurteil ging ich heran an das Projekt.

Die Mission KillerMe ist gescheitert. Alles, was ich fühle sind Muskelschmerzen im rechten Zeigefinger und im linken Oberarm, nicht zu vergessen die Müdigkeit. Weder die Zielübungen auf dem Schießstand, noch der Umgang mit der programmierten Waffe haben etwas an meiner Grundaggression verändert. General Bergfrühling hat mich zum nächsten Treffen eingeladen. Wenn sich bis dorthin mein taktisches Verständnis gebessert hat, nehme ich teil. Ansonsten ziehe ich meine warmen Socken an. Es ist wieder Schnee gefallen und der 1. Schützenmeister hat einen Querfeldeinlauf für seine Jugend angesetzt.

Hinweis aus der Redaktion: Dieser Artikel ist Teil des Titelthema: “GEZ & CO. – WIR LIEBEN, WAS IHR HASST” – der Inhalt spiegelt also nicht zwangsläufig die Meinung der Autorin wieder.

(Text: Lea Kramer)

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Von Lea

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