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Erkenntnis ist der erste Weg aus dem Paradies

Nach Fukushima ist plötzlich jeder gegen Atomkraft. Die grüne Welle schwappt über Deutschland, aber auf günstigen Strom verzichten will eigentlich auch keiner. Was ist denn eigentlich los mit den Deutschen?
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Die ersten Menschen waren Adam und Eva – zumindest, wenn man der Bibel Glauben schenkt. Die Beiden lebten glücklich und ohne Sorgen im Paradies. Es gab nur eine Regel, nämlich nicht die Äpfel vom Baum der Erkenntnis zu pflücken.
Doch tief in seinem Innersten konnte der Mensch schon damals einfach nicht widerstehen und so flogen die zwei Mal eben aus dem Paradies. Diese Mentalität – nicht zu widerstehen, obwohl man weiß, dass es kein gutes Ende nehmen wird – ist auch heute noch Teil der menschlichen Seele.Autos werden zu schnell gefahren, obwohl bekannt ist, dass es verboten und gefährlich ist. Die zehn Kilometer pro Stunde mehr oder weniger stören doch eigentlich niemanden. Und warum mit dem Rauchen aufhören, nur weil auf der Verpackung steht, dass es tödlich ist? „Wird mir schon nicht passieren”, denkt sich jeder und pafft munter weiter. Solange der  Marlboro-Mann lässig durch die Wüste reitet, kann es so falsch nicht sein.

Warten bis die Ampel grün wird? Ach was, schaut doch gerade kein Kind hin. Das eine Glas Rotwein kann vor der dreistündigen Autofahrt doch auch nicht schaden. Und mit Kopfhörern in den Ohren ist auch Fahrradfahren viel lustiger. Genau genommen lieben wir doch die Gefahr. Tag täglich suchen wir Risiko, das das Leben interessanter macht. Der Nervenkitzel, wenn das Flugzeug endlich wieder auf dem Boden aufsetzt: die reinste Erleichterung, das reinste Adrenalin. Anerkennend wird geklatscht und die Seele feiert eine Party. Wieder ein imaginäres Warnschild ignoriert.

Warum also bricht dann plötzlich die grüne Welle aus, nur weil es einen Gau in Fukushima gab. Dass Atomkraft gefährlich ist wusste doch jeder schon vorher. So lange ist die Katastrophe von Tschernobyl schließlich auch noch nicht her. Und dass es zum Beispiel Studien gibt, die belegen, dass Kinder im Umkreis eines Atomkraftwerks häufiger an Leukämie erkranken, war doch auch bekannt.

Aber irgendwie fühlt es sich dann plötzlich doch falsch an, Atomkraft weiterhin okay zu finden. Dem Unglück sei Dank. Da wird lieber mal schnell Winfried Kretschmann zum ersten grünen Ministerpräsidenten gewählt. Dann kann man doch nachts auch wieder viel besser schlafen und das eigene Soll ist erfüllt!
Wirklich geändert hat sich allerdings nichts. Den PC nicht den ganzen Tag laufen lassen? Weniger Fernsehen? Die Haare kürzer föhnen? Na, das ist ja nun wirklich zu viel des Guten! Dann doch lieber eine Runde zur „Atomkraft? Nein Danke”-Demo und Zuhause währenddessen sieben Stand-by-Leuchten brennen lassen.

So ist die Welt schon wieder in Ordnung, denn eigentlich wollen wir die Erkenntnis doch gar nicht, dass wir uns selbst schaden. Auch Adam und Eva wollten den Erkenntnis-Apfel nicht essen. Wäre da nur nicht dieses verlockende Risiko gewesen. Am Ende erliegen wir eben doch unseren Urinstinkten – Atomkraft hin oder her.

(Text: Regina G. Gruse)

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