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Bin ich eine Sekte?

In der vergangenen Woche entschied das Oberverwaltungsgericht für Nordrhein-Westfalen in Münster gegen die Klage von Scientology. Damit darf die umstrittene Organisation wie bisher durch den Verfassungsschutz beobachtet werden. Gerade im Zusammenhang mit Scientology fällt immer wieder auch der Begriff einer Sekte. Doch wer oder was ist überhaupt eine Sekte? Im Rahmen der Themenwoche beschäftigt sich back view an dieser Stelle mit der Eingrenzung und der schwierigen Bekämpfung von religiöse Organisationen.

Eine eindeutige Definition des Begriffs Sekte ist sehr schwer treffen. Dennoch ist festzuhalten, dass es eine Bezeichnung für eine religiöse Gruppierung ist, die durch ihre Lehre oder ihren Ritus im Konflikt mit herrschenden Überzeugungen steht. Ob sie sich dann gegen eine Kirche oder sonstige größere Religionsgemeinschaften richtet, kann differieren.Will man nach dem Ursprung forschen, so stößt man schnell darauf, dass es bereits in der Antike die ersten Sekten gab. Sogar die ersten Christen wurden als solche bezeichnet. Allerdings wurden die Menschen in dieser Zeit schnell zu Anhängern einer Sekte, denn sie mussten lediglich einer der Anschauungen der vielen Philosophen folgen.
Heute ist der Begriff aber deutlich weiter zu fassen. So kann eine Sekte eine straff geführte Organisation aber auch nur eine kleine Gruppe umfassen. Ebenso muss sie sich nicht nur mit einer Religion befassen. Oft hat sie eine ganz eigene Weltanschauung und mischt sich auch in die Politik mit ein. Woran jedoch die Mehrheit der Sekten zu erkennen ist, sind Leistungen, die sie gegen offene oder verdeckte Bezahlungen anbieten.

Ein sehr wichtiges und wohl auch gefährliches Element einer Sekte ist das Heilsversprechen der Gruppe und einem damit verbundenen Absolutheitsanspruch. Erst genanntes ist dabei weniger bedenklich, da dies jede Art von Glauben enthält. Aber der Absolutheitsanspruch kann bis hin zu einer Abkapselung und Isolierung der Mitglieder von ihrem sozialen Umfeld führen. Elitebewusstsein, Machtanspruch, Gruppendruck, Bewusstseinskontrolle, Verschwörungsdenken, Psychoterror gegen Untreue und Kritiker führen dann schon zu den extremeren Merkmalen einer Sekte.

Umgangssprachlich ist der Begriff einer Sekte heute immer mit einem negativem Beigeschmack verbunden. Die ursprüngliche theologische Bedeutung bezeichnete jedoch lediglich Gruppierungen, die sich von einer größeren Religionsgemeinschaft abgespaltet haben – ohne jegliche Wertung.

Zu den wichtigsten und einflussreichsten Sekten in Deutschland zählen heute, die Neuapostolische Kirche (375.000 Mitglieder in Deutschland), die Zeugen Jehovas (165.000), die Mormonen (36.000) und trotz ihrer in Deutschland vergleichsweise geringen Mitgliederzahl von 6.000 auch Scientology.

Gesetzlich gegen derartige Organisationen vorzugehen ist jedoch nicht leicht. Gerade in Deutschland, wo Art. 4 Abs. 2 im Grundgesetz die „Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses” sichert. Soweit sie sich im Rahmen gewisser übereinstimmender sittlicher Grundanschauungen der heutigen Kulturvölker halten. Gekennzeichnet ist dieser Rahmen durch die zentrale Stellung der Würde des Menschen und dem Katalog der Grundrechte im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Die Unantastbarkeit der Menschenwürde gilt dabei nicht nur für die Staatsgewalt, sondern auch für die mitmenschlichen Beziehungen und das Verhältnis zu sozialen Gruppen.

Der Absolutheitsanspruch einiger Gruppierungen ist eine der wenigen Angriffspunkte, die sich überhaupt anbieten. Denn religiöse Absolutheitsansprüche und Religionsfreiheit sind nicht miteinander vereinbar. Nur eines von beiden kann daher „richtig” sein und gesellschaftlich sowie staatlich anerkannt werden.

Gerade die schwere Eingrenzung und Definition einer Sekte macht es schwierig die Menschen vor derartigen Organisationen zu schützen. Aber nicht nur die großen und bedeutenden Gruppierungen sind gefährlich. Noch ungeschützter stehen wir der Gefahr der unzähligen kleinen und vor allem unbekannten Organisationen gegenüber. Über die gesamte Bundesrepublik verstreut, buhlen sie um die sozial schwächsten Glieder in der Gesellschaft, um sie anschließend vollständig auszubeuten. Was bleibt ist die Hoffnung, dass wir untereinander hilfsbereit und aufopferungsvoll sind, um Menschen überhaupt erst gar nicht vor die Option eines Hilferufes bei einer Sekte zu stellen.

(Text: Konrad Welzel)

Konrad W.

Konrad hat back view am 06. April 2007 gegründet - damals noch in diesem sozialen Netzwerk StudiVZ. Mittlerweile tobt sich Konrad ganz gerne im Bereich SEO aus.

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