InternationalPolitik

Wer ist Globalisierung? Die globale Frage!

Wir leben in globalen Zeiten. UN Generalsekretär Antonio Guteres begann das neue Jahr nicht mit einem Appell, sondern einem Alarmruf für den Frieden weltweit. 2017 war ein Jahr der Krisen und Konflikte einer Welt im Umbruch. Wer ist Globalisierung? Das ist die globale Frage![divide]

Aus dem globalen Dorf in die globale Stadt

Die Welt ist ein Dorf, besser gesagt ein globales Dorf, wie es der kanadische Philosoph und Gesellschaftswissenschaftler Marshall McLuhan zu Beginn der 1960er Jahre beschrieb. Der Dorfplatz das ist das Internet, auf der dem sich das gesamte globale, digitale Leben seiner Einwohner abspielt. Nehme man an, dieses globale Dorf bestünde aus 100 Menschen, so wären 25 von diesen Kindern, 75 Erwachsene und 9 von ihnen über 65. Etwa 11 Dorfbewohner litten an Unterernährung und 22 an Fettleibigkeit. Insgesamt könnten 86 von ihnen lesen, wobei 40 sogar einen Zugang zum Internet hätten. Betrachtet man das Dorf aber genauer, so sind dessen Bewohner doch sehr verschieden. Von den 100 Bewohnern wären 31 Christen, 23 Muslime, 16 Atheisten, 15 Hindus und 7 Buddhisten, aus allen Teilen der Welt. Hier lebten 10 Europäer, 14 Amerikaner, 16 Afrikaner und 60 Asiaten, eine reichlich globale und verschiedene Bevölkerung.

1990 Globalisierung

Vielleicht ist die Welt weniger ein Dorf als vielmehr eine globale Stadt. Bereits heute leben mehr Menschen in den Städten als auf dem Land. Dieser Trend wird in Zukunft weiter anhalten.

2030 Globalisierung

Mittlerweile ist etwa die Hälfte der Weltbevölkerung Teil des Internets. Dennoch konzentrieren sich heute schon  mehr als die Hälfte (54%) der Weltbevölkerung in den globalen Städten.

Völlig vernetzt und doch völlig verloren

Anders als das globale Dorf, dass durch eine dörfliche Gemeinschaft geprägt ist, in der jeder jeden kennt, ist mittlerweile die globale Stadt mit der städtischen Gesellschaft entstanden, in der jeder jedem eher fremd wird. Auf dem Dorf ist es der Nachbar in der Stadt ist es der Fremde. Die städtische Gesellschaft beruht auf technischen, nüchtern sachlichen Beziehungen, welche für das Funktionieren des städtischen Mechanismus sorgen. Ob Nahverkehr, Wirtschaft, Bildung, ob als Busfahrer, Angestellter oder Lehrer, jeder Bewohner wirkt am funktionieren des städtischen Systems mit. Dies lässt sich vom lokalen auf das globale übertragen. Hier sind es die globalen Städte, welche Aufgaben zum Funktionieren des globalen Systems übernehmen.

„Der urbane Raum ist konkreter Widerspruch“, beschrieb es einst der französische Philosoph Henri Lefebvre. Was auf lokaler Ebene gilt, das gilt auch auf globaler Ebene. Auf der einen Seite wachsen die großen Metropolen, sie werden immer diverser mit Menschen aus allen Teilen der Welt. Trotzdem verteilt sich der Reichtum hier ungleich. Städte wie London, Paris oder New York haben eine der höchsten Dichte von Millionären und Milliardären. Zeitgleich leben hier die meisten Obdachlosen weltweit. Der Widerspruch wird urban wahrlich erlebbar. Auf der anderen Seite verlieren ländliche Regionen an Einwohnern, Kultur, veröden weiter.

Internet abschalten oder die Suche nach Anschluss  

Globalisierung, das ist die Kompression von Raum und Zeit. Ein Klick genügt, schon lässt sich von jedem belieben Ort auf der Welt zu jedem Moment das gesamte globale Geschehen verfolgen und auch mitbestimmen. Moderne Errungenschaften der Informationstechnologie erlauben es Unternehmen und der Wirtschaft nicht nur regional, sondern global, allumfassend, immer und von überall zu agieren. Der Soziologe Manuel Castells spricht vom space of flows. Dieser besteht etwa aus Investitionen, Entscheidungsketten aber auch aus Personen selbst. In jedem Moment sind um 690.000 Flugpassagiere in der Luft, eine eigene Stadt in den Wolken.

