BrennpunkteGesellschaft

Asche zu Asche

Ziemlich genau in der Mitte zwischen Paderborn und Kassel liegt Diemelstadt, eingebettet in die saftig grüne Landschaft Nordhessens. An den alten, schnörkeligen Fachwerkhäusern in dem kleinen Ort nagt der Zahn der Zeit. Etwas abseits, direkt neben dem Ortsfriedhof, erhebt sich ein Gebäude, das nicht so recht hierher zu passen scheint: viel Glas, weiß gekalkter Beton, blaue Fensterrahmen. Wäre da nicht der hohe Schornstein, könnte man denken, es handle sich um eine Jugendherberge.

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Tut es aber nicht. Der Schriftzug neben der stilisierten blauen Flamme über dem Haupteingang überrascht trotzdem: „Feuerbestattungen Diemelstadt”. Willkommen in einem der modernsten Krematorien Deutschlands.

„Wir haben nur 50% der gesetzlich zugelassenen Emissionen, verwenden modernste Filtertechnik”, eröffnet Geschäftsführer Rudolf Knedlig nicht ohne Stolz das Gespräch. Seufzend fügt der 39-jährige Unternehmer hinzu: „Trotzdem werden wir strenger kontrolliert als jedes Chemieunternehmen.” Denn Auflagen für die sachgemäße Leichenverbrennung gibt es reichlich. Vorbehalte auch. Die Bewohner Diemelstadts waren deshalb auch erst gegen den Bau der Anlage. „Das stinkt doch” oder „Die Wäsche wird dreckig” waren die gängigsten Vorurteile: „Manche hatten da wohl noch die Wochenschaubilder aus den 40ern im Kopf.” Mittlerweile hat sich die Aufregung gelegt. Denn das 2002 errichtete Krematorium ist alles andere als Furcht einflößend: helle Pastelltöne dominieren, im Foyer sind verschiedene Urnenmodelle, Kränze und Spruchbänder ausgestellt, die ohne religiöses Pathos auskommen – in den christlichen Kirchen sind Feuerbestattungen nämlich verpönt. Atheisten, Buddhisten, Hindus oder ostdeutsche „Heiden”, die allesamt traditionell Feuerbestattungen bevorzugen, kommen dafür in Scharen.

Seit 2001 der Markt privatisiert wurde, boomt die Branche. 18 – 20 Einäscherungen pro Tag gibt es allein in Diemelstadt. Bis zu 60 Leichname lagern tiefgekühlt oder eingefroren in der hauseigenen Kühlkammer. „Gestorben wird immer” lautet das Motto von Knedlig und seinen zehn Angestellten. Sie arbeiten in drei Schichten, 24 Stunden pro Tag, 355 Tage im Jahr. Betriebsleiter Michael Flore (51) führt jeden Tag Besucher durch das Haus, „Schulklassen, Konfirmandengruppen oder ältere Ehepaare, die sich schon mal informieren möchten.” Das Interesse ist groß, denn Feuerbestattungen kosten nur etwa ein Drittel von dem, was für eine herkömlihe Erdbestattung hinzublättern ist. Auch der hygienische Aspekt spielt eine Rolle: „Das Grundwasser wird nicht so belastet mit Leichengift und Medikamenten-Rückständen”, sagt Flore. „Außerdem stört viele Menschen der Gedanke, von Würmern gefressen zu werden.”

Höhepunkt jeder Führung ist die Besichtigung des Verbrennungsofens. In der „Einfahrtshalle” ist es überraschend kalt. Durch eine Art Tor fährt der Sarg automatisch in den mittels Gas auf 1.200 Grad vorgeheizten Ofen.  Ein Knopfdruck, und Flammen umzüngeln den Sarg. Per Video können die Angehörigen in einem Nebenraum die letzte Fahrt des geliebten Menschen live mitverfolgen. Auch auf Bestattungsriten anderer Kulturen ist man im Krematorium vorbereitet: „Hindus bitten oft darum, selbst den Schalter zu drücken,”, sagt Flore, „denn im Hinduismus wird der Scheiterhaufen, mit dem Leichnam des Vaters etwa, traditionell vom ältesten Sohn angezündet.”

Ist der Schalter gedrückt, sind Holz und Leichnam binnen Sekunden verbrannt; die Knochen werden extra gemahlen, die Asche mineralisiert und in Metallschubladen aufgefangen. Ein nicht ungefährlicher Prozess: „Herzschrittmacher zum Beispiel sind mit Quecksilber belastet”, erklärt Flore. Die Mitarbeiter tragen daher Schutzmasken, wenn Sie mit Metalldetektoren die Asche von Rückständen wie Sargbeschlägen, künstlichen Hüftgelenken oder merkwürdigen kleinen Steinen befreien: „Tumore verbrennen nicht, sie verklumpen. Komisch, nicht?”

Die gesäuberte Asche kommt in eine Kapsel, die in die zuvor ausgesuchte Urne umgefüllt wird. Im Urnenlager des Krematoriums stehen eine ganze Reihe der unterschiedlichsten Modelle: Große und kleine, edle Keramik und einfache Holzurnen, fantastisch bunt bemalt, von zarten Blüten geschmückt oder nur schlicht schwarz mit Goldrand. Das Verblüffende an diesem Lager allerdings ist: Es handelt sich hier nicht etwa um Ausstellungsstücke, sondern um Urnen, die bereits die Asche des Verstorbenen enthalten. Sorgfältig beschriftet mit Namen, Datum und Zielfriedhof – teils mehrere Jahre alt. Wie ist das möglich? „Tja, da gibt es mehrere Gründe. Meist sind Erbstreitereien schuld. Oder Familien streiten sich, auf welchem Friedhof Oma ihre letzte Ruhe finden soll.” Um die 30 Urnen warten so still und stolz auf ihren Abtransport aus Diemelstadt.

Der Renner in Diemelstadt ist derzeit das zeitlose Modell 9320 R aus kobaltblau glasierter Keramik.

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