Brennpunkte

Wasser als Mediator

In der niederbayerischen Stadt Passau führen Feierlaunen und Lärmbelästigungen immer wieder zu Konflikten zwischen Studenten und Einheimischen, bei denen nicht selten die Polizei schlichten muss. Durch die Hochwasserkatastrophe lernten sich Jung und Alt anders kennen – und schätzen.
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Eine durchs Hochwasser verwüstete Bar in PassauEs war der erste Tag in meiner neuen Heimat. Mit einem bis zum Dach vollgepackten roten VW Polo stand ich nach fast fünf Stunden Fahrt an der Theke einer Bäckerei, wollte zwei Brötchen kaufen, bestellte eben diese und erhielt als Kommentar den ersten Satz in eben jener neuen Heimat: „Semmen hoast des do“. Kundenfreundschaft? Schwamm drüber. Mit meinen zwei Semmeln begrüßte ich also den Ort, an dem ich für die kommenden drei Jahre wohnen würde: Passau. Und das war doch einer der nettesten Kontakte mit der einheimischen Bevölkerung, was ich damals allerdings noch nicht wusste.

Passau habe ich als abgelegenes, kleines, rabenschwarzes Städtchen kennengelernt, das am Rande des Nirgendwo liegt, aber immerhin drei hübsche Flüsse besitzt. Wobei eigentlich nur Inn und Donau als Flüsse zählen, während die Ilz wohl eher zu einem solchen gemacht wurde, um Passau marketingtechnisch prägnant Drei-Fluss-Stadt nennen zu können. Eben jene zweieinhalb Flüsse sorgten in den vergangenen Tagen aber dafür, dass Passau in den Tagesthemen und in Zeitungen weltweit erschien. Der höchste Donau-Pegelstand wurde bei 12,89 Metern gemessen, nur 1501 war der Pegel mit etwa 13,20 Meter höher.

Die Pasauer Studenten packen mit anViel hat sich verändert in Passau, nachdem Altstadt, Innstadt, Ilzstadt und weitere Stadtteile geflutet wurden. Seit Jahrzehnten leben Studenten und Einheimische zwar in der gleichen Stadt, das Verhältnis ist jedoch von Hass geprägt. „Ich glaube, dass es in einer Stadt wie Passau, wo 10.000 Studenten auf 50.000 Einwohner treffen, automatisch zu Reibungspunkten kommt“, sagt Florian Stienen, der Staatswissenschaften studiert. Dazu kommen die Eindrücke der jeweils anderen Gruppe: Viele Studenten, vor allem in den Zweigen Jura und BWL, kommen nicht nur in einer großen Anzahl aus gutem oder adligem Hause, sondern verhalten sich auch rücksichtslos. Die Einheimischen hingegen sind geprägt von Kirche, CSU und Landwirtschaft. Für die Studenten blieben die Einheimischen fremd, nicht nur, weil nur die wenigsten die Sprache verstehen und sich nur die wenigsten der Einheimischen um Hochdeutsch bemühen. Janina Biedenbach studiert seit anderthalb Jahren Medien und Kommunikation in Passau: „Einige Studenten haben die Passauer als Bauern bezeichnet, Hinterwäldler und Dorfleute. Von Einheimischen habe ich Sprüche wie „Der Feind Nr. 1: Der Student“ gehört“, sagt sie.

Wolfgang Korduletsch ist ein Einheimischer, der bislang nicht allzuviel von den jungen Einwohnern hielt: „Als Partyfotograf kenne ich viele Studenten und habe mir deshalb – wie viele Passauer – die Meinung gebildet, dass sie das ganze Jahr nur feiern und saufen“, sagt Korduletsch. Dazu kommen die Radfahr-Rowdies, „wenn die Studenten mal wieder durch Radfahren durch die Fußgängerzone oder Einbahnstraßen auffallen“, ergänzt der 59-Jährige, der zeitlebens in Passau lebt. Unvergessen für mich der Moment, als mir eine Einheimische einen Regenschirm auf den Kopf schlug, als ich auf dem Rad an ihr vorbeifuhr, „Scheiß Studenten“, rief sie dabei.