Die Aufgabe dieser Ströme ist es, ähnlich einem Flugzeug, irgendwann irgendwo zu landen. Hier spricht Castells vom space of place. Anders als die räumlich und zeitlich ungebundenen Ströme, sind diese Ort und Zeit, an denen das reale Leben, der Alltag stattfindet. Dieser wird jedoch zunehmend nicht nur von regionalen, sondern globalen Entwicklungen bestimmt. Die unmittelbare Umgebung wird zum Widerspruch zwischen globalen, räumlich und zeitlich ungebundenen Erfordernissen einer globalen Wirtschaft, und lokalen, räumlich und zeitlich bestimmt durch die Bewohner und deren Biographie beziehungsweise der Geschichte des Ortes. Es entstehen Hierarchien von Orten, die je nach Wirtschaftsleistung wichtig sind oder werden.

Globalisierung

Globalisierung Dank und durch Digitalisierung haben ein komplexes Netzwerk geschaffen, dass unterschiedlichste Orte miteinander verbindet oder aber auch nicht. Grenzenlose Möglichkeiten erlauben es transnationalen Unternehmen im wahrsten Sinne des Wortes Grenzen zu überschreiten. Sie definieren die Regeln der globalen Welt, vielleicht auch der Demokratie. Fakenews, Hatespeech oder Filterblasen beeinflussen immer stärker den politischen Diskurs. Zeitgleich wissen die großen Unternehmen dank Big Data immer mehr über ihre Nutzer, wissen aber auch, was diese wissen sollten oder nicht. Überspitzt können die AGBs als eine Art Verfassung für den digitalen Raum gesehen werden, der das Verhalten darin reglementiert. Ungeachtet der Geschichte und Kultur einer Region gelten so die gleichen Anforderungen. Egal ob Berlin, Wien oder Tokyo überall ähnliche Einkaufstempel, gleiche Ketten, eine zunehmende Homogenisierung der Kulturen. Die Globalisierung wischt unsere Eigenart aus“, bedauerte der Schweizer Psychologe und Schriftsteller Hans Ulrich Bänziger.

Grenzenlosigkeit braucht Grenzen 

„Es wächst zusammen, was zusammen gehört“, jubelte man die Mauer und die Mauern des Kalten Krieges zum Einsturz gebracht zu haben. Die Euphorie zu Beginn des globalen Zeitalters war groß, endlich sei das Ende der Geschichte erreicht worden, Demokratie und Freiheit würden sich nun weltweit durchsetzen. Moderne Technologien, eine globale Kultur, würde eine Weltgesellschaft schaffen, oder wie es John Lennon betonte“ The world will live as one“ Doch das Gegenteil scheint zu stimmen, so vernetzter die Welt, so verfremdeter die Weltgesellschaft.

Wir leben in globalen Zeiten, wie das vergangene Jahr deutlich gezeigt hat. Es wird immer komplexer, was als sicher galt, scheint zu verschwinden, unsicher unverständlich zu werden. Krisen und Katastrophen stehen als Sinnbild für eine Welt, die aus dem Takt geraten zu sein scheint. Viele verstehen die Welt nicht mehr, die Grenzenlosigkeit bringt uns an unsere Grenzen.

Aber diese Grenzen sind entscheidend. Jedes System, jede Nation, jede Gesellschaft definiert sich über seine Grenzen, die verschiedene Gesellschaften und Nationen unterscheidbar machen. Sie geben Orientierung, ermöglichen Kontrolle der komplexen Umwelt, schaffen Sinn, Identität. Der Strukturwandel lässt ganze Berufsgruppen überflüssig werden und damit die Menschen, die diese einst ausübten, einen Teil ihrer Identität ausmachten. Aus der Utopie des globalen Dorfes, ist die konkrete Realität der globalen Städte mit ihren Widersprüchen geworden.

Verfremdung durch Vernetzung

Je näher sich die Menschheit kommt, desto mehr werden diese Widersprüche deutlich. Dies wird mit am deutlichsten am Beispiel der „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“. Wohl keine andere Religion einer bestimmten Region steht so im Fokus. Globalisierung braucht weder Raum noch Zeit, was ist dies, oder besser wer sind wir dann noch?

