DeutschlandPolitik

Das Leben eines Hartz IV-Empfängers

345 Euro für einen kompletten Monat. Der Reporter Torsten Misler stellte sich 30 Tage lang dem Hartz IV-Projekt von RTL und lebte unter eingeschränkten Bedingungen in einer 1-Zimmer-Wohnung in Berlin-Marzahn. Von den ursprünglichen 345 Euro hatte er nach Abschluss des Projektes lediglich noch vier Cent übrig. back view gab er in einem Interview Einblicke in seinen Alltag und seine Erfahrungen.
[divide]

back view: Mit welchem Gefühl und mit welchen Erwartungen sind sie in das Projekt gestartet?
Torsten Misler: Das Bild von Hartz IV-Empfänger ist meiner Meinung nach von vielen Klischees und Übertreibungen überlagert. Sie sind arbeitsscheu, sitzen zu Hause, jammern oder auf der anderen Seite: sie werden von der Gesellschaft nicht mehr gebraucht. Diese Stereotype wollte ich mit dem Projekt hinterfragen und mittels des Selbstversuches die Probleme erkennen. Persönlich hatte ich schon die Gewissheit, dass es eine Zeit mit vielen Einschränkungen und großer Sparsamkeit werden wird.

In wieweit und wie schnell wurden diese bestätigt/widerlegt?
Viele Vorurteile haben sich nicht bestätigt – z. B. dass Hartz IV-Empfänger arbeitsscheu sind. Ich habe unheimlich viele freiwillige Helfer in sozialen Einrichtungen kennengelernt – sie arbeiten dort kostenlos mit, einfach für das Gefühl, der Gesellschaft etwas zurückgeben zu können. Bestätigt haben sich dagegen die Einschränkungen und Abstriche, die man mangels Geld machen muss.

Hat sich ihr Bild von Hartz IV Empfängern verändert?
Ich hatte vorher kein negatives Bild von Hartz IV-Empfänger. Deshalb hat sich mein Bild nur verfestigt, dass es nicht DEN Betroffenen gibt. Es giImage
bt viele Geschichten, viele Gründe für ein Leben mit Hartz IV. Die Mehrheit der Menschen, die ich kennengelernt habe, wollen meinem Eindruck zu Folge arbeiten, finden aber nichts. Aber natürlich gibt es umgedreht auch Menschen, denen Jobs angeboten werden, die aber hundert Ausreden erfinden, um nicht arbeiten zu müssen. Es ist ein differenziertes Bild, dass ich durch das Projekt gewonnen habe.

Wie schwer war vor allem die Umstellung auf die geringen finanziellen Mittel?
Gerade am Anfang war es für mich schwierig, einzuschätzen, wie ich das Geld einteile. Deshalb habe ich anfangs extrem gespart – im Supermarkt nur das Billigste, Hauptsache die Euros beisammen halten. Das eigentlich Frustrierende war dann zu sehen, dass man sich nichts leistet und das Geld trotzdem fast alle ist. Für die letzte Woche hatte ich noch 30 Euro zur Verfügung – da musste ich wirklich rechnen, wie viele Mahlzeiten ich noch brauche – für mich eine völlig neue Erfahrung.

Gab es Momente, in denen sie das gesamte Projekt am Liebsten hingeschmissen hätten?
Natürlich gab es Augenblick, in denen ich frustriert war. Aber dank der Hilfe meiner Nachbarn auf Zeit – insbesondere Familie Cerny, die mich auch in ihre Familie integriert und mit mir Probleme gelöst haben – war ich nie an dem Punkt, abzubrechen!

Was hat sie innerhalb der letzten Wochen am Meisten beeindruckt?
Das Treffen mit einem 1-Euro-Jobber in Berlin. Der Mann ist seit langem arbeitslos und wegen gesundheitlicher Einschränkungen nicht in den ersten Arbeitsmarkt vermittelbar. Eine Kirchgemeinde hat ihm aber eine Chance gegeben – dort kann er sich um den Garten kümmern und hat sogar ein Stück Rasen angelegt. Der Eifer für dieses Stück Grün, wie er es hegt und pflegt, hat mir gezeigt, wie wichtig für ihn eine Aufgabe ist, das Gefühl, gebraucht zu werden, das nach Jahren der Resignation endlich wieder jemand kommt und sagt: “Toll gemacht!”. Das war ein Moment, der mich sehr berührt hat.

Welches Erlebnis werden sie nicht so schnell vergessen?
Das Gefühl der Ausgrenzung – wenn man an Restaurants, am Theater, am Kino vorbeiläuft und ahnt, wie es ist, hier nicht mehr dazu zu gehören. Gerade in der letzten Woche habe ich mir Fahrten in die Berliner Innenstadt gespart – einfach, um diesen optischen Reizen und des allgegenwärtigen Nicht-mehr-dabei-sein-zu-können nicht mehr ausgesetzt zu sein.

Was nehmen sie für sich persönlich mit? Wird sich vielleicht sogar etwas an ihrem Lebensstil verändern?
Für mich persönlich nehme ich Dankbarkeit mit – Dankbarkeit dafür, dass man einen Arbeitsplatz hat und nicht auf Dauer mit solchen Einschränkungen leben muss. Natürlich wird sich auch der Lebensstil verändern – hin zu mehr Bewusstsein für die Betroffenen von Hartz IV. Ausgaben, die man zuvor vielleicht unhinterfragt gemacht hat, wird man sicherlich jetzt in einem anderen Verhältnis sehen.

Wie war der Kontakt zu den direkt Betroffenen und wie sind diese mit ihnen umgegangen bzw. wie sind diese ihnen entgegen getreten?
Am Anfang waren viele sicherlich sehr skeptisch. Aber nach und nach haben sich immer mehr Menschen dem Projekt geöffnet. Viele haben mich angesprochen, ihre Schicksale erzählt und um Hilfe gebeten. Das hat mich gefreut – ebenso, dass es nie eine negative aggressive Stimmung gab. Ich habe mich in Marzahn sehr wohl gefühlt.

Wie empfanden sie als Hartz IV Empfänger selbst deren doch eher schlechtes Image in der Gesellschaft?
Weil ich von Anfang an in der Öffentlichkeit stand konnte ich direkte negative Reaktionen auf Hartz IV-Empfänger nicht feststellen. Hierbei war ich auf Berichte der Betroffenen angewiesen. Dabei klang immer wieder an, dass viele sich ausgegrenzt fühlen, nicht mehr zugehörig fühlen und viele über die oben schon angesprochenen Klischees verärgert sind. Viele wollen gerade auch deshalb zeigen, dass viele Vorurteile einfach nicht stimmen.

Empfinden sie das Projekt insgesamt als eine eher positive oder negative Erfahrung?
Als eine sehr positive – vor allem, weil ich durch den langen und direkten Kontakte zu den Betroffenen viele Eindrücke sammeln und diese den Zuschauern weitergeben konnte.

(Interview: Konrad Welzel / Foto: Philip Steimel)

Konrad W.

Konrad hat back view am 06. April 2007 gegründet - damals noch in diesem sozialen Netzwerk StudiVZ. Mittlerweile tobt sich Konrad ganz gerne im Bereich SEO aus.

Schreibe einen Kommentar