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Untypischer und tiefsinniger Kriminalroman

Obwohl Bestseller-Autor Henning Mankell seine populäre Wallander-Reihe in diesem Jahr offiziell beendet hat, erlebt der schwedische Kriminalroman gerade eine neue Blütezeit. Neben Stieg Larsson, der mit seiner „Millenium”-Trilogie seit Monaten die vordersten Plätze der Bestsellerlisten belegt, taucht nun verstärkt der Name einer jungen Landsmännin auf: Åsa Larsson.

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In ihrem 2004 veröffentlichten Debütroman „Sonnensturm” stellte sie kirchliche Machtstrukturen an den Pranger. Zwei Jahre später folgte der Krimi „Weiße Nacht”. Auch der ist im äußersten Norden Schwedens angesiedelt und zeichnet das Bild einer frostigen, tristen Landschaft, 200 Meter nördlich des Polarkreises. Ähnlich kühl wie die Szenerie ist auch die Haltung der Bewohner von Jukkasjärvi gegenüber Rebecka Martinsson. Die junge Juristin reist aus Stockholm an, um in den umliegenden Kirchengemeinden Verträge abzuschließen. Nach einem traumatischen Schicksalsschlag ist Rebecka seelisch angeschlagen. Die Arbeit auf dem Land soll ihr helfen, wieder zu sich selbst zu finden.Bereits bei ihrer Ankunft wird die Juristin mit dem bestialischen Mord an der Pastorin Mildred Nilsson konfrontiert, die wenige Monate zuvor in ihrer Kirche erhängt wurde. Die moderne Pastorin hatte in der Gemeinde für allerhand Unruhe gesorgt und mit ihrem Engagement für Frauenrecht sowie dem Verbot der Jagd auf Wölfinnen den Hass vieler Männer auf sich gezogen.

Während ihrer Verhandlungen mit den Gemeindevorsitzenden stößt Rebecka ungewollt auf einen Tresor voller Drohbriefe an Mildred Nilsson, die der Polizei nie ausgehändigt wurden und Mildreds Nachfolger Stefan Wikström schwer belasten. Rebecka wendet sich an die Polizistin Anna-Maria Mella, mit der sie eine gemeinsame Vergangenheit teilt. Ehe sie sich versieht, steckt die junge Juristin mitten in den Ermittlungen, die zu einem weiteren Albtraum in ihrem Leben führen.

Rebeckas traumatische Vergangenheit und die damit verbundenen Konflikte sind Thema des vorausgehenden Krimis „Sonnensturm”. Die Kenntnis dieses Romans ist nicht unabdingbar, hilft jedoch dabei, die vielen Anspielungen und Bezüge einordnen zu können. Wenn man das Schicksal der jungen Juristin kennt, lassen sich auch die verschiedenen Erzählströme und Perspektiven besser bewältigen. „Weiße Nacht” profitiert schließlich von einer vielschichtigen und eindrucksvollen Erzählweise aus dem Blickwinkel verschiedener Figuren.

In die Krimihandlung ist zusätzlich die sehr poetisch dargestellte Geschichte einer Wölfin eingeflochten. Verstoßen von ihrem Rudel wandert sie aus der finnischen Nordmark nach Schweden. Die raue Wildnis Lapplands wird rein aus ihrer Perspektive geschildert, was eine Reihe eindrucksvoller Naturbeschreibungen erzeugt. Auch offenbart sich auf diese Weise ein tiefer Symbolcharakter, schimmert in der Figur der Wölfin doch stets Mildred Nilsson hindurch.

„Weiße Nacht” ist kein Buch der schnellen Schritte, überschlagenden Ereignisse und unerwarteten Wendepunkte. Erzählt wird hier, passend zur szenischen Einbettung, auf leise, unaufdringliche Weise. Umso bewegender gestaltet sich das in Rückblenden dargestellte Bild der Pastorin, die mit ihrer feministisch-idealistischen Lebensweise polarisierte.

Fazit: Ein sehr untypischer, aber tiefsinniger Kriminalroman.

(Text: Julia Hanel)

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