Nach dem Hochwasser in PassauEs passiert, was passiert, wenn man übereinander und nicht miteinander redet: Bauern gegen Prolls. Zuletzt ging es um eine Sperrstunde. Einige Einheimische nutzten jede Gelegenheit, die Polizei zu rufen, wenn sich auch nur ein Grüppchen Studenten irgendwo unterhielt und fühlten sich im Schlaf gestört. Selbst Videos drehten sie und schickten sie als Beweis an den lokalen Fernsehsender TRP1. Die Studenten hingegen fühlten sich in ihrem Recht auf ein richtiges Studentenleben beschnitten, wenn die Bars um ein Uhr nachts allesamt schließen. Dann kam das Hochwasser in die Debatte.

Es waren die als saufendes faules Pack verschrieenen Studenten, die Sandsäcke schleppten, die Wohnungen und Häuser der Einheimischen ausräumten, Sperrmüll hievten und den meterhohen Schlamm wegschippten. „Ich habe in den Katakomben vom Theater Schlamm geschippt und dann noch eine Disco mit ausgeräumt. Zuerst half man Freunden, dann sah man die Leute, die Hilfe brauchten“, sagt Janina Biedenbach, die selbst nicht vom Hochwasser betroffen war. Auch, wenn einige Studenten gleich die Flucht ergriffen, die, die geblieben waren, packten an. „Wir haben einfach Leute gefragt, ob sie Hilfe brauchen. Es war plötzlich nur noch wichtig, dass es allen gut geht, schließlich wurden Existenzen zerstört”,meint Biedenbach. Vielen Studenten sei wohl bewusst geworden, dass sie nur in Passau studieren, während nebenan einige Erinnerungen an ein ganzes Leben im Wasser verloren haben, so die 26-Jährige.

Es gibt viel aufzubauenWolfgang Korduletsch hat dieses Anpacken zur Kenntnis genommen – und ist einen Schritt auf das Gegenüber zugegangen. Am 4. Juni, dem Tag, als die Pegel wieder sanken, schrieb er einen Post auf Facebook, der hundertfach geteilt wurde: „Liebe Passauer Studenten. Ich musste heute meine Meinung über Euch komplett ändern! Bisher kenne ich die meisten nur vom Partymachen und sonstigen Feiern. Was ich heute gesehen habe, ist mit Worten eigentlich nicht zu beschreiben“, hieß es da. „Zu Hunderten sind heute Studenten mit Schaufeln, Besen und sonstigem Reinigungszeug durch die Stadt gezogen und haben stundenlang geschuftet bis zum Umfallen. Ohne Euch hätten viele Passauer den ganzen Dreck noch in ihren Geschäften oder Wohnungen. Und ab iatz sads Ihr für mi olle richtige Passauer!“

Es ist ein Posting, das in Passau eine neue Ära einleiten soll. Eine, die von Verständnis und Toleranz geprägt ist. Im Nikolakloster, das zur Universität gehört, in Gaststätten, in Einzelhandelsgeschäften und Wohnungen hängen Zettel, ein paar Worte, auf Papier gekritzelt. Alles Dankschreiben an die Studenten, die so fleißig anpacken – obwohl es oft nicht ihre eigenen Wohnungen waren, die sie vom Schutt befreiten. Wolfgang Korduletsch war nicht direkt vom Hochwasser betroffen, doch er ist Hobbyfotograf und machte sich auf, als die Fußgängerbrücke zwischen seinem Stadtteil und der Altstadt wieder passierbar war. „Was ich da gesehen habe, hat mich völlig umdenken lassen. Zu Hunderten, wenn nicht Tausenden sind unsere Studis von unten bis oben im Dreck gestanden und haben Keller und Häuser ausgeräumt und geschaufelt bis zum Umfallen“, sagt der Beamte im Vorruhestand. Aus „den Studenten“ sind jetzt „unsere Studis“ geworden. „Da gab es Menschenketten und die Mädels, zierlich und kaum größer als 1,60 Meter, haben körperliche Höchstleistungen vollbracht.“

Pegelstände in PassauÜber verschiedene Seiten auf Facebook haben sich die Studenten organisiert. Wer Hilfe brauchte, konnte ein Gesuch einsenden, das dann binnen weniger Minuten verbreitet wurde. Waren genug Leute vor Ort, wurde das Gesuch gelöscht. Auf Facebook boten Nicht-Betroffene auch Schlafplätze und Unterstellmöglichkeiten für Gegenstände, Autos und Tiere an, Sachspenden wurden organisiert. Es wurde gemeldet, wo es kostenlos Essen und Trinkwasser gab. Stromaggregate wurden verliehen, denn Strom gab es genau wie Trinkwasser tagelang nicht. Hilfe direkt vor Ort. Binnen Minuten.

