Zeitgeschichte

Auf der Suche nach dem Feindbild

US-Präsident Barack Obama war die Erleichterung deutlich anzusehen, als er am Abend des 1. Mai 2011 im Weißen Haus in Washington verkündete, dass Osama bin Laden gefunden und getötet wurde. Doch welche Folgen hat dieser Schlag gegen Al-Qaida und, muss sich die Welt auf neue Terroranschläge gefasst machen?

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Was waren das für symbolträchtige Phrasen, mit denen der ehemalige US-Präsident George W. Bush nach den Anschlägen vom 11. September 2001 um sich warf. Mit einer überdurchschnittlichen Portion Pathos verkündete er den „Krieg gegen den Terrorismus”, von dem bis heute nicht wirklich klar ist, gegen wen man diesen überhaupt führt. Im gleichen Atemzug wurde Osama bin Laden zum Staatsfeind Nummer 1 erklärt und den Kämpfern des Terrornetzwerkes Al-Qaida unmissverständlich mitgeteilt, dass man sie „in ihren Höhlen ausräuchern” würde. Bin Laden musste gefasst werden, „dead or alive” – Erinnerungen an bekannte Westernfilme und Fahndungsplakate wurden wach.

Nun hat man ihn endlich – nach fast zehn Jahren Suche in Afghanistan, einem Intermezzo im Irak und einer Kommandoaktion in Pakistan. Der Anführer des Terrornetzwerkes Al-Qaida wurde getötet und die Welt fragte sich dabei: Was ist das für ein Rechtsstaat, der die moralische, ethische und demokratische Führungsrolle der Welt für sich beansprucht und sich dabei selbst an keine internationalen Konventionen hält? Welche Auswirkungen hat der erfolgreiche Schlag gegen den internationalen Terrorismus? Muss sich der Westen auf eine Eskalation der Gewalt im Sinne von Racheakten einstellen oder war die Ermordung bin Ladens ein Zeichen, dass der fundamentalistisch und religiös motivierte Gewaltterrorismus keine Zukunft hat?

Wo ein Führer fehlt, folgt bald ein neuer
Die Erfahrungen der vergangenen Jahre haben gezeigt, dass Al-Qaida seine Zellenstruktur immer weiter ausbauen konnte. Ableger davon, besonders in Afrika und auf der arabischen Halbinsel, sorgten immer wieder für Schlagzeilen und zeigten die anhaltende Schlagkraft und Anschlagsbereitschaft des Netzwerkes. Bin Laden schien dabei weit mehr als nur die ideologische Leitfigur zu sein, sondern konnte von seinem Versteck in Pakistan aus mit anderen Stellen kommunizieren.

Wo ein Führer fehlt, wird bald ein neuer folgen, und auch dieser wird sich schnell im Fadenkreuz der USA wiederfinden. Der Krieg gegen den Terrorismus ist noch lange nicht gewonnen, das zeigen auch schon die Erhöhungen sämtlicher Terrorwarnstufen nach der Erschießung bin Ladens: Man fürchtet Vergeltung und darauf sollte man vorbereitet sein. Der jüngst von den Taliban verübte Selbstmordanschlag in Pakistan mit über 70 Toten könnte der Vorbote einer neuen Terrorwelle werden. Klare Prognosen kann allerdings niemand geben.

Was aber soll der Westen unternehmen? Klar ist, dass ein baldiger Abzug aus Afghanistan unausweichlich erscheint. Eine Befriedung oder Stabilisierung der Region wird auf lange Sicht genauso aussichtslos sein wie in den vergangenen neun Jahren. Gleichzeitig dürfte der Regierung in Kabul aber nicht die Unterstützung versagt werden, die sie weiterhin für den Aufbau des Landes benötigt. Fingerspitzengefühl bei der Einflussnahme ist dabei von größter Wichtigkeit. Die Bush-Doktrin der gewaltsamen Intervention anstatt der Gefahreneindämmung kann in diesem Zusammenhang getrost als gescheitert angesehen werden.

Wachsamkeit ist geboten
Wachsamkeit ist das Gebot der Stunde. Dem Terrorismus, so utopisch dies auch erscheint, darf kein Zufluchtsort gegeben werden. Dies sicherzustellen ist aber nicht Aufgabe einer Weltpolizei wie den USA, sondern die der Vereinten Nationen (UN). Deren Selbstentmachtung im Zuge des Irakkrieges 2003 gilt es schnell vergessen zu machen. Nur eine starke UN hat die Möglichkeit, die Gefahren des Terrorismus einzudämmen und Unterstützerstaaten auf rechtlicher Grundlage zu bestrafen.

Diese Aufgabe ist schwierig: Der Feind ist weiterhin unsichtbar und gefährlich. Unterstützer und Sympathisanten finden sich weltweit und hundertprozentige Sicherheit ist nicht realistisch. Der gemeinsame Feind der gesamten Welt ist die terroristische Gewalt. Und genau deshalb muss der Westen mit dem Rest der Welt näher zusammenrücken und die Zusammenarbeit gegen die gemeinsamen Gegner intensivieren, um nicht noch einmal einen Anschlag vom Ausmaß des 11. September 2001 durchleben zu müssen.

(Robert Reiche)

Robert R.

Wenn Robert mal groß ist, will er es auch bleiben. Bis dahin verbringt er seine Zeit in virtuellen Welten und denkt, redet und schreibt über Filme, Spiele sowie über Gesellschaftsthemen. Der studierte Historiker arbeitet dazu noch als IT-Berater und verreist gern mit dem Fahrrad, um Länder und Leute kennenzulernen.

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