Trunkenheit am Steuer – ein Kavaliersdelikt?
Kommentar: Mit ein bisschen Alkohol im Blut lÀsst sich doch noch super Auto fahren?!
Die Trunkenheit im Verkehr i.S.d. § 316 StGB wird hĂ€ufig als Kavaliersdelikt betrachtet, eines Vergehens sind sich die ĂŒberfĂŒhrten StraftĂ€ter meist gar nicht bewusst.
Dies mag nicht zuletzt daran liegen, dass der § 316 StGB nicht (nur) von den handelsĂŒblichen Delinquenten verĂŒbt wird, sondern sich seine Begehung quer durch alle Gesellschaftsschichten zieht. Vielleicht setzt sich auch der Kleinkriminelle mal mit ein paar Bierchen zuviel hinters Steuer; aber eben auch der sonst so gesetzestreue Lehrer, der Hausarzt, Papa, Oma oder sogar der Staatsanwalt.
Wer in meinem Bekanntenkreis mit zuviel Alkohol im Blut am Steuer erwischt wurde, sah sein Fehlverhalten selten ein, sondern fĂŒhlte sich zumeist ungerecht behandelt.
âWarum kontrollieren die auch ausgerechnet heute da?â
âIch wollte doch nur nochmal kurz Zigaretten holen!“
âEs waren doch nur drei Bier, ich war topfit!â
âIch habe das Staatsexamen in Medizin bestanden, was soll ich bitte beim Idiotentest?!â
Und Ă€hnlich war auch meine Reaktion, als ich eine horrende Summe zahlen musste, weil das Ergebnis beim âPustenâ mir zuviel Alkohol im Atem fĂŒr eine nĂ€chtliche Heimfahrt auf dem Fahrrad attestierte (âWen gefĂ€hrde ich denn bitte um sieben Uhr morgens, ich war ja auch schon fast vor meiner HaustĂŒr, voll gemein, xy hatte viel mehr getrunken, nur weil die eine StraĂe vorher abgebogen ist…â).
Abstrakt weiĂ wohl jeder von uns, wie gefĂ€hrlich Alkohol am Steuer ist – oft genug wurde man in der Schule damit maltrĂ€tiert, dass man eben nicht nur das eigene Leben, sondern auch das seiner Mitmenschen riskiert. Es gab diese Aufkleber auf denen âDonÂŽt drink and driveâ oder âBe smart, don`t startâ stand, die sich aus UncoolnessgrĂŒnden ganz sicher niemand an sein Auto klebte.
Ich habe mich mit dem Thema bewusst erstmals auseinandergesetzt, als ich die Staatsanwaltschaftsstation im Rechtsreferendariat absolvierte
Die praktische juristische Ausbildung beinhaltet, dass man die klassischen Berufsfelder einmal durchlĂ€uft und so eben auch in die Rolle des Staatsanwaltes schlĂŒpft. Wahnsinn, in welchem AusmaĂ sich ein Staatsanwalt mit diesen Trunkenheitsdelikten auseinandersetzen muss!
Als Stadtkind war mir zum einen nicht bewusst, dass es in den lĂ€ndlichen Gebieten nicht unĂŒblich ist, dass die Jugendlichen alkoholisiert am Steuer sitzen, um nachts von A nach B zu kommen â die nĂ€chste Party mag dort schon mal im zehn Kilometer entfernten Nachbardorf stattfinden.
Am hÀufigsten tritt die Unfallursache Alkohol zwischen 18 und 24 auf
Weil eben nicht jeder junge Mensch den Luxus hat, die ganze Nacht durch an jeder Ecke in eine U-Bahn steigen zu können oder sogar auf taschengeldfreundlichen Distanzen mit demTaxi nach Hause zu fahren. Traurigerweise muss ich zugeben, dass auch ich mich in meiner Sturm und Drangphase ungern am Wochenende als Fahrerin zur VerfĂŒgung gestellt und auf meinen Rausch verzichtet hĂ€tte. Die Frage stellte sich aber auch gar nicht, der ĂŒstra in Hannover sei Dank. Ganz abgesehen davon, dass ich auch heute noch nicht unter die Autofahrer gegangen bin, das Leben in der GroĂstadt machts möglich.
Nach den Erfahrungen in der Staatsanwaltschaft war ich mehr denn je davon ĂŒberzeugt, dass das Reisen mit öffentlichen Verkehrsmitteln die einzig wahre Art war, sich fortzubewegen, da sich mir der Verdacht aufdrĂ€ngte, dass sich in unserem lĂ€ndlichen Gerichtsbezirk kaum jemand mit Fahrerlaubnis oder nĂŒchtern ans Steuer setzte. Von der ErfĂŒllung beider Voraussetzungen mal ganz zu schweigen! Dieser Eindruck resultierte natĂŒrlich hauptsĂ€chlich daraus, dass uns Referendaren kaum andere Delikte zugetraut wurden bzw. kein Staatsanwalt Lust hatte, sich mit diesem Kleinkram zu beschĂ€ftigen â wo wir wieder beim Thema Bagatellisieren wĂ€ren…
Allerdings ist es tatsĂ€chlich so, dass Alkohol am Steuer verstĂ€rkt in lĂ€ndlichen Gebieten verzeichnet wird- dort, wo die öffentlichen Verkehrsmittel eben nicht so auf das Nachtleben ausgerichtet und die Distanzen gröĂer sind.
