BrennpunkteGesellschaft

Zu Besuch bei der Straßenzeitung „Soziale Welt“

Draußen weht ein kalter Wind, doch in dem kleinen Büro der Straßenzeitung „Soziale Welt” ist es behaglich warm. Auf dem Couchtisch stehen Krapfen, Äpfel und Kaffee bereit. So ein herzliches Willkommen bekamen die back view-Redakteure beim Treffen in Frankfurt nicht überall.


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Auf ihren Bürostühlen sitzen Silvia, Thomas und Hans-Jürgen alias „James”. Sie sind die Macher der Straßenzeitung „soziale Welt”, die es seit 1989 gibt. Mit backview sprachen sie über Käufer und Verkäufer, Spenden und Geldsorgen.
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Etwa 15 Redakteure arbeiten ehrenamtlich für die Zeitung. Einzig James und Silvia haben einen festen Vertrag. Ihre Stellen werden vom Jobcenter finanziert. Für die beiden ist es jedoch mehr als nur ein Job. Es ist eine Herzensangelegenheit geworden. Silvia kümmert sich um Büroorganisation und Verkauf, James um die Technik, Layout und Satz. Wie das geht, weiß er aus Erfahrung: Früher arbeitete er bei der FAZ im Pressebereich (IT), wurde aber 2005 arbeitslos. Thomas ist für die Fotos zuständig, Artikel schreibt der kaufmännische Angestellte eher selten.

Verkauft wird die Zeitung von Obdachlosen und Hartz IV-Empfängern, die sich ein kleines Zubrot verdienen wollen. Zehn bis fünfzehn Verkäufer sind regelmäßig in den Fußgängerzonen unterwegs. Für jede Zeitung, die sie an den Mann bringen, kommt ein Euro in ihre eigene Tasche. Die restlichen achtzig Cent pro Ausgabe brauchen Silvia, Thomas und James für den Druck. So kommen sie gerade über die Runden.

Doch ihre Arbeit beschränkt sich nicht nur auf das Zeitung machen. „Es ist auch viel Seelsorge dabei”, sagt Silvia. „Wir begleiten die Verkäufer etwa bei Behördengängen und in Jobcenter.” Für einige Obdachlose sei das Zeitungsverkaufen eine richtige Arbeit, erzählt Silvia. Es gestalte ihren Tag, motiviere sie morgens aufzustehen und gebe ihrem Leben einen Sinn. Negative Rückmeldungen bekämen die Verkäufer kaum. Manchmal jedoch wird die „soziale Welt” mit der überregionalen Zeitung „street worker” verwechselt. Das ärgert James, Silvia und Thomas. Sie erzählen, warum: „ Die Zeitung „street worker” sammelt Spenden, ohne dafür eine Genehmigung zu besitzen. Es gibt keine Kleiderkammer, in der Kleiderspenden gesammelt und verteilt werden.” Sie seien schlicht Betrüger. In Rheinland-Pfalz und Darmstadt ist der „street worker” deshalb verboten, in Frankfurt noch nicht. Eine andere, „legale” Straßenzeitung gibt es in Frankfurt auch – Konkurrenz sei das aber nicht. „Wir teilen den Markt 50/50″, sagt, James versöhnlich. „Wenn einer unserer Verkäufer irgendwo steht, stellt sich deren Verkäufer nicht direkt daneben, sondern sucht sich einen eigenen Platz. Andersherum ist es genauso.”
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Das Standbein der „sozialen Welt” ist der „gute Zweck”, die Unterstützung der sozial Schwachen. Aber dafür muss sich die Zeitung verkaufen. Wie alle Printmedien merkt auch die Redaktion der „sozialene Welt”, dass sich die Medienwelt verändert. „Es fällt auf, dass wir praktisch nicht von Jugendlichen gelesen werden”, so Silvia. „Mal kaufen uns ältere Leute an Supermärkten, auch Banker in Fußgängerzonen, aber nie Jugendliche.” An der Themenauswahl liegen kann es eigentlich nicht – denn hier ist für jeden Geschmack etwas dabei. Jeder Redakteur wählt ein Thema, zu dem er etwas schreiben möchte. Auf der Redaktionskonferenz, die einmal im Monat stattfindet, stellt er es dann den anderen vor. Viel zu berichten gibt es über Politik und soziale Brennpunkte, aber auch Kulturkritiken zu CDs und Büchern oder auch Reiseberichte finden den Weg auf das Zeitungspapier. Eine besondere Rubrik bilden die regelmäßigen Reportagen über jüdische Kultur in Deutschland, die eine engagierte Erasmus-Studentin aus der Ukraine verfasst. Silvias, Thomas und James haben einen Wunsch für das kommende Jahr: „Dass wir bekannter werden und unsere Auflage steigern können”, sagen die drei. Doch wie verkauft man in Zeiten des Internets eine gedruckte Zeitung? Immer mehr Medien konzentrieren sich auf den Online-Auftritt. Auch die „soziale Welt” gibt es bereits im world wide web.

Silvia, James und Thomas möchten diesen Bereich ausbauen – aber nicht zu sehr, schließlich ist der reale Zeitungsverkauf auf der Straße die einzige Möglichkeit, die sozial Schwachen zu unterstützen. Vielleicht findet sich noch der ein oder andere Werbekunde, der die Zeitung sponsert, hoffen sie.

Nach dem Gespräch bleibt noch ein wenig Wärme zurück, ein Hauch von Kaffee, Gebäck und Nächstenliebe. Doch gleichzeitig ist da auch die Sorge um die Existenz dieses bemerkenswerten Projektes, das Nicht-wissen-was- kommt, die Unsicherheit vor der Zukunft. Und die Freude, dass es Menschen gibt wie Silvia, James und Thomas, die selbst nicht viel haben, aber umso mehr bereit sind, zu geben.

(Text: Anna Franz / Fotos: Konrad Welzel)

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