Sport

Sport und Gesellschaft #2

Sport ist ein Spiegelbild der Gesellschaft. Tagesaktuelle Themen können im Laufe des sportlichen Wettkampfes und um diesen herum aufgegriffen werden. Akteure und Fans reflektieren Politisches, Wirtschaftliches und Künstlerisches oder treten dort auf und sorgen damit für eine Vermengung von Gesellschaft und Sport. Heute widmet sich back view dem Verhältnis von Sport und Politik.

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In der 52. Plenarsitzung der UNO vom 3. November 2003 beschäftigte sich die Generalversammlung mit dem Thema Sport. Dabei hat sie die Regierungen und die Vereinten Nationen darum gebeten, „die Rolle des Sports und der Leibeserziehung für alle im Rahmen von Entwicklungsprogrammen und -politiken zu fördern, um das Gesundheitsbewusstsein, die Leistungsbereitschaft und den kulturellen Brückenschlag zu verstärken und gemeinschaftliche Werte zu verankern.”

Darüber hinaus sei Sport „als Instrument zu verwenden, das zur Verwirklichung der international vereinbarten Entwicklungsziele” beitrage. Man wolle sich gemeinsam dafür einsetzen, dass Sport zu größeren Chancen für Solidarität und Zusammenarbeit führe.

Wenn sich schon die UNO mit der Strahlkraft und Macht des Sports beschäftigt, dann sind die Leibesübungen wohl endgültig in der Politik angekommen. Sport soll Grenzen überwinden. Grenzen des Hass, der Gewalt.

Die Che Guevara-Fahne im Fanblock
Dabei heißt es meist, dass Sport doch bitte Sport bleiben solle. Und Politik ist Politik, eine Vermengung beider ist nur selten erwünscht. Da ist die Che Guevara-Fahne, die im Fanblock teilweise gezeigt wird, schon mal ein kleiner Streitpunkt. Politik solle eigentlich aus dem Stadion herausgehalten werden, so sehen es die meisten Fangruppierungen.

Wie leicht die Politik den Sport für sich vereinnahmt, zeigte sich noch vor wenigen Wochen bei der nun abgelaufenen Fußballeuropameisterschaft. Angela Merkel suchte mit dem Erfolg der Nationalelf immer wieder die Öffentlichkeit. Denn es scheint zunächst vor allem so, dass die Politiker den Sport nutzen, um Nähe zum Volk zu demonstrieren und Bonuspunkte zu erlangen, die sich hoffentlich später in (Plus)Prozente bei den Wahlen umwandeln.

Die Geschichte des Sports ist mit weitaus größeren Vereinnahmungen von Seiten der Politik verbunden, als mit den durchschaubaren Versuchen Merkels. So suchten alleine in der letzten Zeit immer wieder umstrittene Diktatoren den Weg in den Sport.

In China feierte man bei der Olympiade 2008 die wohl pompöseste Machtdemonstration der letzten Jahrzehnte. Die olympischen Spiele von 1980 in Moskau wurden damals von 64 Nationen boykottiert, ein rein politischer Schachzug. Auch bei der diesjährigen EM in Polen und der Ukraine stand lange Zeit ein Boykott zur Debatte.

leoreynoldsberlin1936Hitlers Olympiade als Propagandainszenierung
Den unrühmlichen Vater aller Propagandainszenierungen stellt die Olympiade von 1936 in Berlin dar. Adolf Hitler zeichnete ein selbstherrliches Menschenbild im Rahmen der Olympiade. Die Diskriminierung der Juden sorgte vor allem in den USA für Empörung, ein Boykott wurde überlegt. Doch mit 58:56 Stimmen entschied sich das amerikanische NOK für eine Teilnahme und lieferte damit ein Vorbild für zahlreiche weitere Länder.

Parallel sollte jedoch eine Gegenolympiade in Barcelona abgehalten werden. Die sogenannte Volksolympiade musste aber wegen des spanischen Bürgerkrieges abgebrochen werden. Das Internationale Olympische Komitee hatte kein Interesse an einer Gegenveranstaltung, es erlag dem Werben Hitlers.

Wie sehr auch Terroristen den Weg in den Sport und dort eine Bühne für ihre Erringung politischer Macht suchen, demonstriert die Olympiade in München von 1972. Damals wurden elf israelische Sportler von palästinensischen Terroristen zunächst als Geisel genommen und später umgebracht. Der Sport also als Bühne zum Griff nach politischer Macht oder zur Demonstration politischer Macht – beides ist möglich. Beides ist sportimmanent.

Sportler suchen den Weg in die Politik
Doch auch Sportler suchen immer wieder den Weg in die Politik, es ist also kein eingleisiges Phänomen. Die Profis aus allen Sportarten preschen teilweise während oder nach ihrer aktiven Karriere ins politische Geschäft.

George Weah, der eventuell beste afrikanische Fußballspieler aller Zeiten, suchte nach seiner aktiven Zeit den Weg in die Politik und wollte 2005 Präsident Liberias werden, verlor die Wahl jedoch gegen Ellen Johnson-Sirleaf. Bis heute aber zweifeln Weah und seine Partei das offizielle Endergebnis an.

Gerald Ford wurde 1974 Präsident der USA, er löste Richard Nixon ab. Zuvor war er Mitglied der Footballmannschaft der Universität Michigan, die 1932 und 1933 die Meisterschaft holte. Auch Vitali und Wladimir Klitschko zeigen politisches Engagement, indem sie die ukrainische orangene Demokratiebewegung unterstützen. Vitali ist seit zwei Jahren ebenfalls Vorsitzender der Partei Ukrainische demokratische Allianz für Reformen (UDAR).

Fans und politischer Einfluss
Dass auch Fangruppierungen politischen Einfluss geltend machen können, zeigte nicht zuletzt die ägyptische Ultragruppe Ultras Alahwy, die während des arabischen Frühlings in Ägypten eine essentielle Rolle einnahm. Geschlossen kämpfte man auf der Straße gegen die Polizisten Mubaraks und organisierte sich im Stadion.

Als nicht nur in Ägypten die Stadien als eine Keimzelle des Protests erkannt wurden, schlossen die arabischen Diktatoren die Stadien und trieben die gewalterfahrenen und zum Umsturz entschlossenen Ultras auf die Straßen. Ein Eigentor für alle Diktatoren, die sich spätestens ab diesem Zeitpunkt massiven Auseinandersetzungen mit den Ultragruppierungen gegenübersahen.

Der Sport und die Politik, das ist ein eng miteinander verwobenes Gebilde, das kein klares Bild abgibt. Der Einfluss beider Seiten ist groß, eine Interdependenz kann nicht von der Hand gewiesen werden. Denn wer im Sport erscheint, der kann seine politische Bühne oftmals schon aufbauen. Damit nehmen die Leibesübungen einerseits den Stand eines Sprungbretts für potenzielle Politiker ein. Ebenso wird der Sport aber in stetiger Regelmäßigkeit von Politikern ausgeschlachtet und in dessen Lorbeeren gebadet.

Sport und Gesellschaft #1 – Sport und Film

(Text: Jerome Kirschbaum / Fotos: Leo Reynolds und lena.otis nach den creative commons, flickr.com )

Jerome K.

Jerome schreibt am liebsten über Sport, wenn er denn nicht selbst auf einem Platz steht. Seit Oktober 2010 verdingt sich Jerome als Schreiberling für back view, neben den Leibesübungen widmet er sich sich auch politischen Themen. Im wahren Leben musste Jerome zahlreiche Semester auf Lehramt studieren, um dann schlussendlich doch etwas ganz anderes zu werden.

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