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Wie viele echte Freunde braucht man wirklich?

Schule, Studium, Vereine, Facebook – hiermit nenne ich nur vier Formen der sozialen Vernetzungen im täglichen Leben. Für niemanden ist es so leicht Freunde zu finden wie für junge Leute. Freunde sind die Stütze abseits der Familie. Aber ist es wirklich so wichtig, seine Freundesliste ständig vergrößern zu müssen?

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Fangen wir klein an. In der zweiten Klasse fragte mich mein Tischnachbar Yannick, ob ich sein Freund werden wolle. Bis dato hatten wir zwar viel gemeinsam gespielt. Aber ich sagte „Nein”. Ich wusste nicht, warum.

War ich zu schüchtern? War ich zu unehrlich mit meinen unerfahrenen acht Jahren? War er zu pummelig, so dass er mir als Freund nicht gefallen hat? Fakt war, dass ich in dem Alter schon unbewusst einen Unterschied zwischen Freund und Bekannter vernahm. Und es braucht Zeit und Mühe, ein guter Freund zu werden.

Die Qual der Wahl
Grundsätzlich gibt es nichts Leichteres im Jugendalter, als Freundschaften zu schließen. In der Schulklasse entstehen die kollektiven Gegenbewegungen zu Lehrern, im Sportverein kämpft man sich gemeinsam auf den ersten Platz der Jugendliga, in der Pubertät tauscht man sich über seine körperlichen Veränderungen aus.

Derartige Momente führen zu Cliquen-Bildungen, zu Freundeskreisen, die lange bestehen können. Im Studium ist es nicht anders, vielleicht sogar noch einfacher, aber weitläufiger. Man hat die Qual der Wahl. Die zahlreichen jungen Erwachsenen, von überall her, ergeben ein riesiges Potenzial sich freundschaftlich anzunähern, sei es wegen desselben Studiengangs, desselben Wohnheims oder der regelmäßigen Parties.

Einige Schulfreundschaften bleiben bestehen, bei dem Einen mehr, bei dem Anderen weniger und andere verlieren sich. Im Großen und Ganzen lernt man in seinen ersten Jahrzehnten einfach eine Menge Leute kennen. Nur irgendwann fragt man sich dann: Wer ist tatsächlich ein Freund fürs Leben und wer ist nur ein Bekannter, zu dem eine oberflächliche Beziehung ausreicht? Macht es denn Facebook nicht möglich?

Auch, wenn es viele verschiedene Ansichten darüber gibt, was einen guten Freund ausmacht, Facebook wird nie eine Plattform für tiefe Freundschaften sein. Man bleibt mit vielen Leuten lange vernetzt, das ist richtig, und vor allem, wenn man Kontakte im Ausland hat, profitiert man von dem Netzwerk. Aber man muss ehrlich sein, die Hälfte in der Freundesliste hat man mal getroffen, geaddet, eine Nachricht geschrieben und dann sieht man sie nie wieder.

Neid, Unzufriedenheit mit sich selbst und Aufmerksamkeitsdefizite sind wohl die gängigsten Ursachen bei den Leuten, die dennoch denken, dass sie mit dem Prahlen von ihren 800 Facebook-Freunden zu wissen scheinen, wie man sich viele gute Freunde macht. Sie wollen gar nicht wissen, was ein wirklicher Freund ist, sie brauchen nur möglichst viele davon. Der wahre Begriff „Freund” verliert seine Bedeutung.

Die Qualität ist entscheidend
Wahre Freunde unterscheiden sich von dem Rest der Leute in dem Maße, dass sie im ganzen Leben gemeinsame Wege gehen. Sie verbringen nicht nur viel Zeit miteinander, sie tauschen sich auch intensiver aus. Sie gehen emotional aufeinander ein. Sie führen ein Geben und ein Nehmen. Die Gemeinsamkeit ist das A und O. Für sie sind Interesse und Wohlbefinden unabdingbar. Oberflächlichkeit ist hier fehl am Platz. Von diesen Leuten trifft man vielleicht nur wenige im Leben. Aber das ist auch gut so.

Es gibt natürlich keinen Richtwert dafür, wie viele gute Freunde jeder haben sollte, wie viele man tatsächlich braucht. Jeder Mensch ist anders sozialisiert. Für jeden spielt die Wichtigkeit und Intensität von Freundschaften eine andere Rolle.
Aber um im Leben glücklich zu sein, sollte eine Hand voll von engen Freunden schon präsent sein. Das ist genug, um sich nicht einsam zu fühlen und auch um zu jedem noch die gleich starke soziale Bindung zu haben.

Bei zehn oder mehr kommt es bereits zu Grüppchenbildungen, wo die Verhältnisse schon variieren. Zu viele unterschiedliche Interessen führen dazu, dass nie alle gleich gut auskommen. Da jeder einmal mit jedem ab und zu abhängt, entsteht keine wirkliche Homogenität eines engen Freundeskreises.

Der Unterschied zwischen Freund und Bekannter
Es ist ja nicht schlimm, mehr Bekannte als Freunde zu haben. Vielen reicht ein Freund, dem man alles erzählen kann, andere wollen einfach nur Bekannte haben, um immer irgendwo dabei zu sein. Es hängt davon ab, was man selbst will. Wichtig ist, dass man glücklich ist mit dem, was man hat. Man muss nur eins unterscheiden können: Ein Bekannter hört dir nur zu, wenn er gerade Zeit hat, ein Freund hört dir immer zu. Und wenn man das weiß, kann man sich die Leute danach aussuchen.

Mit Yannick ging ich eine Zeit lang in den gleichen Sportverein und wir besuchten zusammen das Gymnasium, sodass wir uns täglich sahen. Dennoch entstand eine engere Verbindung nicht. Ich freundete mich mehr mit anderen Kameraden an. Bis heute bin ich mit Yannick über Facebook und Skype in Kontakt. Seine Frage von damals stellte er nicht noch einmal. Er ist und bleibt eben nur ein Bekannter.

(Text: Tom Pascheka)

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2 Gedanken zu „Wie viele echte Freunde braucht man wirklich?

    • Tja, leider habe ich dennoch immer wieder Leute getroffen, die sich einfach besser fühlen, wenn sie eine größere Freundesliste auf fb als andere haben. Albernheit lässt grüßen! Aber klar, die 800 ist leicht übertrieben, und wahrscheinlich war dieses Phänomen auch früher schlimmer gewesen.

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