BrennpunkteGesellschaft

Essen aus der Mülltonne

Der Strafbefehl gegen drei hessische Studenten wegen der Entnahme von Lebensmitteln aus der Mülltonne sorgte im Jahr 2013 für Aufregung und entflammte zahlreiche Debatten. Containern scheint dennoch für viele Lebensmittelretter eine politische Notwendigkeit. Doch welche Gefahren kommen auf den “Dumpster Diver” zu? Und welche Rolle spielt die Gesundheit dabei?

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Die Ausrüstung ist alles. Wenn ich am Container bin, muss ich damit rechnen, dass die Kleidung dreckig wird. Eine alte Hose, eine alte Jacke und Handschuhe sind unabdingbar. Außerdem brauche ich Licht. Es ist 23 Uhr. Lange nach Ladenschlusszeit. Man muss schließlich sehen, was man aus der Tonne fischt. Unangenehme Gerüche kommen mir manchmal entgegen. Im Sommer mehr als im Winter. Aber das ist lediglich Gewöhnungssache. Trotzdem fragen mich Leute: Warum gehst du nicht einfach günstig einkaufen?

Politisch geht vor finanziell

Das Geldsparen ist nicht der Punkt. Das Containern, ursprünglich ein Element des Freeganism, einer anti-materialistischen und -–konventionalen Lebensform, sehe ich als eine direkte Maßnahme gegen die globale Lebensmittelverschwendung in Industriestaaten. Das Lebensmittelretten gibt der Nahrung den Wert zurück, der normalerweise als selbstverständlich angesehen werden sollte. Die Politik entscheidet. Verordnungen bestimmen, wie produziert wird, wie konsumiert wird. Ein Überfluss entsteht, der fast eine Milliarde Menschen an Unterernährung leiden lässt. Von den jährlich vier Milliarden Tonnen weltweit produzierten Lebensmitteln, wird ein Viertel weggeworfen. So stellt sich mir die Frage, warum man eigentlich NICHT containert – liegt doch der gefühlte halbe Supermarkt vollkommen genießbar in der Mülltonne.

Grundlegend basiert die Mitnahme von Lebensmitteln auf eine gesunde Lebensweise, da innerhalb der Container der Großteil aus Obst und Gemüse besteht, das insbesondere eine vegane Ernährung mit sich bringt. Viele pflanzliche Produkte halten sich in der Regel einfach lange. Ihr Genuss ist vielleicht in ihrem Aroma reduziert, aber Vitamine bleiben Vitamine. Meistens finde ich Paprika, Tomaten, Porree, Karotten, Äpfel und Pfirsiche – en masse, was mir bereits eine Gemüsepfanne und einen Obstsalat für zwei Tage sichert.

Gesundheitliche Risiken

So gesund ist Containern
Mülltonnen eines Supermarktes in Saarbrücken

So gesund wie die Ernährung durch das Containern erscheint, so sehr mache ich mir jedes Mal bewusst, dass der Container immer noch ein Ort ist, an dem mehrere chemische Reaktionen aufeinandertreffen. Blaue Müllsäcke liegen gestapelt aufeinander. Verpackte Produkte, verpackte Produkte mit Löchern und Rissen, unverpackte Produkte – alles wird quer durcheinander in ihnen entsorgt. Hygiene ist ausgeschlossen. Verbraucht man am Ende Lebensmittel, die nicht mehr genießbar sind, kann es zu leichten bis schweren Magenproblemen kommen, sowie Übelkeit, Erbrechen, Salmonellen und anderen Krankheitssymptomen.

Vorbeugung während des Containerns

Beim EDEKA um die Ecke sind die Lebensmittel in der Regel in blauen Müllsäcken enthalten. Habe ich einen geöffnet, entnehme ich die Produkte stets mit Bedacht. Ich schaue mir Obst und Gemüse sorgfältig an. Haben sie verfaulte Stellen, schätze ich ein, ob sie klein genug sind, um sie herauszuschneiden. Sind sie zu groß, lasse ich sie im Müll. Allgemein verbreitet sich Schimmel auf umliegende Produkte schnell, daher darf bei der „Inspizierung“ nichts ausgelassen werden. Frühzeitige Euphorie darüber etwas gefunden zu haben darf nicht in zu überschnellen Aktionen verfallen, in dem einfach alles unmittelbar eingepackt wird, was geht. Denn faule Produkte, die ich mitgenommen habe und dann zu Hause wegschmeißen muss, hätten direkt durch andere Lebensmittel, für die kein Platz mehr im Rucksack war, ersetzt werden können.

Milchprodukte finde ich ebenso. Von Joghurt und Trinkjoghurt bis hin zur Crème Fraîche, sauren Sahne, Margarine und zum Frischkäse. Hier ist das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) und die Jahreszeit von großer Bedeutung. Liegt das MHD zwei bis drei Tage zurück – und das ist meistens der Fall – kann es vorerst bedenkenlos mitgenommen werden. Es ist ein Orientierungswert, mit dem das Maximum der Genießbarkeit gewährleistet ist. Es bedeutet aber nicht, dass ich nach Ablauf das Produkt nicht mehr verbrauchen kann. Im Sommer ist es allerdings durchaus möglich, dass diese Produkte selbst nach dem MHD nicht mehr essbar sind, da selbst nachts die Temperaturen zu hoch sind und die Kühlkette nicht mehr sicher gestellt ist. Bei Fleisch bin ich vorsichtig, bei Fisch noch viel mehr. Sie sind leicht verderblich und sollten nur unmittelbar verzehrt werden, wenn es kein Verbrauchsdatum (VD) gibt. Ist eines vorhanden (z.B. bei Hackfleisch, rohem Geflügel) lasse ich bereits ab dem ersten Tag nach Ablauf des VD die Finger davon.

