Menschen

Sommer auf dem Balkon

Mittlerweile ergibt es sich von selbst, einen Flug zu buchen und die Taschen zu packen, sobald die freien Tage vom Chef bestätigt wurden. Doch warum nicht einfach mal zu Hause bleiben? Endlich bleibt Zeit für all die Dinge, die sonst zu kurz kommen. Ein Auszug.

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„Wohin fährst du?“ Nirgendwohin. Einfach nirgends. Es scheint für viele Menschen zum Zwang geworden zu sein, die wenigen Urlaubstage im Jahr in einem anderen Land oder sogar auf einem anderen Kontinent verbringen zu müssen und den Reisepass endlich wieder aus der Schublade zu ziehen. Doch warum sich diesen Stress antun?

Aufwachen im eigenen Bett
Ich wache auf, wie schön, ich wurde von der Sonne geweckt. Sie scheint durch die weißen Vorhänge direkt in mein Gesicht. Ein Blick auf die Uhr, es ist kurz nach zehn, und ich habe heute nicht verschlafen, sondern habe meine Ferien eingeläutet.
Ich drehe mich gemütlich noch mal um, sehe vor meinem inneren Auge, wie ich jetzt gerade auch hetzend am Flughafen stehen könnte, seit fünf Stunden wach, das Auto für viel Geld auf dem anliegenden Parkplatz abgestellt, die Blumen zum Gießen dem Nachbarn gegeben.

Stattdessen liege ich in meinem Bett, drücke mein Gesicht ins Kopfkissen und stehe nach geraumer Zeit nur auf, weil mich der Hunger aus den Federn treibt. Aber statt dem üblichen Müsli, das schnell nebenbei verzehrt wird, gibt es eine Nachricht an meine Freundin Betty, die am anderen Ende der Stadt wohnt. Wir verabreden uns zum Brunch in dem hübschen Bistro, das ich nur vom Vorbeidüsen kenne. Endlich kommt man mal dazu, all das auszuprobieren, was man Besuchern als Tipp mit auf den Weg gibt.

Aus einer anderen Perspektive betrachtet
Die eigene Stadt kennen lernen. Es mag trivial klingen, aber wann gibt es denn einen besseren Zeitpunkt, als in den Urlaubstagen einmal ins Museum zu gehen, an einer Führung teilzunehmen und den eigenen Ort in den Augen eines Touristen zu sehen? Wann hat man schon  die Zeit dazu, sich gemütlich in den Schlossgarten oder an den Brunnen zu setzen, sich die Sonne auf den Bauch scheinen zu lassen, durch die Straßen zu flanieren oder sich drei Stunden im Café aufzuhalten?

Nach dem Brunch gehe ich shoppen. Heute ist kein Getümmel in der Stadt. Es scheint, als sei die Hälfte der Menschen ausgeflogen. Nicht wie an einem üblichen Samstag muss ich mir durch Menschenmengen meinen Weg zur Umkleidekabine bahnen.

Nachmittags gibt es einen Aperol Spritz auf dem Balkon. Nachschub gibt es im Supermarkt ums Eck. Der kleine Grill wird herausgeholt, er sieht noch so unbenutzt aus. Nebenbei backe ich Kuchen, verarbeite meinen selbst gepflückten Holunder zu Sirup und topfe die Pflanzen um. Für morgen habe ich einen Termin beim Frisör ausgemacht, wenn das Wetter hält, werde ich den Nachmittag im Freibad verbringen.

Mal gar nichts tun
Den Sommer auf dem eigenen Balkon verbringen – das bedeutet, das Zuhause gemütlich genießen. Die eigenen vier Wände auszunutzen. Zeit haben für Freunde, Verwandte und Telefonate.

Es ist ein Urlaub ohne Stress – statt Koffer zu packen, lange Busfahrten zu ertragen und sich einen Platz neben hundert anderen mit einem Handtuch zu reservieren, kann man alles loslassen. Dem Druck, viel erleben zu müssen und die Einstellung, alles mitgemacht und auf Kamera festgehalten zu haben.

Für meinen Sommer auf dem Balkon musste ich nichts reservieren oder buchen. Ich musste mir keine Gedanken machen über Essen, das ich nicht vertrage, eine Impfauffrischung oder einen Katzensitter. Ich stehe weder im Stau, noch verbringe ich Stunden verschwitzt am Flugterminal. Stattdessen sitze ich auf meinem Klappstuhl und genieße den Blick ins Grüne.

Wie gut es tut, sich einfach mal zurückzulehnen, ein Buch zu lesen oder ins Kino zu gehen. Ein Sommer auf dem Balkon kann herrlich entspannend sein. Viele werden verwundert schauen und mich vielleicht sogar bemitleiden. Die Kollegin wird bestimmt bald fragen, wohin ich in meinem Urlaub geflogen bin. Dann werde ich in ihr ungläubiges Gesicht schauen, wenn ich ihr sage: „Nirgends – ich war einfach nur daheim.“

(Text: Christina Hubmann)

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Christina H.

Christina wollte eigentlich mal Busfahrer werden, ehe sie sich entschloss, doch "irgendwas mit Medien" zu machen. Schreiben tut sie nämlich schon immer gern. Und wie das Leben ohne dieses Internet funktioniert hat, fragt sie sich schon seit Längerem - erfolglos.

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