Sport

Feld des Schweigens

Selten war das Interesse am sportlichen Ablauf geringer und die Zukunft dieses traditionsreichen Wettbewerbs unklarer. Wird die Tour de France Startschuß für eine saubere Radsport-Ära oder wird sie nur Anlass sein, über all die scheußlichen Doping-Enthüllungen den Mantel des Vergessen zu werfen und die Teams und Fahrer da weiter machen zu lassen, wo sie aufgehört haben?
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An eine saubere Rundfahrt mag der leidgeprüfte Fan wohl nicht so recht glauben. Zu oft wurde er enttäuscht. Zu oft entpuppte sich der strahlende Sieger als schmutziger Betrüger. Zu oft wurden Übeltäter aus den Rennen genommen, nur um für die nächsten Platz zu machen. Und viel zu oft schon wurden radikale Veränderungen angekündigt, doch das Einzige, was sich wirklich änderte, waren die Praktiken und Mittel des Dopings.

Bereits 1999, ein Jahr nach der „Festina-Affäre”, sollte die so genannte „Tour der Erneuerung” den ganzen pharmazeutischen Unrat aus dem Peloton der „Großen Schleife” hinfortspülen. Während der Tour 98 war ein Betreuer des damaligen Festina-Teams mit einer Kofferraumladung Dopingmittel erwischt worden. Die Profis unterbrachen daraufhin Etappen, um gegen den Generalverdacht, der angeblich gegenüber jedem Fahrer gehegt wurde, zu protestieren. Doch die, die damals bei den Sportler-Demos in vorderster Reihe standen, stehen heute teilweise ganz oben auf den Listen der internationalen Doping-Fahnder. Und geändert hat sich an der allgegenwärtigen Dopingpraxis offensichtlich nichts.

Ein Jahr ist die „Operation Puerto” bereits her, in deren Ermittlungen das Netzwerk des Arztes Eufemiano Fuentes ausgehoben wurde, der nach Stand der Ermittlungen, große Teile der Profi-Gemeinde mit allen erdenklichen verbotenen Mittelchen versorgt hat. Unter anderem auch namhafte Stars, wie z.B. die geständigen Ivan Basso und Jörg Jaksche. Ein Jahr ist bereits vergangen, seit dem großen Schock, als nur wenige Stunden vor Tourstart die spanischen Ermittler pikante Details preisgaben und die damaligen Favoriten auf das Maillout Jaune belasteten. Ein Jahr, seit dem Radsport der erste schwere Schwinger verpasst wurde, der ihn fast hätte K.o. gehen lassen.

Doch was hat sich seitdem getan? Haben die Verantwortlichen den Ernst der Lage begriffen? Haben sie verstanden, dass es mit ihrem Sport bald aus sein könnte? Haben sie Maßnahmen ergriffen, um diesen doch so faszinierenden und packenden Sport zu retten?

Ja und nein. Geredet wurde viel, zumindest von offizieller Seite. Doch es drängt sich immer mehr der Verdacht auf, dass es sich bloß um Lippenbekenntnisse gehandelt haben dürfte. Zwar zwang der Weltverband UCI alle Teams ihre Fahrer eine Erklärung unterschreiben zu lassen, die erstens Doping auf schärfste verurteilt, zweitens Doping unter hohe Strafen stellt und drittens umfangreichere Tests ermöglicht. Aber alleine wie zögerlich einige Teams diese Erklärung umgesetzt haben, steht nicht gerade für konsequentes Durchgreifen gegen Sportbetrug.
Wenigstens haben inzwischen alle bei der Tour startenden Fahrer das Schriftstück unterzeichnet. Wie viel es wert sein wird, muss sich zeigen, schließlich hatten die meisten Athleten ohnehin schon Klauseln in ihren Verträgen, die Doping drakonisch bestraften.

Und während die Teammanager und Funktionäre sich oft wortreich über das Thema Doping ausließen, drängten sich die Fahrer immer dichter im Fahrerfeld des Schweigens zusammen. Keiner will von Doping wissen oder gewusst haben, keiner der Nestbeschmutzer sein. Von Unschuldsbewusstsein keine Spur, viel mehr gelten die, die nun endlich reden und durch ihre Enthüllungen den von ihnen so geliebten Sport noch retten wollen, als die wahren Verräter. Nachfragende Journalisten werden ignoriert und die Presse und die Zuschauer mit ihren Rekord-Gelüsten verantwortlich gemacht für mitleidbedürftige Rennfahrer und Sportchefs, die dem Druck nicht anders standzuhalten wussten, als zum Apothekerschränkchen zu greifen. Ein ernst gemeinter Neuanfang sieht anders aus.

Doch die Tour de France wird auch Sport zu bieten haben und rein sportlich ist sie so offen wie selten zuvor. Es lässt sich kein klarer Favorit ausmachen. Am ehesten ist wohl Alexander Winokourow (Astana Team) der Sieg zuzutrauen, auch wenn er sich selbst in der Vergangenheit oft durch ebenso ungestüme wie oft unnütze Attacken um seine Siegchancen gebracht hat. Da ist auch noch Levi Leipheimer (Discovery Channel), der sicher das Zeug hat, in die US-amerikanischen Toursieger-Fußstapfen von Greg LeMond und Lance Armstrong zu schlüpfen. Nicht zuletzt können die Spanier auf ihren Kronprinzen Alejandro Valverde und Oscar Pereiro (beide Caisse d’Epargne) hoffen.

Pereiro ist offiziell Gesamtsieger des vergangenen Jahres, bekam allerdings als Klassementzweiter das Gelbe Trikot erst nach der Tour und der Disqualifizierung von Floyd Landis am Grünen Tisch zugesprochen. Valverde konnte bisher bei der Tour aufgrund von Stürzen noch nie die hohen Erwartungen erfüllen. Bleibt noch Andreas Klöden zu nennen (ebenfalls Astana), der auch Erfahrungen damit hat, wie es ist, in Paris auf dem Podium zu stehen.

Egal wer das Rennen letztlich machen wird, bleibt nur zu hoffen, dass sein Sieg diesmal länger Bestand hat, als im vergangenen Jahr der von Floyd Landis, der kurz nach Ende der Rundfahrt des Doping überführt worden war. Und vor allem bleibt zu hoffen, dass dieser Sieger sich seine Lorbeeren auch redlich verdient hat, nicht durch das Geschick seiner Ärzte, sondern durch die Kraft seiner Waden, damit der Radsport doch noch einer sonnigeren Zukunft entgegenrollen kann.

(Text: Oliver Schmitz)

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