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Die Art, wie er ‘Werkzeugkasten’ sagte

Ich hab das schon ernst gemeint – mit dem nicht schlafen, nur heulen. Ich kann mir nämlich kaum vorstellen, dir nicht mehr zu schreiben. Das bringt mich um. Aber zuschauen, wie du mit der anderen rumhängst? Das bringt mich noch viel mehr um.[divide]

Ich hab das noch nie gemacht, ‘ne Freundschaft abbrechen. Diese Dinger schienen mir immer recht zäh. Aber nochmal so etwas wie letzten Sommer und letzten Herbst? Immer wieder von dir Abschied nehmen, weil wir den anderen nicht fern halten können? Schaff ich nicht. Ich erkenne mich selbst nicht wieder – siehe neulich abends als ich völlig ausgerastet bin wegen dieser ganzen Glaubensgeschichte. Deine geduldige Antwort erstaunt mich immer noch, ich hätte mich ganz schön zusammengefaltet.

Bilder, die ich nicht wieder losbekommen habe: Du – vor ein paar Wochen nach der Schilddrüsen-OP im Krankenhaus. Dein kleines Zimmer hoch über der Stadt mit dem Netz vor dem Fenster, und du ganz bleich und schwach und gar nicht wirklich da, verloren in deinem Bett. War ich froh, dass ich erst mal wieder gehen konnte!(Foto: Mariesol Fumy, jugendfotos.de)

Dein Anblick hat mich erschreckt. Auf dem Fahrrad in die Uni musste ich weinen, weil ich gemerkt hatte, wieviel Angst ich hatte, dass die OP schief ginge. Als ich eine Stunde später wieder kam, hatte ich das Bedürfnis, mich neben dich zu legen, deine Hände zu streicheln und darauf zu warten, dass die Farbe wieder in der Gesicht zurückkehrt.

Und jetzt ist alles vorbei, also ist es auch egal: das erste Treffen nach der “Sommerpause”. Alles so seltsam. Bei Regen in der Eisdiele und vor Aufregung konnte ich nur den halben Becher essen. Ich dachte, die halbe Stadt starrt mich an, so erbärmlich hab ich mich gefühlt. Aber die Art wie du Werkzeugkasten gesagt hast! Das Wort ist mir vorher noch nie aufgefallen. Hab mich hinterher mit den Mädels betrunken: “Die Art, wie er Werkzeugkasten sagt. So bedacht, so ruhig, so als wären alle Silben gleich viel wert.” Die haben gedacht, ich spinne.

Der Moment als ich zum ersten Mal in deine Wohnung kam, kurz nachdem du mir gestanden hattest, dass du für mich gekocht hattest. Die Fensterfront mit den Pflanzen, das großen dunkle Ecksofa, das Sammelsurium an kleinen Dingen, die du von der Beerdigung deiner Mutter mit hierher gebracht hattest. Der karierte Ohrensessel, den du geerbt hast, die kleine Gitarre, der grobe Holztisch. Dieses Gefühl: hier wohne ich, hier war ich schon immer zuhause. Dabei hast du mich nie wirklich ankommen lassen.

Wenn ich frustiert war, hab ich mich an dich angelehnt, dir einfach alles vor die Füße geworfen und mir dann von dir angehört, wie arrogant ich bin. Wahrscheinlich hattest du Recht, wahrscheinlich haben wir nur so gut funktioniert, weil ich dir regelmäßig das gleiche vorgeworfen hab: du standest mir in nichts nach. Job, Motorrad, Auto, wie stolz warst du darauf, dass du schon während deines Studiums mehr verdient hast als ich in meinem ersten Job.

Deine Motorradromantik konnte ich nie wirklich nachvollziehen. Ich verstehe nicht, wieso ein Motorrad ein Landschaftsfoto schöner macht. Aber die Touren mit deinen Freunden durch Norwegen, oder Korsika, oder Alaska, die waren dir heilig und vielleicht ein kleines bisschen der Ausgleich dafür, dass du dir zu Weihnachten eine Nähmaschine gewünscht hast. Oder besseren Apfelkuchen backen kannst als ich.

Ich hab mir nichts anmerken lassen, ne? Weder vor dir noch vor irgendjemand anderem ein Wort. Ich wollte dich für mich behalten. Hab ich auch, bis zum Schluss. Aber dann war Schluss. Und jetzt wechselt sich heulen mit nicht-schlafen-können mit heulen mit nicht-schlafen-können mit heulen und mit nicht-essen-können ab. Ich durchschwimme die Tiefsee, die Gestalten hier unten machen mir Angst – ich hoffe, dass meine Luft reicht.

“Ich hab keine Kraft für diesen Dialog. Ich hab dich lieb. Leb wohl.”, schriebst du zum Schluss. Ja, dachte ich, ich hab dich auch lieb. Mehr als mir lieb ist! Es hilft nichts, alles ist unendlich viel komplexer, als Worte sagen könnten. Nur so viel: jetzt ist es vorbei. Vorbei, vorbei, vorbei. Und ich bin… frei.”

(Text: Louisa Natterer, Foto: Mariesol Fumy, jugendfotos.de)

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