Ich trage stets Handschuhe, um meine Hände nicht mit dem Inhalt eventuell aufgerissener Verpackungen zu beschmutzen. Auch wenn sich die geringe Hygiene nicht vermeiden lässt, achte ich immer auf eine maximale Sauberkeit am Körper. Es gibt nichts Schlimmeres, als mit klebrigen und beschmierten Händen nach Hause fahren zu müssen.

Vorbeugung nach dem Containern

Bin ich mit vollem Rucksack nach Hause gekommen, schaue ich mir alle Produkte ein weiteres Mal genau an. Sind alle Lebensmittel nach dem Transport unversehrt? Gibt es verfaulte Lebensmittel zwischen den Genießbaren? Das Obst und Gemüse wasche ich gründlich für einige Minuten ab, schneide schlechte Stellen heraus, dann lagere ich sie dorthin, wo sie am besten liegen – manche in den Kühlschrank, manche in den Küchenschrank. Die Milchprodukte kommen ebenso direkt in den Kühlschrank. Bevor ich sie zum Essen verbrauche, rieche ich daran und schmecke ab. Ist an dem Geschmack und dem Geruch nichts auszusetzen, nutze ich sie bedenkenlos. Gibt es Bläschen oder ähnliches in der Konsistenz, muss ich sie entsorgen. Doch erfahrungsgemäß hält beispielsweise meine Margarine bis zu zwei Monate.

Legal oder illegal?

Die Gesundheit geht vor. Folgt man seinen Instinkten während des Mülltauchens, kann nichts Gravierendes geschehen. Regelmäßigkeit und Sorgfalt können reichhaltige vegetarische oder auch nicht-vegetarische Gerichte hervorbringen. Hat man einmal die Routine im Containern gefunden, kommen auf einen „nur noch“ die rechtlichen Risiken zu.

Denn das Containern ist in Deutschland illegal, während es in Österreich und der Schweiz völlig gesetzmäßig ist. In Deutschland gehört der Müll in vielen Fällen zu dem Eigentümer des Areals. Das bedeutet: Ein Satz wie „Das wird doch eh weggeschmissen“ ist kein Grund sich als Containerer zu rechtfertigen. Man entwendet einen Teil des Eigentums, also begibt man prinzipiell Diebstahl. Liegt der entwendete Wert allerdings unter 50€, erfolgt nur eine Anzeige, wenn der Eigentümer einen Strafantrag stellt. Übersteigt der Wert 50€, ermittelt direkt die Staatsanwaltschaft, die letztlich verurteilen oder die Anzeige erlassen kann.
Es hängt im Allgemeinen immer davon ab, wie die Container zu finden sind. Stehen diese offen am Rand eines Supermarktparkplatzes, ist für den Containerer am wenigstens zu befürchten. Sind diese aber eingeschlossen, sodass der Mülltaucher über einen Zaun klettern muss, spricht man von Hausfriedensbruch. Dieser Tatbestand verhält sich aber ähnlich wie Diebstahl. Sind die Container selbst abgeschlossen und der Mülltaucher beschädigt sie beim Öffnen, haben wir Sachbeschädigung – hierbei ist der Tatbestand schwerwiegender.

Erwischt – was tun?

Generell ist es bedeutsam, sich ruhig zu verhalten, möglichst nicht leuchtende Kleidung anzuziehen und die Taschenlampe nur dann einzuschalten, wenn man am „Tauchen“ ist. Sorgfalt ist wichtig, aber ein ewiges Trödeln an einem Spot erhöht die Chancen, erwischt zu werden. Ich selbst fahre immer mit dem Fahrrad. Dies ist wohl am unauffälligsten. Jedoch wäre ich langsamer als mit dem Auto, wenn ich vor jemandem „flüchten“ muss.

Und sollte man tatsächlich erwischt werden, ist der erste Schritt Ruhebewahren. Panik oder ein versuchtes Wegrennen sind fehl am Platz, da sie eine große Unsicherheit des Containerers darbieten. Schließlich weiß man doch, was und warum man es tut. Ein souveränes Auftreten vermindert vehement eine Strafanzeige. Man muss seinem Gegenüber deutlich machen, dass man mit der Aktion gezielt gegen die Lebensmittelverschwendung kämpft und man nichts weiter als das genießbare Essen mitnehmen und teilen möchte. Nur dann ist eine Schlichtung zwischen Containerer und Supermarktmitarbeiter möglich. Hat man tatsächlich ein Schloss o.ä. beschädigt, empfiehlt sich der Satz: „Das war schon so!“ So steht Aussage gegen Aussage. Beweise zu finden ist extrem unwahrscheinlich.

Containern erlebt mehr und mehr Beliebtheit; gewänne also eine Strafanzeige öffentliches Interesse, wirke es sich auf den Ruf des Betriebes aus. Wer geht schon gerne dort einkaufen, wo juristisch gegen das Retten von Lebensmitteln vorgegangen wird. Wie die drei verklagten Studenten aus Hessen ist und bleibt jeder Mülltaucher auf der sicheren Seite dieser rechtlichen Grauzone.

(Text und Foto: Tom Pascheka)

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