KulturMusik & Theater

Verbeugen vor dem leeren Saal

Die Aufführung ist vorbei, die Schauspieler verbeugen sich vor einem stillen, leeren Saal. In Deutschland, Frankreich, Brasilien, auf den Philippinen und noch einem halben Dutzend anderer Länder sitzen kleine Grüppchen vor dem Computer und klatschen. Was ist das?

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Eine außergewöhnliche Protestaktion der Schauspieler des Volkstheaters Rostock und die Premiere ihres Stücks „Effi Briest” (am 26.3.2011) – per Live-Stream im Internet. Denn Zuschauer dürfen wegen Brandschutzmängeln das Große Haus im Volkstheater Rostock seit einigen Wochen nicht mehr betreten.

Die Aufführung: Schön, aber gespenstisch
Schön, aber gespenstisch, so kann man es wohl am besten zusammen fassen. Obwohl der Kontakt zum Publikum fehlte, spielten die Rostocker überzeugend. Lediglich während der ersten Minuten musste sich Effi-Darstellerin Lisa Flachmeyer etwas in die Rolle einfinden.Effi wird mit dem deutlich älteren Baron von Innstetten verheiratet, und wenn sie schon keine Liebe findet, dann möchte sie wenigstens in Wohlstand leben. Doch die Provinz, in die sie ihrem Gatten folgt, ist Gift für Effi. Gesellschaftsabende und skurrile Gestalten langweilen sie und ein Gespenst treibt auch sein Unwesen. Sie wünscht sich nichts sehnlicher als eine Rückkehr in die Stadt und fängt, wohl eher aus Verzweiflung als aus Liebe, eine Affäre mit Major Krampas an, einem Freund und Kriegsgefährten Innstettens.Diese kommt Jahre später ans Licht und führt dazu, dass sich der Baron von Effi trennt und ihr den Kontakt zu der gemeinsamen Tochter verbietet. Schließlich stirbt sie unglücklich und allein in ihrer kleinen Stadtwohnung. In Szene gesetzt war das Stück mit klassischen Kostümen und einem Bühnenbild, das durch Accessoires in die jeweilige Umgebung verwandelt wurde (Schlafzimmer, Garten, Trinkstube, Wald…). Auf dem kleinen Computerbildschirm kam das Bühnenbild allerdings nicht gänzlich zur Geltung.

„Public Viewing” im MAU-Club, Rostock
Übertragen wurde die Aufführung live im Internet, teilweise sogar als „public viewing”, wie etwa im MAU-Club in Rostock. Hin und wieder kam ein Kameramann ins Bild, davon abgesehen war das Stück aber souverän gefilmt und geschnitten. Natürlich kann so ein Livestream keinen Theaterbesuch ersetzen, aber das soll er auch nicht. Johanna Schall (Enkelin Bertolt Brechts und ehemalige Schauspieldirektorin des Volkstheaters ), die in der Pause moderierte, wünschte sich „eine Katastrophe”, damit sich die Zuschauer gar nicht erst an Theater per Internet gewöhnten. Die Katastrophe blieb aus, aber das Zeichen ist gesetzt.

Und so kam die ungewöhnliche Premiere zustande:
Seit bereits über zehn Jahren waren Brandschutzmängel im großen Haus des Volkstheaters Rostock festgestellt worden, das ohnehin nach dem zweiten Weltkrieg als „Übergangslösung” gebaut worden war. Doch das „richtige” Nachfolge-Theater wurde nie errichtet und so wurde aus der Übergangslösung eine dauerhafte Spielstätte. Gegen die bekannten Brandschutzmängel unternahm die Stadt nichts und so war es eine Frage der Zeit, wann der Spielbetrieb eingestellt würde. Doch die Nachricht, dass das Haus tatsächlich geschlossen wird, kam plötzlich und überraschend.

Tagsüber probten die Schauspieler noch an ihren Stücken, abends erfuhren sie aus den Medien, dass sie ihr Werk dort nie würden aufführen dürfen. Händeringend wurden Ausweichspielstätten gesucht und, bis für Effi Briest, auch gefunden. Da Schauspieler das Haus noch betreten durften, beschlossen sie kurzerhand, ihre Inszenierung per Internet zu übertragen. Alles sollte so stattfinden wie geplant, Bühnenbild, Inszenierung, Beleuchtung, nur ohne Publikum.

Durch die Live-Übertragung sollten Zuschauer der ganzen Welt auf die Missstände aufmerksam gemacht werden und den Bürgermeister dazu bewegen, die Pläne eines neuen Theaters nun, endlich, nach über fünfzig Jahren ins Rollen zu bringen.

10.000 Zuschauer und noch immer kein neues Haus in Sicht
10.000 Menschen sahen die Übertragung von „Effi Briest”. Die zahlreichen Kommentare auf der Facebook-Gruppe des Volkstheaters Rostock zeigen Anerkennung für die mutige Idee, Theater live und kostenlos im Internet zu übertragen. Aber auch das Verständnis ist da, dass es notwendig ist, ein funktionsfähiges Haus zu haben. Denn wirkliches Theater muss gefühlt werden.

Schließlich bekamen die Schauspieler doch noch ihren „echten” Applaus: Geschminkt und kostümiert fuhren sie direkt nach der Aufführung in den MAU-Club, wo einige 300 Zuschauer die Übertragung per Public Viewing verfolgt hatten und die Schauspieler begeistert empfingen.

Schließlich gab es doch noch eine Aufführung mit Publikum: Drei mal wurde „Effi Briest” in der Nikolaikirche in Rostock aufgeführt und im Mai gibt es noch zwei Vorstellungen in Wismar. Ein Ersatz für ein bespielbares, neues Theater in Rostock ist das aber auch nicht.

(Text: Anna Franz)

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