Obwohl Passau schon öfter unter Wasser stand – und auch zu anderen Zeiten Studenten anpackten – dieses Mal ist es nicht nur das Ausmaß. Janina Biedenbach glaubt, dass bis zu diesem Hochwasser die Fronten verhärteter waren als sonst. „Durch die Sperrzeitdebatte waren viele Studenten verärgert und die Einheimischen genervt. Da hat die Hilfsbereitschaft nicht so ins Bild gepasst.“ Ähnlich sieht das auch Korduletsch, der sagt: „Von den „nichtsnutzigen, faulen und nur partymachenden“ Studenten hat diese Hilfe keiner erwartet“.

Die Zettel in den Fenstern zeugen davon, dass man nun auf Versöhnung statt Konfrontation setzt, genau wie Leserbriefe in der Lokalzeitung „Passauer Neue Presse“. Gabi Keith schrieb dort: „Es ist mir ein besonderes Anliegen, mich bei unseren von uns so vielgescholtenen Studenten zu bedanken. Ich will mich nicht nur bedanken bei diesen Leuten, sondern auch entschuldigen.“ Sie sei schnell mit Kritik zu Stelle, wenn es um die Nachtruhe oder Wildradler ginge, „jetzt sind für mich aber neue Eigenschaften hinzugekommen: Hilfsbereitschaft, Selbstlosigkeit, Optimismus und freundschaftliches Verhalten in der Not.“

Ein Aushang mit Danksagung in PassauNun kommen eben auch Eigenschaften der jungen Menschen zutage, die es immer gab, aber wenig wahrgenommen wurden: Die Studenten haben eine hohe Kaufkraft, etliche Bars, Einzelhändler und Taxiunternehmen gäbe es ohne die Studenten gar nicht. „Sie haben hier viel aufgebaut, Start-Ups gegründet und hatten das Gefühl, dass das nicht gewürdigt wird“, sagt die 26-jährige Janina Biedenbach. Das sieht Florian Stienen ähnlich. „Wir konnten zeigen, dass wir ein echtes Interesse an unserer wunderschönen Stadt und den Bewohnern haben“, sagt der 23-Jährige. „Wir haben gezeigt, dass wir keine egozentrischen, vergeistigten Bonzen sind, die mehr auf ihre Außenwirkung achten als auf die Belange anderer.“

Wolfgang Korduletsch wünscht sich für die Zukunft ein Zusammenleben, das mehr auf dem Motto „Leben und leben lassen“ beruht, Janina Biedenbach hofft, dass künftig der Mensch und nicht die Begriffe Einheimischer/Student im Vordergrund stehen. „Ich glaube die prolligen Studenten bleiben gleich und die hinterwäldlerischen Passauer wird es auch immer geben“, sagt sie. Sie hoffe aber auf mehr Verständnis. Dass nicht alle mitziehen, zeigen nicht nur die Studenten, die Passau bei dem Hochwasser sofort verlassen haben, sondern auch diese Aktion während der Hochwassertage: Während ein Gastronom den fleißigen Helfern in der Altstadt Freibier und Verpflegung bot, ging um 21.30 Uhr ein Anruf bei der Polizei wegen Ruhestörung ein. Die Klingergasse, um die es ging, war da schon vom Schutt befreit. Die Polizei löste die Versammlung auf.

(Text: Miriam Keilbach, Fotos: Wolfgang Korduletsch)

Miriam K.

Miriam war 2007 im Gründungsteam von backview.eu. Sie volontierte beim Weser-Kurier in Bremen und arbeitet seit 2012 als Redakteurin bei der Frankfurter Rundschau. Ihre Themen: Menschen, Gesellschaft, Soziales, Skandinavien und Sport.

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