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Studentenproteste in Chile

Seit Wochen protestieren Studierende in Chile gegen die Mängel im Bildungswesen und für eine gerechtere und günstigere Bildung. Raphael Bauer ist seit zwei Wochen für ein Auslandsjahr in Santiago de Chile, erlebt die Proteste hautnah mit und wartet nun auf einen verspäteten Beginn seines Studiums.


Die Bildungslandschaft in Chile teilt sich in zwei Arten von Universitäten: private Hochschulen und sogenannte Colleges sowie öffentliche Hochschulen. Für die privaten Hochschulen müssen die Studenten viel Geld bezahlen, der Bildungsstandard ist in diesen jedoch im südamerikanischen Vergleich relativ hoch.
Doch auch für die öffentlichen Universitäten sind teuer, so dass die Studierenden meistens mit hohen Schulden ins Berufsleben starten müssen. Dass fast alle Hochschüler nebenbei noch einen Nebenjob haben, versteht sich hier von selbst. Die Studienausbildung zählt zu den teuersten der Welt, nur Australien und die USA können Chile hierbei Konkurrenz machen.

chile protestGrund genug für den Bildungsnachwuchs in Chile nunmehr schon seit mehreren Monaten zu protestieren. Auf die Straße gehen aber nicht nur die Studenten. Bei den aktuellen Protestmärschen erhalten sie Unterstützung von Professoren, Lehrern und Schülern. Der Großteil der Bevölkerung, also die soziale Mittel- und Unterschicht, solidarisieren sich mit den Studenten. Selbst Berg- und Minenarbeitern – die klassische Arbeiterschicht – unterstützen die Aufstände.

Aufgrund dieser Proteste finden in den öffentlichen Universitäten momentan keinerlei Veranstaltungen statt und auch den Schülern droht mittlerweile der Verlust eines ganzen Schuljahres. Die Unterstützung der Bevölkerung zeigt sich insbesondere darin, dass diese sogenannte „caserolazos” machen – damit wird das Schlagen mit Besteck auf Töpfe bezeichnet, welches jeden Tag um 20 Uhr beginnt und enormen Lärm verursacht.
Für Europäer mag dies außergewöhnlich klingen, für die chilenische Bevölkerung gehört es zu den wichtigsten Mittel, auf sich aufmerksam zu machen. „Caserolazos” ist in der Zeit des Pinochet-Regimens als Ausdruck des Protestes entstanden und wird nun erstmals seit Beendigung des Pinochet-Regimes wieder in breiter Masse eingesetzt!

Über die persönlichen Erfahrungen bei den Protestmärschen
Seit dem 30. Juli bin ich nun in der Hauptstadt Santiago de Chile, um hier zu studieren. Mein Auslandsjahr sollte ursprünglich am 8. August an der Universidad de Santiago de Chile beginnen – die Partneruniversität meiner Bamberger Hochschule in Deutschland. Doch daraus wurde bisher nichts. Aufgrund der Proteste wurde mein Beginn des Semesters, wie auch an vielen anderen öffentlichen Universitäten, auf den 20. September verschoben.
Nach jetzigem Stand ist jedoch selbst dieser hctor aravenaStarttermin noch nicht sicher. Aus Neugier und Interesse an diesem Thema habe ich mich die letzten beiden Wochen an den beiden Protesttagen unter die Protestierenden in Santiago gemischt, wobei auch in den anderen größeren Städten, wie zum Beispiel Valparaiso, marschiert wird.

Am 9. August fand ein offiziell genehmigter Protestmarsch statt – der eine Woche zuvor nicht. Das Endergebnis sah allerdings gleich aus: wilde Straßenkämpfe zwischen Polizisten und Studierenden. Während die Kundgebungen und Märsche ruhig verliefen, wurde die Stimmung gegen Abend hin immer aggressiver.

Die öffentliche Darstellung der Geschehnisse war und ist allerdings sehr unterschiedlich. Während die regierungstreuen Nachrichten- und Fernsehagenturen von 60 000 Menschen auf den Straßen von Santiago sprachen, redet man bei unabhängigeren Medien von 100 000 Menschen. Die Polizei hat an beiden Tagen versucht, die betroffenen Protest-Bezirke mit einem großen Aufgebot abzuriegeln. Der Erfolg war aber nur mäßig.
Die Studenten haben es oft geschafft, brennende Barrikaden zwischen sich und die Polizisten zu bringen, um dann von dort aus mit Steinen auf sie und ihre Fahrzeuge zu werfen. Doch es ist nicht so, dass dies nur „Chaoten” wären – sie werden zum Teil von den Polizisten auch gezielt provoziert, um die Situation zum Eskalieren zu bringen. Experten vermuten, dass die Polizei auf diese Weise ihre Macht und Stärke darbieten will.

Danach folgt immer wieder das gleiche Szenario: Es marschieren Polizisten auf, die mit Tränengaskapseln werfen, gepanzerte Fahrzeuge fahren vor, die Tränengas versprühen und die Meute mit Wasserwerfern auseinander bringen wollen. Auf das Tränengas sind die Studierenden mittlerweile jedoch sehr gut vorbereitet: In den meisten Teilen der Stadt werden gratis Zitronen verteilt, um dem Gas in den Augen entgegenzuwirken.
Ein großes Problem ist allerdings, dass das Gas natürlich nicht an einer Stelle bleibt, sondern je nach Windrichtung wandert und ebenso die „normale” Bevölkerung trifft. Da Teile solcher Tränengaskapseln auch in die Metrostationen geraten sind, konnte ich schon Szenen von fliehenden  Menschen beobachten, die mit den Protesten gar nichts zu tun hatten. Freunde macht sich die Polizei damit in der breiten Bevölkerung auch nicht.

screenshotDa die Stadt sehr verwinkelt ist, fällt es den Polizisten schwer, die randalierenden Studenten Dingfest zu machen. Wurden am 05. August bei der nicht-genehmigten Demonstration etwa 550 Menschen festgenommen, waren es bei der genehmigten auch noch fast 400.
Das verwüstete Bild auf der Straße war in beiden Fällen ähnlich: verkohlte Plakate, Kleidung und Schuhe liegen überall verstreut, ein paar Scheiben von Supermärkten sind eingeschlagen, die Glasscheiben bei Bushaltestellen existieren schon länger nicht mehr und an einigen Orten der Stadt steigt einem das beißende Tränengas noch immer in die Augen.

Wie es weitergeht bleibt abzuwarten, da die Studierenden den 21-Punkte Plan von Präsident Piñera -dem unbeliebtesten Staatsoberhaupt seit Pinochet – zur Reformierung von Schulen und Universitäten ablehnen.  Piñera will dieses Vorhaben jedoch ohne Rücksprache mit den Protestierenden und unverändert Kongress einreichen. Für mich persönlich bleibt es sicherlich eine spannende Zeit in Chile – hoffentlich mit einem guten Ende für die Studierenden!

(Text: Raphael Bauer, Santiago de Chile / Fotos: Héctor Aravena und Juan Eduardo López by http://www.emol.com/especiales/2011/fotosHD/enfrentamientos-carabineros-estudiantes/index.htm)

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