Man riecht es nicht, man schmeckt es nicht, man sieht es nicht, doch die Globalisierung hinterlässt ihre Spuren, sei dies in immer unsicherer Beschäftigung oder globaler Migration. Egal wie sehr man sich auch anstrengt, den Bedürfnissen des globalen scheint es nicht zu genügen. „Take back control“, wie es die Brexit Kampagne formulierte, drückt aus, was viele sich wünschen. Alte Sicherheiten verschwinden, daher ist die Suche nach neuen entscheidend. Unabhängigkeitsbewegungen wie in Katalonien oder Bayern, wachsende Skepsis gegenüber der Europäischen Union alles dies ist Ausdruck für den Wunsch, die Welt wieder zu verstehen.

„Globalisierung, das ist der Moment der Massenmigration, Multikulturalität und der Kosmopoliten“, bringt es der kanadische Gesellschaftswissenschaftler Imre Szeman auf den Punkt. Derzeit zeigt sich die Spaltung vor allem zwischen den Bewohnern der globalen Städte, die täglich mit der Globalisierung leben und den Dörfern, die diese Globalisierung erleben (müssen). Anhänger sei es für den Brexit, für Trump für die Unabhängigkeit finden sich vor allem in den ländlichen Regionen. „Make America great again“, „damit Deutschland Deutschland bleibt“, sind ein Versuch der Globalisierung Grenzen zu setzen, sie zu ordnen. Es ist der Versuch eine Identität zu wahren, Widersprüche zu lösen, ohne eine Lösung zu haben.

Das globale Dorf in der globalen Stadt

Wir leben in globalen Zeiten. In einer Studie der Bertelsmann Stiftung sahen 44% der Befragten Globalisierung als Bedrohung. Dem gegenüber fanden 66% die Globalisierung habe deren Lebensstandard verbessert. Veränderungen haben immer stets etwas Unheimliches an sich. Globalisierung bietet Chancen, schafft aber auch Konkurrenz und Misstrauen, ist ambivalent.  „Wenn der Wind der Veränderung weht, bauen die einen Mauern und die anderen Windmühlen“, lautetet ein chinesisches Sprichwort, das wohl aktueller den je zu sein scheint.

Einst formulierte der Philosoph der Aufklärung Immanuel Kant folgende Weltfragen: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was kann ich hoffen? Was ist der Mensch?

Globalisierung bringt Orte und Menschen zusammen, macht aber auch Widersprüche deutlich, unterscheidet und trennt diese wieder. Noch nie zuvor in der Geschichte der Menschheit, war diese so vernetzt und hing doch so sehr am digitalen Faden ihres eigenen zukünftigen Schicksals. Die Globalisierung wird unsere Grenzen des Seins neu definieren, die globalen Fragen sind:

„Wer sind wir? Wer seid ihr? Wer ist wer? Wer ist der Mensch?“

Die globale Frage ist keine Frage allein nach den technischen Möglichkeiten von Internet und Digitalisierung, von wirtschaftlicher Effizienz es ist die Frage nach der eigenen Identität. Eine grenzenlose Welt, braucht Grenzen um zu unterscheiden, aber auch um zu vereinen. Diese Grenzen sind aber nicht fest, sondern lassen sich immer wieder verschieben und verändern.  „Wir Deutschen sind immer noch verkrampft wegen unserer Identität. Dabei sind wir ein freies ein tolerantes Land, ein geiles Land. Aber dazu müssen wir stehen und diese Werte verteidigen“, bringt es der Film zur Migrationsdebatte „Willkommen bei den Hartmanns“ auf den Kern.

Trotz globaler Städte, die Utopie des globalen Dorfes ist heute wichtiger den je. Heimat schafft Herkunft, steht für Zukunft, gibt Identität, ermöglicht es die komplexe globale Welt besser zu verstehen, sich in ihre zurecht zu finden. Wer ist Globalisierung? Der Harvard Professor Alexander Görlach gibt eine Antwort: „Ein Kosmopolit braucht keinen Status als Vielflieger oder einen Abschluss an einer Elite-Universität. Ein Kosmopolit ist der Mensch, der aus den Erfahrungen, die er in seinem unmittelbaren Umfeld macht, Schlüsse ziehen kann, die über sein Umfeld hinausgehen“ Wer ist Globalisierung? Wer ist der Mensch?  Sei ein Kosmopolit!

Stephan R.

Stephan interessiert sich für Warum und die Welt: Seit 2014 gehe ich für backview.eu scheinbar alltäglichen Dingen auf den Grund, betrachte warum manches so ist wie es ist. Wenn ich nicht gerade an einer neuen Idee für einen Artikel sitze, beschäftige ich mich gerne mit Fotographie oder Fremdsprachen oder widme mich meinen Politikstudium.

Schreibe einen Kommentar