Bis dato hatte ich auĂerdem angenommen, dass die VerkehrssĂŒnder sich wirklich meist versehentlich mit einem Bier zu viel ins Auto gesetzt hatten und alles irgendwie unglĂŒcklich gelaufen sei.
Die Augen wurden mir dann bei der Vorbereitung meiner ersten Sitzung von meiner StaatsanwÀltin geöffnet:
Eine 75-jÀhrige Frau wurde um 19 Uhr mit 1,6 Promille BAK (Blutalkoholkonzentration) angehalten.
Ich: âDie arme Frau, da macht sie einmal mit ihren Freundinnen einen MĂ€delsnachmittag und trinkt zwei Eierlikör und dann gleich sowas!â
Sie: âBei dem Wert dĂŒrften es wohl eher zwei Flaschen Eierlikör gewesen sein und wer in dem Zustand noch fĂ€hrt, der ist die Menge gewohnt und macht das vermutlich nicht zum ersten Mal.â
Ihre Worte erschlossen sich mir beim sogenannten âTrinktestâ:
Angehende (Voll !!!!-) Juristen sollen beim âBetreuten Trinkenâ unter Betreuung der Staatsanwaltschaft in möglichst kurzer Zeit möglichst viel trinken und stĂŒndlich âPustenâ, um ein GespĂŒr dafĂŒr zu bekommen, nach wieviel Alkoholkonsum die FahruntĂŒchtigkeit einsetzt.
Der Bund gegen Alkohol und Drogen im StraĂenverkehr lĂ€dt ein, nach ein paar einleitenden Worten wird Bier, Wein und Hochprozentiges der Wahl ausgeschenkt. Ein kostenloser Vollrausch im Dienste der Wissenschaft sozusagen! Bei den Referendaren unter anderem so beliebt, weil das Portemonnaie sich ĂŒber jede Entlastung freut, und seien es die Kosten fĂŒr einen Vollrausch.
âIch fĂ€nde es nur konsequent von euch, wenn ihr euch auch Crystal Meth reinziehen wĂŒrdet  ist doch auch beliebt bei eurer Kundschaftâ sagte eine befreundete Lehrerin völlig schockiert. Eine etwas ĂŒberspitzte Sichtweise. TatsĂ€chlich ist es fĂŒr die Forderung eines StrafmaĂes ganz interessant, von welchen einverleibten Mengen von Alkohol wir bei bestimmten Promillewerten sprechen. NatĂŒrlich hĂ€ngt vieles von subjektiven Faktoren ab, Trinkverhalten, Gewicht etc. Jedoch hat niemand mit einem Promillewert ĂŒber 1,0 nur zwei Bier getrunken, wie es doch in den deutschen GerichtssĂ€len regelmĂ€Ăig beteuert wird.
Meine Erkenntnis in Sachen Trunkenheit
Und seit diesem Abend weiĂ ich, dass man fĂŒr 1,6Â Promille verdammt viel tun muss â um die sechs bis sieben Bier sollten es schon sein, am besten gespickt mit ein bisschen Hochprozentigem zwischendurch.
Eine Horde um die 30-JĂ€hriger verwandelte sich im Laufe des Abends zu Teenies â das Niveau ĂŒberstieg auf keinen Fall das einer Oberstufenparty â und erlag fast kollektiv einem Filmriss. Und in diesem Zustand fahren andere Leute noch Auto? TatsĂ€chlich ist es erschreckenderweise so, dass die meisten aufgegriffenen Fahrer keine âknapp drĂŒberâ-Werte unter Null aufweisen, sondern diese gröĂtenteils im Bereich von ein bis zwei Promille (+) liegen. Einem Zustand, in dem ich froh bin, noch den Weg nach Hause zu finden. Bei uns war von Jacken-, Handyverlust bis TransportunfĂ€higkeit und HotelĂŒbernachtung alles dabei und die meisten Probanden wiesen ânurâ einen Promillewert knapp ĂŒber eins auf. Und das Experiment ging wohlbemerkt nur von 17 â 21 Uhr und erstreckte sich nicht ĂŒber eine ganze Partynacht.
Menschen, die mit derartigen Promille-Werten am Steuer aufgegriffen werden, sind also hĂ€ufig Menschen, die viel trinken und vermutlich auch Ăbung darin haben, dennoch ein Auto steuern zu können. Uns wĂ€re das an diesem Abend nicht mehr möglich gewesen… Beunruhigend ist darĂŒber hinaus, dass die meisten Trunkenheitsfahrer nicht ob ihrer fehlerhaften Fahrweise angehalten werden, sondern in Routinekontrollen aufgegriffen werden.
Dies spricht fĂŒr eine enorm hohe Dunkelziffer.
Mein Mitleid mit der Eierlikör-Oma und all den anderen âOpfernâ im Bekanntenkreis hat sich verflĂŒchtigt. Die Folgen, die aus einer Fahrt bei Trunkenheit resultieren, können so schwer sein, dass es sich eben nicht um ein Kavaliersdelikt handelt.
Jeder zehnte Verkehrstote kommt bei einem Alkoholunfall ums Leben
Pro Jahr kommt es zu ĂŒber 15.000 AlkoholunfĂ€llen, bei denen Personen zu Schaden kommen. Bei jedem Dritten Alkoholunfall kommt es zu schweren Verletzungen, jeder 40. Alkoholunfall endet tödlich. Alkohol am Steuer macht auch die Oma zur StraftĂ€terin. Eine restriktive Strafverfolgung ist hier meiner Meinung nach völlig fehl am Platz â dies sollte sich auch in den Köpfen der Allgemeinheit manifestieren.
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