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Auf der Suche nach den eigenen Idealen

Wenn ich mir aussuchen dürfte, einen Tag ein anderer Mensch zu sein, dann würde ich ein ganz bestimmter Journalist sein wollen: Tiziano Terzani. Sein Scharfsinn, seine tiefgreifenden Recherchen, seine bildhafte Sprachgewandtheit und seine Wahrheitsliebe, faszinieren mich immer wieder aufs Neue.

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Tiziano Terzani

Bin ich Terzani, bin ich in Asien. Ich berichte dort über die aktuellsten Ereignisse, sowie es Terzani seiner Zeit über den Krieg in Vietnam, Kambodscha oder den Philippinen, den Tod Maos und den bewegenden Begegnungen mit dem Dalai Lama und Mutter Teresa getan hat. Ich würde viel und gerne reisen und meiner großen Leidenschaft nachgehen können, dem Schreiben. Kurzum, ich tue an diesem Tag alles, was ich will.

Ein starker Charakter

Terzani zu sein, bedeutet aber auch, den westlichen Fortschrittsglauben kritisch zu beäugen. Was hätte er wohl zu meinem neuen Smartphone, meinem super schicken Laptop und meinem übervollen Kleiderschrank gesagt? Für diesen, meinen Terzani-Tag werde ich wohl darauf verzichten müssen.

Terzani war stet in weiß gekleidet, hat, so lange es möglich war, mit einer Schreibmaschine seine Artikel abgetippt und per Fernschreiber an die europäische Heimat übermittelt. Mir ist auch nicht bekannt, dass er jemals als Tourist in ein Land fuhr, um bloß am Strand zu liegen, Sightseeing zu machen sowie billigen und qualitätslosen Krimskrams als Erinnerung zu kaufen.

Meine Bewunderung für Terzani beruht auf seinem starken Charakter. Er hat niemals einen Job angenommen, bloß um die Rente sicher zu haben. So nahm er 1962 ein Jobangebot bei dem Schreibmaschinenhersteller Olivetti nur an, weil er das soziale Engagement der Firma sehr schätzte. Später wurde er Journalist, um die Wahrheit zu offenbaren. Diesen Idealismus will ich wenigstens für einen einzigen Tag umsetzen können.

Liv Stephan, jugendfotos.deEine unerreichbare Vorstellung

Um hier nun aber bei der Wahrheit zu bleiben: Ich sitze seit sechs Uhr morgens mit meinem super schicken Laptop auf dem Sofa, knabbere wie wild an meinen Fingernägeln und versuche mir krampfhaft zu überlegen, wie ich genau das anstellen soll.

Was sind eigentlich meine Ideale und was kann ich davon heute umsetzen? Gibt es überhaupt noch so etwas wie eine ideale Vorstellung von Gut und Böse? Ist nicht alles vernetzt und verschwommen? Gibt es überhaupt noch die Möglichkeit, seiner Vorstellung eines idealen Lebens nachgehen zu können? Oder lassen die vernetzte Welt, der Fortschrittsgedanke und die Zukunftsangst dies gar nicht mehr zu?

Mein Tag als Terzani scheitert an der Erkenntnis, dass man seinen Idealen nicht nur an einem Tag hinterherlaufen kann, sondern den Mut aufbringen muss, dies sein ganzes Leben zu tun. Auch, wenn das nicht immer der einfachste Weg ist.

(Text: Magdalena Braun, Fotos: Hasmik Smbatyan und Liv Stephan by jugendfotos.de)

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